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OSTEUROPA/317: Ukraine - von der ersten Wahlrunde zur Stichwahl am 7. Februar (Falkenhagen/Queck)


Ukrainische Präsidentschaftswahlen 2010 -

Von der ersten Wahlrunde zur Stichwahl am 7. Februar

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, 26. Januar 2010


Die erste Runde der ukrainischen Präsidentschaftswahlen ging am 17. Januar 2010 relativ reibungslos über die Bühne. Ihr korrekter Verlauf wurde auch von westlichen Wahlbeobachtern bestätigt. Gewählt wurde in 225 Wahlbezirken. Die Wahlbeteiligung lag bei 66,72 % (für 2004 wurde sie mit 77,19 % angegeben). In die Wählerregister aufgenommen waren 36 881 300 Wähler. Es wurden 24,588 Mio. Stimmen abgegeben. 1,64% der abgegebenen Stimmen waren ungültig.

Auf die 18 Präsidentschaftskandidaten entfielen in Prozentsätzen der abgegebenen Stimmen:

Viktor Janukowitsch
Julija Timoschenko
Sergij Tigipko
Arsenij Jasenjuk
Viktor Juschtschenko
Petro Simonenko
Wolodimir Litwin
Oleg Tjagnibok
Anatolij Grizenko (Hryzenko)
Inna Bogoslaws'kja
Oleksandre Moros
Jurij Kostenko
Ljudmila Suprun
Wasil' Protiwsich
Oleksandre Pabat
Sergij Ratuschnjak
Michajlo Brods'kij
Oleg Rjabokon'
35,32
25,05
13,06
6,96
5,45
3,55
2,35
1,43
0,41
0,41
0,38
0,22
0,19
0,16
0,14
0,12
0,06
0,03

Keinen Kandidaten unterstützten 2,20 % der Wähler. Sie gaben ihre Stimme gegen alle ab.


Die Wahlprognosen haben sich im Wesentlichen bestätigt. Viktor Janukowitsch und Julija Timoschenko gehen am 7. Februar in die Stichwahl. Sergij Tigipko liegt an 3. Stelle. Die Hoffnungsträger des Westens, Arsenij Jasenjuk, und der amtierende Präsident Viktor Juschtschenko, liegen abgeschlagen auf dem 4. und 5. Platz, obwohl sie einen Spitzenwahlaufwand betrieben haben. Jasenjuk allein mit 125 Mio. USD von insgesamt 800 Mio. USD offen gelegter Wahlkampfkosten der ersten Runde. Juschtschenko konnte aus der Öffentlichkeit unbekannten Privatfonds den höchsten Wahlwerbeaufwand aller Kandidaten betreiben. Ein großer Erfolg der ersten Wahlrunde war, so schätzen viele Ukrainer ein, dass dem Politgaukler Juschtschenko eine eindeutige Abfuhr erteilt wurde. Selbst von seinen Anhängern und seinem Machtapparat organisierte Wahlmanipulationen und -fälschungen konnten ihn nicht auf über mehr als 5,45 % der Stimmen bringen. Sein ursprüngliches Wahlrating betrug nicht mehr als 3 % der Wählerstimmen. Diese Prozentzahl dürfte das wahre ungeschminkte Abstimmungsverhalten für ihn auch am 17. Januar gewesen sein..

Da keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen erringen konnte, wird es am 7. Februar 2010 zur Stichwahl zwischen den beiden Erstplatzierten, nämlich dem Führer der Partei der Regionen, Janukowitsch und der Premierministerin und Führerin des "Blocks Julija Timoschenko" (BJUT), Frau Timoschenko, kommen.

