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OSTEUROPA/304: Moldawien - Wahl des neuen Staatspräsidenten gescheitert (Falkenhagen/Queck)


Moldawien: Wahl des neuen Staatspräsidenten gescheitert

Wie es weitergeht, ist derzeit noch unklar

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, 26.10.2009


Am 23. Oktober 2009 sollte Marian Lupu, Vorsitzender der mit 13 Abgeordneten im moldawischen Parlament vertretenen Demokratischen Partei, getragen von dem Vier-Parteienbündnis "Allianz für europäische Integration", zum neuen moldawischen Staatspräsidenten gewählt werden. Dazu ist laut Verfassung im 101-köpfigen Parlament eine Dreifünftelmehrheit erforderlich. Der Staatpräsident muss also für seine Wahl mindestens 61 Stimmen erhalten. Die "Allianz für europäische Integration" verfügt nur über 53 Abgeordnetenmandate. Marian Lupu benötigte also mindestens 8 Stimmen der mit 48 Mandaten im Parlament vertretenen kommunistischen Partei (PCRM). Diese Stimmen waren am 23. Oktober offensichtlich gewährleistet, Marian Lupu gehörte selbst bis Anfang Juni 2009 der Kommunistischen Partei (PCRM) an und war dort nach Staatspräsident Wladimir Woronin seit 2005, als er Parlamentsvorsitzender wurde, die Nummer 2 dieser Partei. Warum er aus der PCRM ausgeschieden ist, darüber gibt es verschiedene Meinungen. Es wird taktischen Erwägungen innerhalb der PCRM selbst zugeschrieben, um Wähler aufzufangen, die mit den Kommunisten unzufrieden sind. Andere nennen Marian Lupu einen Renegaten und Überläufer, sogar einen Verräter. Es gibt aber auch Meinungen, die gekränkte Eitelkeit als Grund dafür angeben, weil Vorgänger-Präsident Woronin nicht ihn, sondern Sinaida Greceanii als Nachfolgerin im Präsidentenamt vorgeschlagen hatte. Wie es auch sei, Lupu schied aus der PCRM aus und wurde Vorsitzender der Demokratischen Partei, die nach den außerordentlichen Wahlen am 29. Juli 2009 Partner der "Allianz für europäische Integration" wurde.

Dass Marian Lupu nun im Parlament am 23. Oktober nicht zum Staatspräsidenten gewählt wurde, liegt offensichtlich nicht an den fehlenden 8 Stimmen, die er von den Kommunisten bekommen wollte, sondern hat Gründe, die in den eigenen Reihen der "Allianz für europäische Integration" zu suchen sind. Bekanntlich ist die "Allianz für europäische Integration" ein Bündnis von vier Parteien mit sehr unterschiedlicher politischer Ausrichtung. Die Liberaldemokratische Partei von Vlad Filat, und die Liberale Partei von Mihai Ghimpu sind Parteien mit neoliberalem und prowestlichem Zuschnitt. Die Allianz "Unser Moldawien" von Serafim Urechean ist ein politisch noch unbestimmter Faktor und die Demokratische Partei von Marian Lupu bezeichnet sich als sozialdemokratische Partei mit folglich starker sozialer Komponente und ist Verfechterin eines neutralen außenpolitischen Kurses Moldawiens. Eine sozialdemokratische Ausrichtung sagt man aber auch der Kommunistischen Partei (PCRM) nach. Marian Lupu war nach den außerordentlichen Wahlen am 29. Juli von Anfang an von der Allianz als Staatspräsident nominiert worden. Ob das nur ein Lockmittel war, wird sich bald erweisen.

Das Merkwürdige war: Seine eigene Allianz, die Lupu nominiert hatte, ließ es am 23. Oktober überraschend gar nicht zur Abstimmung im Parlament kommen! Das Argument war, dass mindestens zwei Kandidaten zur Wahl hätten antreten müssen. Davon war aber zunächst nicht die Rede und dieser Hinderungsgrund kam auch erst kurz vor der Parlamentssitzung am 23. Oktober zur Sprache. Behauptet wurde, dass die moldawische Verfassung das vorschreibt. Aber das ist falsch! Weder Artikel 78 der Verfassung, der die Präsidentenwahl regelt, noch ein andere Verfassungsartikel schreiben vor, dass mindestens zwei Kandidaten antreten müssen. Auch das Argument, dass die Verfassung politische Pluralität und allgemein alternative Wahlmöglichkeiten vorschreibt, zieht hier nicht. Das gilt nur für Parlamentswahlen. Auch die Wahl von Mihai Ghimpu zum Parlamentsvorsitzenden und von Vlad Filat zum Premierminister war mit einfacher Mehrheit nur mit jeweils einem Kandidaten erfolgt.
Marian Lupu musste sich in der Tat am 23. Oktober betrogen und reingelegt fühlen. Er konnte es nicht verhindern, dass die Wahl vertagt wurde.
Nun schreibt die Verfassung vor, dass die Wahl eines neuen Staatspräsidenten innerhalb von zwei Monaten nach dem Rücktritt eines Vorgängerpräsidenten erfolgen muss. Diese Zweimonatsfrist ist am 11. November 2009 abgelaufen. Dann endet laut Verfassung auch die Übergangsstaatspräsidentschaft von Mihai Ghimpu in seiner Eigenschaft als Parlamentsvorsitzender.


