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OSTEUROPA/301: Zum Demjanjuk-Prozeß (Falkenhagen/Queck)


Zum Demjanjuk-Prozess

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, Oktober 2009


Iwan Demjanjuk, genannt auch Iwan der Schreckliche, soll vor einem bayerischen Gericht der Prozess wegen der Beihilfe am Mord von mindestens 27900 Personen, andere Quellen nennen 29000, hauptsächlich Juden im Nazi-Konzentrationslager Sobibor gemacht werden. Darüber wurde in der deutschen und internationalen Presse schon ausführlich berichtet. Jetzt klagt der 89jährige Demjanjuk über seinen Rechtsanwalt Busch beim Bundesverfassungsgericht. Dort ist ein Eilverfahren zu seiner sofortigen Freilassung angestrengt worden. Und die westukrainischen nationalistischen Bewegungen und Parteien, für die Demjanjuk einer der Ihren ist, haben den ukrainischen Präsidenten Juschtschenko aufgefordert, sich ebenfalls für seine sofortige Freilassung einzusetzen. Seine Verurteilung wäre ein Affront des Ukrainertums, erklärten u.a. Abgeordnete aus Lwow (Lemberg). Sie bezeichnen Iwan "John" Demjanjuk als einen bewährten antikommunistischer Widerstandskämpfer sowohl während als auch nach dem 2. Weltkrieg, sie nennen Demjanjuk ein Opfer einer internationalen Verschwörung, heißt es z. B. in Rossiskaja Gazeta, Moskau (s. www.rg.ru/sujet/3756.html). Dagegen wandte sich das Jüdische Komitee der Ukraine. Dort ist man der Meinung, dass hierbei der Begriff Ukrainer in unzulässiger Weise mit dem Begriff nazistischer Verbrecher gleichgestellt wird. Das Jüdische Komitee der Ukraine kennt die Untaten der ukrainischen Kollaborateure, die im Dienste der deutschen Nazis standen, aber dennoch heute in der Ukraine wie Nationalhelden gefeiert werden, weil sie nach der Niederlage der Nazi-Okkupanten gegen die Sowjetmacht weiter gekämpft haben. Roman Schuch ewitsch, der Führer der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA), 1945 umbenannt in Ukrainische Nationalarmee, kämpfte bis 1950 gegen die Sowjetmacht und ist am 5. Mai 1950 in einem Gefecht mit NKWD-Truppen in der Nähe von Lwow gefallen. Demjanjuk floh zu dieser Zeit nach dem Westen zu den Amerikanern und bekam in den USA Einreiseerlaubnis und Asyl.

Die Eröffnung des Gerichtsverfahrens gegen Demjanjuk ist am 30. November 2009 geplant. Doch ob es dazu kommen wird, ist noch unklar. Die deutsche Justiz steht, wie vorher schon die israelische und amerikanische Justiz nämlich vor der Frage, ob sie mit der Verurteilung von Demjanjuk für seine Verbrechen die ukrainischen Nationalisten, die in der Bandera- und Schuchewitsch-Tradition stehen, verprellen können oder nicht. Immerhin sind diese ukrainischen Nationalisten noch eine entscheidende Stütze im Machtkampf Juschtschenkos um die ukrainische Präsidentschaft und damit um die künftige NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Sie sind auch mit entscheidend dafür, ob sich die antirussische Politik Juschtschenkos und seiner Clique durchsetzen kann.


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Quelle:
Copyright 2009 by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2009