Wenn die Stichwahl am 7. Februar ordnungsgemäß verläuft und das Wahlergebnis dann fair ermittelt und anerkannt wird, es also keine Streitigkeiten wegen Wahlmanipulation, Wahlfälschungen u.ä. gibt, hätte die Demokratie in der Ukraine nach objektiver Bewertung einen Sieg errungen. Juschtschenko hat in seiner Stellungnahme vom 20. Januar aus seiner Sicht recht, wenn er erklärte, dass seine westorientierte Politik eine schwere Niederlage erlitten hat und der NATO-Beitritt der Ukraine in weite Ferne gerückt sei. Juschtschenko sprach dabei auch von einer "Niederlage der Unabhängigkeit der Ukraine". Das ist aber aus dem Munde eines Politikers, der sein Land der NATO ausliefern will, pure Heuchelei und Bürgerverarschung.


Zur Bewertung der Wahlen am 17. Januar sind die Wahlbeteiligung und das Abschneiden der beiden Sieger der 1. Wahlrunde nach Regionen von Relevanz.

Die höchste Wahlbeteiligung war im Gebiet von L'wow mit 73 %, die zweit höchste im Wolynsker Gebiet und Lugansker Gebiet mit 71 %, die niedrigste im Transkarpatischen Gebiet mit 56 %, die zweitniedrigste im Gebiet von Schitomir und im Gebiet von Odessa mit jeweils 62 % zu verzeichnen. Auf der Krim lag die Wahlbeteiligung bei 63 % und in Kiew bei 66 %, im Donezer Gebiet bei 69 %.

Der Anteil der beiden Endrundenkandidaten an den abgegebenen Wählerstimmen lag nach Gebieten und Städten bzw. nach der Autonomen Republik Krim in Prozent wie folgt:



Gesamtukraine:

Gebiet Iwano-Frankivsk
Gebiet Lwow
Gebiet Volyn'
Gebiet Ternopol (Ternopil)
Gebiet Rovno (Rivne)
Gebiet Winnizja
Gebiet Chmelnitzki
Gebiet Tscherkassy
Gebiet Tschernigow
Gebiet Tschernivci
Gebiet Sumy
Gebiet Schitomir (Schitimir)
Gebiet Poltava
Gebiet Kirovohrad
Gebiet Zakarpatija
Gebiet Cherson
Gebiet Dnepropetrowsk
Gebiet Zaporoschje
Gebiet Nikolajew (Mikolajiv)
Gebiet Charkow
Gebiet Odessa
Gebiet Lugansk
Gebiet Donez
Gebiet Kiew
Stadt Kiew
Autonome Republik Krim
Stadt Sewastopol
Janukowitsch 35,32   
5,11   
5,81   
9,18   
9,94   
12,58   
14,98   
15,24   
17,48   
19,41   
19,52   
20,57   
23,46   
25,28   
26,57   
29,80   
39,95   
41,72   
50,60   
50,84   
50,88   
51,03   
70,74   
76,04   
15,66   
15,90   
61,19   
56,16   
Timoschenko 25,05  
38,90  
34,22  
54,17  
35,47  
43,99  
47,28  
39,95  
41,26  
43,28  
31,80  
35,17  
33,18  
32,02  
42,40  
26,38  
19,58  
14,70  
12,24  
13,76  
10,45  
10,26  
6,66  
4,36  
42,40  
35,75  
12,00  
6,52  

(s. auch www.rada.kiev.ua unter Präsidentenwahlen 2010)


Der Stimmenanteil lag für Janukowitsch im Osten und Süden der Ukraine durchschnittlich höher, der von Frau Timoschenko im Westen, Nordosten und in der Mittelukraine höher.

