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NAHOST/962: Dritte Intifada am Horizont? - Neue Palästinensergruppe ruft zum Aufstand auf (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. Dezember 2012

Dritte Intifada am Horizont? - Neue Palästinensergruppe ruft zum Aufstand auf

Von Mel Frykberg


Bild: © Mel Frykberg/IPS

Ein Familienmitglied des erschossenen Muhammed Salaymi - An der Tür ein Schild, das das Haus der Familie als Heim eines Mätyrers ausweist.
Bild: © Mel Frykberg/IPS

Hebron, Westjordanland, 19. Dezember (IPS) - Eine neue Gruppe mit dem Namen 'Nationale Union Bataillone' (NUB), der Palästinenser aus allen politischen Spektren angehören, hat zu einer dritten Intifada aufgerufen. Parallel dazu warnte der israelische Geheimdienst, dass die derzeitigen Lebensbedingungen der Palästinenser im Westjordanland eine palästinensische Revolte begünstigten.

Den Warnungen vorangegangen waren Proteste am dritten Dezemberwochenende in verschiedenen Städten des von Israel besetzten Westjordanlands sowie Zusammenstöße zwischen israelischen Soldaten und palästinensischen Jugendlichen, nachdem am 12. Dezember der 17-jährige Palästinenser Muhammad Salayma am Grenzübergang Hebron von israelischen Soldaten erschossen worden war.

Die NUB, die sich aus Mitgliedern der Hamas, der Fatah, des Islamischen Dschihads und der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) zusammensetzt, bot in einem Video ihre Organisation als Plattform für den Kampf gegen Israel an. Die Gruppe begrüßte zwar die UN-Entscheidung, Palästina zum Beobachterstaat aufzuwerten, kündigte aber gleichwohl die Rückeroberung ganz Palästinas - "vom Meer bis zu den Flüssen" - an.

"Das ist der Beginn der dritten palästinensischen Intifada, die im Herzen von Hebron ausgebrochen ist und auf ganz Palästina übergreifen wird", heißt es in dem Video. Die NUB kündigte ferner die Entführung israelischer Soldaten an, sollten die israelischen Streitkräfte nicht von Festnahmen von Palästinensern absehen. Sollte Israel weiterhin straffrei Palästinenser töten, werde die Gruppe auf gleiche Weise Vergeltung üben.


Forderungskatalog

Die Forderungen der Bataillone beinhalten ferner den Abzug aller israelischer Streitkräfte von den Grenzübergängen zum Westjordanland, die Freilassung der palästinensischen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen, den Rückzug Israels aus den palästinensischen Gebieten und die Überweisung aller seit der Aufwertung des palästinensischen Beobachterstatus' von Israel einbehaltenen palästinensischen Steuereinnahmen an die Palästinensische Autonomiebehörde (PA).

Die NUB forderte ferner in einer Mitteilung am 14. Dezember - einen Tag nach dem gewaltsamen Tod Salaymas - die Öffnung sämtlicher Grenzübergänge und die Versorgung des abgeriegelten Gazastreifens mit Wasser und Strom.

Die israelischen Grenzsoldaten hatten erklärt, von Salayma mit einem Plastikgewehr bedroht worden zu sein. Doch die Familie des Opfers weist diese Version zurück. "Wahrscheinlicher ist, dass die Soldaten das Gewehr erst nach der Schießerei in seiner Nähe abgelegt haben", meint der Onkel des Jungen, Muhammad Salayma Sr., ein PA-Polizist.

"Muhammad hatte Geburtstag und das Haus nur verlassen, um eine Geburtstagstorte zu kaufen. Er musste den Militärposten auf dem Hin- und auf dem Rückweg passieren. Hätte er ein Spielzeuggewehr mit sich geführt, wäre das aufgefallen."

"Muhammad war ein glücklicher Junge und guter Schüler, der Palästina als Mitglied des palästinensischen Ringerteams in Frankreich vertreten hat. Er war mit seinem Geburtstagkuchen auf dem Heimweg, und nun sollen wir glauben, dass er plötzlich eine Gruppe schwerbewaffneter und gut ausgebildeter israelischer Soldaten mit einem Plastikgewehr überwältigen wollte? So dumm wäre er nie gewesen", so auch Nasim Salayma, eine 22-jährige Kusine des Polizisten.

Israelische, palästinensische und internationale Menschenrechtsorganisationen haben in den letzten Jahren zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen Palästinenser unter fragwürdigen Umständen von israelischen Soldaten getötet wurden. Doch erst der letzte Vorfall löste in Hebron Massenproteste aus. Hunderte von palästinensischen Jugendlichen zogen am 14. Dezember auf die Straßen von Hebron, um ihren Zorn gegen die israelische Besatzung zum Ausdruck zu bringen, warfen Steine und zündeten Autoreifen an. Dutzende wurden bei den sich anschließenden Zusammenstößen mit den israelischen Sicherheitskräften durch Kugeln, Gummigeschosse und Tränengas verletzt.

Am darauffolgenden Tag gingen die Kämpfe im Zuge einer Kundgebung von Hamas-Anhängern zum 25. Jahrestag der Gründung der Hamas, die den Gazastreifen regiert, weiter. Zum ersten Mal seit Jahren hat die PA der verfeindeten Hamas erlaubt, im Westjordanland zu demonstrieren. Erst kürzlich hatten sich Hamas und die Fatah, die das Westjordanland kontrolliert, einander angenähert.


Innerpalästinensische Annäherung

Die kleinen Schritte in Richtung palästinensischer Einheit sind das Ergebnis der zunehmenden politischen Stärke der Hamas seit dem jüngsten Gaza-Krieg, der Palästinenser aller Lager zusammengeschweißt hat. Auch die Sicherheitskräfte beider Seiten haben die Zahl der Festnahmen von Mitgliedern der jeweils gegnerischen Fraktion verringert.

Und die Stärke der Hamas im von der Fatah regierten Westjordanland wächst. Die bevorstehende Überstellung einer Gruppe Hamas-Häftlinge aus dem Gazastreifen ins Westjordanland durch Israel wird die Präsenz der islamistischen Organisation im Westjordanland weiter stärken.

Ebenso ein Schritt in Richtung Aufstand gegen die israelische Besatzung dürfte der drohende Zusammenbruch der finanziell ausgebluteten PA sein. Israel hält auch weiterhin mehr als eine Million Dollar an palästinensischen Steuergeldern zurück. Sollte die PA, die Hunderttausende Palästinenser über Wasser hält, zugrunde gehen, hätte dies nach Ansicht von Experten eine Massenarbeitslosigkeit zur Folge, die die Verzweiflung der Palästinenser nur noch vergrößern würde.

Verstärkt wird der Zorn der Palästinenser durch die Zunahme der Angriffe israelischer Siedler und fortgesetzte Enteignungen. Zudem hat die internationale Anerkennung dem palästinensischen Traum von einem eigenen Staat neue Nahrung gegeben.

Medienberichten zufolge hat der israelische Inlandsgeheimdienst 'Shin Bet' davor gewarnt, dass durch die Unruhen die Art der Infrastrukturen geschaffen werden könnte, die einer dritten Intifada förderlich seien. (Ende/IPS/kb/ 2012)


Link:
http://www.ipsnews.net/2012/12/a-third-intifada-on-the-horizon/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2012