Aber nun ist man auf einen weiteren bemerkenswerten Trick verfallen. In der Begründung zur Verschiebung der Wahl von Marian Lupu heißt es, dass noch die Ausarbeitung einer Gesetzgebung zur Verbesserung des legislativen Rahmens der Wahl des neuen Präsidenten erforderlich sei. Dafür stehen 10 Tage zur Verfügung und in drei Tagen soll dann das Datum der ersten Wahlrunde mit den Kandidatennamen für den Staatspräsidenten angesetzt werden können, heißt es in der moldawischen Parlamentsinformation. Bemerkenswert ist auch, dass ein Gesetz über dieses Gesetzgebungsverfahren im Parlament nicht zur Abstimmung gestellt wurde. Das Gesetzgebungsverfahren wurde vom Parlamentsvorsitzenden Ghimpu und vom Premierminister Filat angeordnet. Laut den vorliegenden Informationen soll das Parlament nur eine Anordnung zur Verschiebung der Präsidentenwahl und zur Ausarbeitung notwendiger gesetzlicher Regelungen beschlossen haben.

Man kann durchaus die Frage stellen, ob hier ein Verfassungsputsch oder gar ein Staatsstreich im Gange ist!!

Berechtigt ist auch die Frage, ob der zeitgleiche Besuch von USA-Vizepräsident Biden in Rumänien und ein vermutetes Geheimtreffen von Biden und des rumänischen Staatspräsidenten Basescu mit Ghimpü und Filat damit etwas zu tun haben? Noch beruht vieles auf Spekulationen. Bekannt ist nur, dass Marian Lupu von Washington als moldawischer Präsident nicht favorisierter wird.

Eine im moldawischen Parlament eingesetzte Spezialkommission hat den Vorschlag unterbreitet, eine Serie von Änderungen und Ergänzungen der Gesetzgebung für die Wahl des Staatspräsidenten vorzunehmen. Dabei soll auch der Fall gesetzlich geregelt werden, dass die Wahl des Staatspräsidenten nicht möglich wird und zwar unter Berücksichtigung der Nichtzulässigkeit einer zweimaligen Parlamentsauflösung im gleichen Jahr (der frühere Präsident Woronin hatte sich nach dem Nichtzustandekommen der Wahl von Sinaida Greceanii als neue Staatspräsidentin schon Mitte des Jahres 2009 verfassungsrechtlich gezwungen gesehen, das Parlament aufzulösen und Parlamentsneuwahlen anzuberaumen, zu denen es dann am 29. Juli 2009 gekommen ist).

Das Argument der Nichtzulässigkeit der zweimaligen Auflösung des Parlaments in einem Jahr ist aber offenkundig auch nur eine faule Ausrede, denn das Parlament könnte am 11. November durchaus die Parlamentsauflösung mit Wirkung zum neuen Jahr und anschließende Parlamentsneuwahlen noch im Januar 2010 beschließen. Es hätte damit die Auflagen der Verfassung erfüllt.

Bis jetzt scheint in Moldawien in der Frage, wie es weitergeht, noch alles offen zu sein. Die kommunistischen Abgeordneten haben auf der Sitzung am 23. Oktober energisch gegen die Vertagung der Präsidentenwahl protestiert und das als Verfassungsbruch verurteilt. Sie fordern streng nach der bestehenden Verfassungsregeln und der geltenden Gesetzgebung zur Präsidentenwahl zu verfahren und die gescheiterte Wahl als gescheitert in der ersten Runde der Präsidentenwahl anzuerkennen, was zur Folge gehabt haben müsste, das innerhalb von 15 Tagen die zweite Wahlrunde angesetzt wird und im Falle des Scheiterns auch dieser Wahlrunde die Auflösung des Parlaments zu beschließen ist. Die Neuwahlen könnten dann, wie gesagt, ab Januar 2010 stattfinden.

Was könnte Marian Lupu in der Frage des Scheiterns seiner Wahl falsch gemacht haben? Einmal hätte er sich mit seiner Partei nach der Wahl am 29. Juli mit der Kommunistischen Partei verbünden können. Mit den 48 kommunistischen Abgeordnetenstimmen und den 13 Stimmen seiner eigenen Partei (= 61 Stimmen) hätte er sich zum Staatpräsidenten wählen lassen können. Das wollte aber Marian Lupu zunächst deswegen nicht, weil er, wie er selbst erklärte, nicht allein von den Kommunisten abhängig sein wollte. Der nächste mögliche Fehler von ihm war, dass er die Wahl des Premierministers und der Regierung noch vor seiner Wahl zum Präsidenten zugelassen hat. Die Partei von Vlad Filat und die Partei von Mihai Ghimpu haben sich nämlich in der neuen Regierung die sog. Machtministerien und politisch besonders wichtigen Ministerien unter den Nagel reißen können. Von der Liberaldemokratischen Partei von Filat kommen Innenminister Victor Catan und Außenminister und Minister für europäische Integration, Iurie Leanca. Verteidigungsminister ist Vitalie Marinauta von der Liberalen Partei, die von Ghimpu geführt wird. Die Liberaldemokraten stellen zudem den Justizminister und den Finanzminister, die Liberalen den Minister für Medien, den Verkehrsminister und Minister für Jugend und Sport. Der Demokratischen Partei wurden lediglich die politisch relativ machtlosen Ministerien für Wirtschaft, für Arbeit, Soziales und Familie, für Bauwesen und Regionalentwicklung sowie für Kultur übertragen. Auch die Allianz "Unser Moldawien" erhielt nur drei politisch relativ machtlose Ministerien.


Quellen:
www.moldova.md/md/newslst/1211/1/3364/
www.neues-deutschland.de/artikel/15776.kein-kompromiss-in-chisinau.html


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Quelle:
Copyright 2009 by Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck
mit freundlicher Genehmigung der Autoren


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2009