Es gab, insbesondere in der Zentralregion der Ukraine und Nordukraine auch Hochburgen anderer Kandidaten wie Tigipko. Tigipko schnitt auch in der Ostukraine relativ gut ab. Interessant ist das Abschneiden der beiden Erstplatzierten im Transkarpatischen Gebiet (Gebiet Zakarpatija) mit der Stadt Ushgorod. Dieses Gebiet zählt als der westlichste Teil der Ukraine zu den Hochburgen des ukrainischen Nationalismus. Da sich unter den ukrainischen Nationalisten EU-Angst ausbreitet, u.a. wegen drohender Restitutionsforderungen von Polen, Juden und auch Deutschen (Nachkommen der Wolhynien-Deutschen), aber auch z. B. seitens von Ungarn, die sogar ungeniert Gebietsforderungen an die Ukraine stellen, wurden dort die Kandidaten nur schwach gewählt, die offen für einen EU-Beitritt der Ukraine eintreten. Kandidaten wie Juschtschenko und Jasenjuk erhielten von den ukrainischen Nationalisten viel weniger Wählerstimmen als erwartet. Die Position von Frau Timoschenko wird in dieser Frage in nationalistischen Kreisen der Ukraine als ambivalent beurteilt. Deswegen schnitt sie u.a. in Transkarpatien noch mit 26,38 % einigermaßen manierlich ab, war aber Janukowitsch unterlegen, der dort auf 29,80 % der Stimmen kam.


Was ist von einer Stichwahl zwischen Frau Julia Timoschenko und Viktor Janukowitsch am 7. Februar zu erwarten?

Da Frau Timoschenko nicht als Westlerin wahrgenommen wird, ist sie auch für die nationalistischen Schichten der anderen westukrainischen Gebiete wählbar.

Frau Timoschenko spekuliert bei der Stichwahl auf die Mobilisierung von Anhängern (Wählern im 1. Wahlgang) anderer Präsidentschaftskandidaten wie Tigipko, aber auch von Litwin, Moros, Bogoslowska und Suprun. Tigipko hat sie den Posten des Premierministers angeboten, was eine gute Wahl wäre, da Tigipko über umfassende Erfahrungen in der Regierungsarbeit verfügt. Tigipko hat aber auch eigene Ambitionen. So gründete er am 22. Januar 2010 einen politischen Block unter seinem Namen, der bei den anstehenden Wahlen in den Gebieten, Rayons und Kommunen sowie auch bei der nächsten Wahl zum Zentralparlament eine starke Position erringen will. Tigipko erklärte auch sein Interesse, Oberbürgermeister von Kiew zu werden. Dort hat er am 17. Januar einen Stimmenanteil bekommen, der dem von Frau Timoschenko nahe kam. Janukowitsch rechnet bei der Stichwahl auch mit den Stimmen von Tigipko-Wählern der ersten Runde, aber auch von Jasenjuk-Wählern. Es gibt z.B.ein Angebot an Jasenjuk als Premierminister unter einem Staatspräsidenten Janukowitsch.

Die Juschtschenko-Partei "Unsere Ukraine" und die Wähler von Juschtschenko, auch die Anhängerschaft von Jasenjuk, Tjagnibok, Grizenko und Kostenko (alle fünf gelten als prowestlich) sind offensichtlich in der Frage der Unterstützung von Kandidaten uneinig. Juschtschenko als Vorsitzender von "Unsere Ukraine" wendet sich gegen beide Endrundenkandidaten. So hatte er am 23. Januar sogar einen Aufruf an das ukrainische Volkerlassen, am 7. Februar gegen alle Kandidaten (gegen alle) zu stimmen oder nicht zur Wahl zu gehen. Die Simonenko-Wähler der 1. Runde werden sich sicherlich in ihrer Mehrheit für Janukowitsch als pro-russischen Politiker entscheiden. Die Litwin-Wähler sind gespalten.

