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NAHOST/968: Iran - Teilnahme oder Boykott, Reformer sind vor den Wahlen gespalten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. Februar 2013

Iran: Teilnahme oder Boykott? - Reformer sind vor den Wahlen gespalten

von Yasaman Baji



Teheran, 1. Februar (IPS) - Im Juni stehen im Iran Präsidentschaftswahlen an und die Anhänger der Reformbewegung überlegen noch, ob sie mit eigenen Kandidaten ins Rennen gehen oder den Urnengang boykottieren sollen. Seit den Volksprotesten nach den umstrittenen Wahlen vor vier Jahren sind ihre Parteien strikten Restriktionen ausgesetzt.

Während viele Reformer für einen Wahlboykott eintreten, sind andere der Meinung, dass die Teilnahme eine neue Chance bieten würde, sich politisch zu organisieren, gleichgültig ob der Wächterrat, der potenzielle Kandidaten prüft, ihren Kandidaten grünes Licht geben wird. Wieder andere sind der Ansicht, dass viel davon abhänge, wie der Wettstreit zwischen den konservativen Rivalen in den nächsten Monaten verlaufen wird. Da noch kein Konservativer oder Hardliner offiziell seine Kandidatur bekannt gegeben hat, sind politische Beobachter davon überzeugt, dass sich das politische Panorama vor den Wahlen noch in unerwarteter Weise verändern kann.

Die Reformer nutzen die Präsidentschaftswahlen im Iran traditionell dazu, um auf eine größere politische Öffnung zu dringen und ihre Fähigkeit unter Beweis zu stellen, Unterstützung in der Bevölkerung zu mobilisieren, insbesondere in der Mittelschicht. In diesem Jahr sind sie jedoch unschlüssig, wie sie insbesondere angesichts des fortgesetzten Hausarrestes der Präsidentschaftskandidaten Mir Hossein Mussavi und Mehdi Karrubi sowie der Inhaftierung weiterer führender Vertreter wie dem ehemaligen stellvertretenden Innenminister Mostafa Tajzadeh und dem früheren Vorsitzenden des parlamentarischen Ausschusses für Sicherheit und auswärtige Beziehungen, Mohsen Mirdamadi, verfahren sollen.


Wirtschaftskrise hat für manche Priorität

Die Freilassung dieser Politiker und weiterer politischer Gefangener steht ganz oben auf der Agenda vieler Reformer, die davon sogar ihre Teilnahme an den Wahlen im Juni abhängig machen. Der ehemalige Innenminister Abdullah Nuri ist hingegen der Meinung, dass es wichtiger ist, auf die sich weiter verschlechternde Wirtschaftslage und die fortgesetzte, durch die US-Sanktionen entstandene Bedrohung des Irans von außen zu reagieren, als die Freilassung politischer Gesinnungsgenossen zu verlangen.

Nuri fürchtet ferner, dass ein Beharren auf der Freilassung der Gefangenen die Reformer dazu zwingen wird, noch vor der Entscheidung über eine Teilnahme an den Wahlen das Spiel ihrer Feinde nach deren Regeln mitspielen zu müssen. "Wir sollten den ersten Schritt machen und unseren Gegnern zeigen, dass wir entschlossen und ernsthaft bei der Sache sind", sagte der frühere Minister in der Oktober-Ausgabe des Monatsmagazins 'Aseman'.

Der ehemalige Bürgermeister von Teheran, Gholamhossein Karbaschi, der Karrubi bei den Wahlen 2009 unterstützt hatte, nimmt eine ähnliche Position ein. "Ist es logisch unsere Rivalen darum zu bitten, unsere endgültigen Forderungen zu erfüllen, damit wir den Wahlkampf gegen sie gewinnen können?", fragte er in einem Beitrag für Aseman. "Wenn vor den Wahlen politische Gefangene freigelassen sowie die wirtschaftliche, kulturelle und politische Situation und die Innen- und Außenpolitik verbessert würden, welchen Sinn hätte es, dass die Reformer noch an die Macht kämen?"

Solche Äußerungen, zusammen mit Gerüchten über eine mögliche Kandidatur des früheren Ersten Vizepräsidenten Mohammadreza Aref und des ehemaligen Bildungsministers Mohammad Ali Najafi haben den Eindruck geweckt, dass zumindest einige Reformer ernsthaft erwägen, sich an den Wahlen zu beteiligen. Einige Gruppen verkündeten sogar, dass sie den ehemaligen Präsidenten Mohammad Chatami als Kandidaten aufstellen würden, obwohl dieser im vergangenen Sommer erklärt hatte, nicht wieder anzutreten.


Staatsfernsehen verunglimpft Ex-Präsident

Doch schon die Erwähnung des Namens Chatamis hat die Hardliner in Unruhe versetzt. Das iranische Staatsfernsehen ging sogar soweit, Chatami, anders als in den letzten Jahren, zu zeigen und als "Gefährten des Aufruhrs" zu bezeichnen. Der Begriff 'Aufruhr' wird im Iran für gewöhnlich dazu benutzt, sich auf die Proteste nach den umstrittenen Präsidentenwahlen 2009 zu beziehen. "Gefährten des Aufruhrs" könnten an den Wahlen nur dann teilnehmen, wenn sie sich offiziell von den Umstürzlern distanzieren.

Im Dezember hatte der Sprecher des Wächterrats sich offensichtlich dieser Haltung angeschlossen und erklärt, dass die Abkehr vom Aufruhr die Chance erhöhen werde, dass Kandidaturen angenommen würden. Ein entsprechender Aufruf von Institutionen, die dem politischen und religiösen Führer Ajatollah Ali Chamenei nahestehen, stieß jedoch bei führenden Reformern auf Ablehnung.

Der Kleriker Mussavi Khoeiniha, Herausgeber der inzwischen verbotenen Tageszeitung 'Salaam', erklärte dazu, dass die Reformer den früheren Ministerpräsidenten Mussavi 2009 zu ihrem Kandidaten gemacht hätten. "Und jetzt sollten wir auf unsere Unterstützung verzichten, nur um an den Wahlen teilnehmen zu können, damit sich die gleiche Geschichte wiederholen kann?" Khoeiniha ist der Meinung, dass die Reformer nicht um jeden Preis an den Wahlen teilnehmen sollten. (Ende/IPS/ck/2013)


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http://www.ipsnews.net/2013/01/reformists-ambivalent-about-participation-in-iranian-election/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2013