Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

NAHOST/992: Israel - Harter Überlebenskampf, Asylsuchende im rechtsfreien Raum (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Juni 2013

Israel: Harter Überlebenskampf - Asylsuchende im rechtsfreien Raum

von Jillian Kestler-D'Amours


Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Tesfahiwet Medin aus Eritrea sucht Asyl in Israel
Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Tel Aviv, 27. Juni (IPS) - Tesfahiwet Medin besitzt einen Hochschulabschluss und hat in Eritrea als Krankenpfleger gearbeitet. Doch in Israel, wohin der 39-Jährige vor sechs Jahren vor der Diktatur in seiner Heimat floh, darf er seinen Beruf nicht ausüben. "Ich bin wie ein Bus ohne Motor", klagt er. "Zeit und Geld habe ich verloren, all die Energie, die brauchte, um mich in 16 Jahren voran zu arbeiten. Ich kann weder meiner Familie noch meinem Land helfen."

Medin hat seine Ausbildung 2006 mit einem Diplom der Universität von Asmara abgeschlossen. Sein Spezialgebiet ist die pränatale Versorgung. Ein Jahr später musste er sein Land verlassen. Über den Sudan, Libyen und Ägypten gelangte er 2010 nach Israel. Nachdem er die Grenze überschritten hatte, wurde er festgenommen und zwei Wochen lang inhaftiert.

Schließlich landete Medin in Tel Aviv, ohne einen Cent in der Tasche. Er sprach kein Hebräisch und besaß nur das, was er auf dem Leib trug. Nachdem er nur mit Mühe eine Bleibe gefunden hatte und ausschließlich Jobs angeboten bekam, die mit schwerster körperlicher Arbeit verbunden waren, suchte er auf dem Schwarzarbeit nach Alternativen.

Mit Hilfe einer lokalen Arbeitsvermittlungsagentur wurde er dann als Betreuer in einem Altersheim in Hod Hasharon nahe Tel Aviv engagiert, wo etwa 100 Senioren leben. Sein Arbeitgeber zahlt das Gehalt an die Agentur, die den Betrag abzüglich einer geringen Servicegebühr an Medin weiterleitet.

Trotz seiner langen Berufserfahrung erlaubt ihm die israelische Regierung nicht, dass er in dem Land eine Krankenpflegerprüfung ablegt. Denn er hat besitzt keine gültige Arbeitserlaubnis. Im informellen Sektor arbeitet Medin derzeit durchschnittlich 300 Stunden im Monat und verdient dabei nicht mehr als umgerechnet rund 1.400 US-Dollar.


Erst 200 Flüchtlinge seit 1948 anerkannt

Israel ist ein Unterzeichnerstaat der 1951 verabschiedeten UN-Flüchtlingskonvention, in der die Rechte von Flüchtlingen und die Verantwortung der Staaten ihnen gegenüber festgelegt sind. Dennoch hat Israel den Status von Flüchtlingen bisher nicht eindeutig definiert. Seit der Gründung des Staates 1948 sind noch nicht einmal 200 Asylsuchende als Flüchtlinge anerkannt worden.

Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) schätzt, dass derzeit etwa 54.000 Flüchtlinge und Asylsuchende in Israel leben. Die meisten von ihnen kommen demnach aus dem Sudan und aus Eritrea. Da der Flüchtlingsstatus nie formell verifiziert wird, hat der größte Teil dieser Menschen nur ein befristetes Aufenthaltsvisum, das alle drei Monate verlängert werden muss. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden.

Das Hohe Gericht Israels entschied 2011, dass Arbeitgebern in Israel keine rechtlichen Schritte drohten, wenn sie Asylsuchende mit einem befristeten Visum beschäftigen. Obwohl Asylbewerber somit ganz legal Arbeit in Israel suchen könnten, scheuen viele Unternehmer davor zurück, sie einzustellen.

Im vergangenen Jahr drohte zudem die israelische Regierung Firmen und Stadtbehörden mit Bußgeldern, sofern sie afrikanische Flüchtlinge einstellten. Anfang Juni dieses Jahres trat in Israel ein Gesetz in Kraft, das eine Höchstsumme festlegt, die ein Asylsuchender während seines Aufenthalts im Land von Bankkonten abheben darf. Ebenso gibt es Begrenzungen für den Versand von Geldern und anderen Vermögenswerten ins Ausland. Flüchtlinge haben damit kaum noch eine Möglichkeit, ihre Familien in der Heimat zu unterstützen.

"Wir konzentrieren uns darauf, dass die Eindringlinge Israel verlassen. Mehrere Tausend Eindringlinge sind bereits weggegangen, und wir arbeiten daran, diejenigen zu repatriieren, die illegal hier arbeiten", erklärte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nach der Verabschiedung des Gesetzes.

Da ihre Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt derart begrenzt sind, bleibt afrikanischen Asylsuchenden oft nichts anderes als der Weg in den informellen Sektor übrig. Dort verdienen sie allerdings wenig, genießen keinen Versicherungsschutz und werden leicht ausgebeutet. "Ein Flüchtling hat keine Angehörigen hier und keine Unterstützung von einer Gemeinschaft. Außerdem erhält er keine staatliche Hilfe. Da er nichts besitzt, ist er bereit, jeden Tag 15 Stunden zu arbeiten", sagt Orit Marom von der Hilfsorganisation für Flüchtlinge und Asylsuchende in Israel (ASSAF).


Mindestens drei Jahre Haft bei illegalem Grenzübertritt

Die Regierung hoffe, durch die strengen Bestimmungen, die bei illegalem Grenzübertritt mindestens drei Jahre Haft für Asylsuchende vorsehen, viele abschrecken zu können, nach Israel zu kommen, meint Marom. Aus demselben Grund habe das Land bereits das weltgrößte Haftzentrum für Flüchtlinge gebaut. "Diese Politik verstößt nicht nur gegen die Grundrechte der Flüchtlinge, sondern schädigt auch die israelische Gesellschaft und ihre schwächsten Glieder."

Selbst Asylsuchende, die sich mit Erfolg in Israel selbständig gemacht haben, werden schikaniert. Im Mai schütteten Inspektoren des Gesundheitsministeriums Bleiche über Lebensmittel und beschlagnahmten wegen angeblich nicht eingehaltener Hygienebestimmungen Fleisch in mehreren von Flüchtlingen betriebenen Restaurants im Süden von Tel Aviv.

"Anstatt uns zu sagen, was noch getan werden muss, haben sie alles Essen in den Restaurants vernichtet, sogar das, was die Gäste auf den Tellern hatten", kritisiert Ilana Pinshaw von der Organisation 'Microfy', die Asylsuchenden unter anderem mit Kleinkrediten unter die Arme greift. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.assaf.org.il/en/
http://www.microfy.org/
http://www.ipsnews.net/2013/06/asylum-seekers-struggle-to-survive-under-israeli-restrictions/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. Juni 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2013