Für Janukowitsch hängt viel davon ab, wie er in den mehr auf Russland orientierten Bevölkerungsteilen die Wahlbeteiligung noch erhöhen kann. Er kann mit nationalen Losungen und Warnungen vor einem EU-Beitritt auch in der Westukraine noch punkten, indem er z. B. auf anstehende Restitutionsforderungen verweist, was die Wahlagitatoren von Frau Timoschenko natürlich auch tun. Die Frage ist, wer dies glaubwürdiger vermitteln kann. Janukowitsch gibt sich als Politiker eines hocheffizienten und sozialorientierten Kurses in Politik und Wirtschaft und er tritt für die russische Sprache als zweite Staats- und Amtssprache ein. In der geltenden ukrainischen Verfassung ist nur Ukrainisch als Staats- und Amtssprache genannt, obwohl eine sehr großer Teil der Bevölkerung der Ukraine (über 50 %) Russisch spricht, über 30 % der Bevölkerung sich ihrer Nationalität nach als ethnische Russen betrachten. Auf der Krim wird z.B. fast ausschließlich Russisch gesprochen.

Frau Timoschenko hat den Vorteil, immer mehr als pragmatische und noch stärker als Janukowitsch auf soziale Gerechtigkeit orientierte Politikern wahrgenommen zu werden. Sie hat anscheinend erkannt, dass der wirtschaftliche und soziale Erfolg der Ukraine mehr und mehr davon abhängt, dass sich die Ukraine nicht einseitig an den von Krisen geschüttelten Westen binden sollte, sondern mehr auf die großen Entwicklungsperspektiven des GUS-Raums, Asiens und der islamischen Staaten im Süden und Südosten der Ukraine orientieren müsste. Dabei kommt ihr ein hohes soziales Engagement für die Bevölkerung zugute. Sie wird zweifellos mit ihrem Programm der Ausgabe von etwa 1 Mio. kostenloser Landurkunden an ukrainische Bürger punkten. Es handelt sich um eine Art von Privatisierung von Grund und Boden für breite Volkschichten. Ihr Image hat als Premierministerin aber unter den Weltfinanz- und Wirtschaftskrise gelitten, die auch die Ukraine schwer getroffen hat. Sie hat von den gehässigen Anfeindungen ihres einstigen Maijdan-Partners der sogenannten "orange Revolution" Juschtschenko aus dem Jahre 2004 jetzt in der ersten Wahlrunde stark profitiert. Dieser Wahlvorteil könnte aber in der Stichwahl verloren gehen, da Juschtschenko als noch amtierender Staatspräsident seine verbalen Attacken ab dem 18. Januar gleichermaßen gegen Frau Timoschenko und Janukowitsch richten wird.

Schon jetzt deutet sich an, dass die Stichwahl weit problematischer verlaufen wird, als die erste Wahlrunde. Die BJUT, der Block von Frau Timoschenko, hatte zusammen mit dem Block "Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes" noch auf den letzten 7 Parlamentssitzungen vom 13.-22. Januar 2010 Änderungen des "Gesetzes über die Wahl des Präsidenten der Ukraine" beantragt, durch die z. B. die Stimmzettel der Wähler strikter und restriktiver kontrolliert und gehandhabt werden, die über fliegende Urnen, z. B von bettlägerigen Kranken, eingesammelt werden, bzw. die die Wähler schärfer kontrollieren sollen, die die Wahl mittels Talons an Nicht-Wohnorten vollziehen. Da es nicht zu diesen Änderungen gekommen ist, redet die BJUT jetzt davon, dass am 7. Februar ehrliche, transparente und offene Wahlen nicht gewährleistet seien. Das muss schon als Vorgriff gewertet werden, dass falls Janukowitsch am 7. Februar in den Stimmenauszählungen vorne liegt, das Ergebnis angefochten wird. Auch Schmutzkampagnen deuten sich an. So wird Janukowítsch vorgeworfen, ungesetzlich ein Gebäude gepachtet zu haben, das ein Regierungsgebäude gewesen sei. Solche Erscheinungen könnten für die Ukraine zur Zerreißprobe werden. Der noch amtierende Präsident Juschtschenko scheint sich erhaben darüber zu erheben, spielt hier aber seine bekannten Gaunerstücke der politischen Intrige, indem er beide, Janukowitsch und Frau Timoschenko, gegeneinander auszuspielen versucht. Einmal glaubt er, dass sein Aufruf, am 7. Februar gegen beide, Janukowitsch und Timoschenko, zu stimmen oder nicht zur Wahl zu gehen, Erfolg haben könnte und damit die Wahlen für ungültig erklärt werden, er spekuliert aber auch auf einen Kopf-an-Kopf-Wahlausgang am 7. Februar, mit anschließenden Streitereien über den Wahlsieg und über Wahlfälschungen der beiden Endrundenkandidaten. Er könnte das zu seinem eigenen Machterhalt ausnutzen. Das deutete Juschtschenko schon in einem Statement vom 20. Januar an, in dem er zwar die Wahlen lobte, nachdem er sie kurz vorher als "Niederlage für die ukrainische Unabhängigkeit" bezeichnet hatte, aber schon auf Wahlbetrugsmöglichkeiten bei der Stichwahl hinwies, weshalb er auch nicht beabsichtigen würde, aus der Politik auszusteigen!! Er wolle weiter als Garant der ukrainischen Verfassung eine wichtige Rolle in der ukrainischen Politik spielen, (s. www.president.gov..ua/news/16457.html) erklärte er.

Die polnische Zeitung "Gazeta wyborcza", Warschau, vom 20. Januar kommentierte das bereits in einem Beitrag von Roman Imielski dahingehend, dass Juschtschenko wegen ungeklärter Rechtsfragen bei der Stichwahl noch mindestens ein Jahr, wenn nicht über 5 Jahre weiter das Amt des ukrainischen Präsidenten bekleiden könnte. Juschtschenko hat dabei offensichtlich z. B. im Auge, dass in der Zentralen Wahlkommission durch die Erreichung der Altersgrenze (Emeritur) eines Mitglieds die Janukowitsch-Anhänger dort eine Mehrheit von 8 zu 7 erhalten (wodurch Streit mit Frau Timoschenko vorprogrammiert sein könnte), er spekuliert auf ein Verwirrspiel vor den Gerichten, und er hat immer noch sein Staatsstreichszenarium in der Hinterhand. Juschtschenko hat schließlich im Oktober 2009 nicht nur den Posten des Generalstabschefs der bewaffneten Streitkräfte ausgewechselt, sondern besetzte auch Anfang Januar 2010 zahlreiche Armeeposten bis zur Funktion von Divisionskommandeuren neu. Ernannt wurden u.a. Generalleutnant V. Mosharovs'kij zum Ersten Stellvertreter des Chefs des Generalstabs, Generalleutnant R. Nurullin zum Chef des Vereinigten Operativkommandos der bewaffneten Streitkräfte der Ukraine, Vizeadmiral I. Kabanenko zum Stellvertreter des Chefs des Generalstabs und Generalleutnant Saman zum Chef des Stabes und Ersten Stellvertreter des Kommandierenden der Landstreitkräfte. (s. www.president.gov.ua/news/16347.html). Dies sollen durchwegs auf den NATO-Beitritt der Ukraine eingeschworene Offiziere sein. Allerdings bestehen die Unwägbarkeiten in den bewaffneten Streitkräften der Ukraine für Juschtschenko fort. Das höhere Offizierskorps besteht zum größten Teil noch aus Offizieren, die ihr Offizierspatent in der Sowjetarmee erhalten haben. Die bewaffneten Kräfte des Innenministeriums unterstehen Innenminister Luzenko, einem Gegner von Juschtschenko. Man stellt sich in der ukrainischen Gesellschaft schon die Frage, warum Juschtschenko kurz vor den Präsidentschaftswahlen, die er nicht gewinnen konnte, solche Kaderrevirements in der Armee vorgenommen hat!!

Die Rolle der Gerichte könnte wieder eine entscheidende Rolle spielen.
Für die Entscheidung von Streitigkeiten über Wahlergebnisse sind laut dem "Gesetz über die Wahl des Präsidenten der Ukraine", wie allgemein bei Wahlen die Verwaltungsgerichte zuständig. Über Klagen entscheiden zunächst die Kreisverwaltungsgerichte an den Orten, wo die Klagen angestrengt werden oder wo Streitigkeiten entstehen und Unregelmäßigkeiten. festgestellt werden, die nicht von den Wahlkommissionen entschieden werden können. Eine besondere Rolle ist dem Kiewer Verwaltungsgericht zugewiesen, da sich in Kiew der Sitz der Zentralen Wahlkommission befindet. Die einzelnen Verwaltungsgerichte werden vom Obersten Verwaltungsgericht der Ukraine organisatorisch und methodisch angeleitet. Es ist auch in letzter Instanz für Urteile zuständig. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit der Ukraine ist derzeit durch Personalquerelen gelähmt. Mitte Dezember 2009 erreichte der bisherige Präsident des Obersten Verwaltungsgerichts, O. Pasenjuk, das Pensionsalter. Seine Nachfolge beansprucht sein Stellvertreter M. Sirosch, ein Anhänger von Juschtschenko und von Frau Timoschenko. M. Sirosch soll, wie bekannt wurde, auf rätselhafte Weise das Petschaft des Gerichts entwendet haben (mit dieser Petschaft bestätigt der Vorsitzende des Obersten Verwaltungsgerichts Gerichtsurteile und sonstige Entscheidungen). Da nicht einfach der Stellvertreter auf einen vakanten Posten des Gerichtspräsidenten nachrücken kann, muss noch den gesetzlichen Vorschriften die Wahl durch ein ukrainisches Richterkollegium erfolgen. Den Vorsitz dafür beansprucht der Präsident des Obersten Gerichts der Ukraine, Onopenko, der als ehemaliger Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei, die dem BJUT angehört und ein Anhänger von Frau Timoschenko ist. Nun wurde als Lösung auch die Einsetzung eines Kollegiums von Veraltungsrichtern betrachtet. Ein solches Kollegium verlängerte gegen Ende Dezember 2009 die Amtszeit von O. Pasenjuk als Präsident des Obersten Verwaltungsgerichts. Das wurde aber von Onopenko in Frage gestellt. Er beharrt darauf, dass ein von ihm geführtes gesamtukrainisches Richterkollegium die Wahl eines neuen Verwaltungsgerichtspräsidenten vornimmt. Wegen der ungeklärten Lage hält sich nach wie vor M. Sirosch, auch offensichtlich mit Zustimmung von Frau Timoschenko, für den kommissarischen Präsidenten des Obersten Verwaltungsgerichts. Das hält aber die Partei der Regionen von Janukowitsch für ungesetzlich. O. Pasenjuk sieht sich weiter durch den Mehrheitsentscheid des Kollegiums der Verwaltungsrichter als legitimiert und will vorerst nicht von seinem Amt zurücktreten, er will damit auch nicht seinem Stellvertreter das Feld überlassen. Die Fraktion der Partei der Regionen hat nun im Parlament die Einsetzung eines unabhängigen Richterkollegiums beantragt, das nicht unter der Regie des Präsidenten des Obersten Gerichts steht. Eine Parlamentsentscheidung konnte aber nicht getroffen werden.

Es wird nun vom Janukowitsch-Lager befürchtet, dass das Oberste Gericht wieder die Entscheidungsbefugnisse über Rechtstreitigkeiten über die Wahlergebnisse in Zusammenhang mit der Stichwahl am 7. Februar an sich zieht und sich dann für Janukowitsch das Szenario von Dezember 2004 mit einer eventuell angeordneten 3. Wahl wiederholt, oder dass es noch schlimmer kommt und die Wahl auf Druck des amtierenden Staatspräsidenten Juschtschenko auf unbestimmte Zeit für ungültig erklärt wird. Mit Onopenko fungiert zwar nicht mehr der Präsident des Obersten Gerichts von 2004, dennoch sieht die Partei der Regionen und damit das Janukowitsch-Lager den Präsidenten des Obersten Gerichts der Ukraine, Onopenko, als befangen an. Er könne, so verlautete, bei einem umstrittenen Wahlausgang am 7. Februar kein unparteiisches Urteil gewährleisten, genau so wie im Dezember 2004 unter dem Druck der Straße und von EU- und OSZE-Vertretern seitens des Obersten Gerichts kein unparteiisches Urteil zustande gekommen sei.

Nun erwartet offensichtlich, wie schon gesagt, Juschtschenko, dass er nach den Stichwahlen auf Grund ungeklärter Rechtsverhältnisse noch mindestens ein Jahr, wenn nicht länger, sogar bis zu 5 Jahren, ukrainischer Präsident bleiben kann. Eigentlich dürfte er das nicht, weil die Verfassung bei ungeklärter Präsidentschaft vorsieht, dass der Parlamentsvorsitzende; das wäre Litwin, das Amt bis zu einer Neuwahl des rechtmäßigen Staatspräsidenten ausübt. Aber Juschtschenko ist dafür bekannt, dass er sich über Verfassungsbestimmungen gerne hinwegsetzt.

So wie es aussieht, macht Juschtschenko jedoch derzeit Schwankungen in seiner Haltung durch.
Am 22. Januar erklärte er sich grundsätzlich bereit, das Wahlergebnis sowohl vom 17. Januar als auch vom 7. Februar zu akzeptieren und anzuerkennen. Er ergriff für keinen der beiden Erstplazierten Partei, sondern erklärte, dass beide für die Ukraine von Übel seien, beide würden ein unukrainisches Projekt vertreten. Beide würden den euroatlantischen Prozess blockieren, beide würden die ukrainische Wirtschaft ruinieren und weitere große Staatsschulden verursachen, die künftige Generationen belasten. Die Ukraine würde unter beiden unter der Bedrohung des Bankrotts von Naftogaz, dem Verlust des Eigentums an der Erdöl- und Ergastrasse stehen, das Projekt Odessa - Brody, also die Errichtung der südlichen Umgehungs-Trasse für Erdgas und Erdöl würde auf Eis gelegt, die russische Militärpräsenz verewigt, die ukrainische Kultur und Sprache marginalisiert und "die Freiheit des Wortes und die Verfassung bedrohT" sein. Derartige Verbalattacken auf Frau Timoschenko und Janukowitsch nehmen zu. Juschtschenko sagte, er wolle vom Präsidentenposten scheiden, um auf ihn zurückzukehren. Dann provozierte er Russland am 22. Januar 2010 mit der Verleihung des Titels "Held der Ukraine" an den Nazikollaborateur Bandera und verweigerte die persönliche Unterschrift unter die Ernennungsurkunde des neuen russischen Botschafters in Kiew, Zurabow. Vom 22. Januar stammt auch ein Interview, das Juschtschenko dem Telekanal "Inter" gewährte. Er sagte dort über den Wahlausgang: "Nicht mein Kurs hat gesiegt, gesiegt hat der Populismus. Nicht mein System der Werte hat gesiegt, für das ich vor fünf Jahren als Präsident angetreten bin. Damit hat auch nicht eine strategische Politik, sondern eine kurzsichtige Politik gesiegt." Juschtschenko erhob den Vorwurf des Populismus und des Bruchs des Wertesystems sowohl gegen Frau Timoschenko, als auch gegen Janukowitch (www.president.gov.ua/news/16475.html).

Die Deutung dieser Worte von Juschtschenko verheißt für die ukrainische Öffentlichkeit nichts Gutes. Den vorläufigen Höhepunkt erreichte Juschtschenko nun mit dem schon genannten Aufruf an das ukrainische Volk, am 7. Februar 2010 gegen beide Kandidaten zu stimmen oder die Wahl zu boykottieren.


Wie ist nun die Haltung Russlands in diesem Zusammenhang einzuschätzen?

Die russische Regierung hat erklärt, dass sie sich nicht in den Prozess der ukrainischen Präsidentenwahlen einmischen will. Sie drängte jedoch bei den Präsidentenwahlen auf die strikte Einhaltung demokratischer Regeln und des geltenden Wahlgesetzes und beobachtet den Wahlprozess unter diesen Aspekten sehr genau. Moskau hat keine Ambitionen, sich die Ukraine in irgendeiner Form politisch abhängig zu machen. Es will aber eine Ukraine, die keine Basis für Militäraggressionen gegen Russland bietet. Russland hat mehrfach erklärt, dass es mit der Ukraine wirtschaftlich und kulturell auf gleichberechtigter Basis zum gegenseitigen Vorteil kooperieren will. In Moskau werden auch keine Einwendungen gegen einen militärisch neutralen (nichtpaktgebundenen) Status der Ukraine erhoben. Es zeigt gegenüber beiden Kandidaten der Endrunde der Präsidentenwahl Äquidistanz. Mit anderen Worten, der russischen Regierung unter Putin und auch dem russischen Präsidenten Medwedjew dürfte es relativ gleichgültig sein, ob Frau Timoschenko oder Janukowitsch Präsidentin bzw. Präsident der Ukraine wird. Ihnen kam und kommt es entscheidend darauf an, das Juschtschenko abgewählt wird und definitiv aus dem Präsidentenamt ausscheidet. Eine gute Zusammenarbeit mit der Ukraine erhofft sich Moskau sowohl mit Frau Timoschenko als auch mit Janukowitsch als Staatsoberhaupt der Ukraine. Zudem wird die Funktion des ukrainischen Präsidenten oder einer ukrainischen Präsidentin in Moskau auch nicht überbewertet. Laut der geltenden ukrainischen Verfassung sind die Befugnisse des Präsidentenamts durch das parlamentarische Regime der Ukraine ohnehin beschränkt. Die Errichtung eines Präsidialregimes drohte und droht eher von Seiten Juschtschenkos.

Bedenken und Besorgnis löste in Moskau jedoch die Einmischung des georgischen Präsidenten Saakaschwili in den ukrainischen Wahlkampf aus und eine damit im Zusammenhang stehende Entsendung einer georgischen Spezialeinheit von etwa 1000 Mann, die sich als Wahlbeobachter tarnten und bis zu den Stichwahlen im Lande bleiben wollen. Die Einmischung der georgischen Regierung kam auf der Parlamentsitzung am 20. Januar zur Sprache. Allerdings ist das sicherlich nur die Spitze des Eisberges massiver Infiltrationsversuche von westlichen Geheimdiensten und anderen Spezialkräften des Westens im Zusammenhang mit den Wahlen in der Ukraine ! Insbesondere die Partei der Regionen, auch die Kommunisten, befürchten ein Aktivwerden dieser Spezialkräfte bei den Stichwahlen am 7. Februar zu Gunsten von Frau Timoschenko. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass diese Spezialeinheiten mehr dem amtierenden Präsidenten Juschtschenko bei seinen eventuellen Machenschaften zur Verfügung stehen sollen!!
Was den Westen betrifft, so ist man dort allgemein mit der Entwicklung unzufrieden. Man hätte sich einen Machterhalt Juschtschenkos oder als Alternative eine Präsidentschaft Jasenjuks gewünscht.

Angesichts der realen Entwicklung in der Ukraine ist es auf jeden Fall ratsam, dass sich der Westen seiner Einmischungsversuche in die Präsidentenwahlen am 7. Februar und danach enthält. Eine Wiederholung eines Szenarios, wie es im Dezember 2004 stattgefunden hatte, könnte zu ernsthaften Gegenreaktionen Moskaus führen. Es dazu kommen zu lassen, wäre ein politischer Fehler. Der Westen braucht die Kooperation mit Russland politisch und wirtschaftlich auf vielen Gebieten. In bestimmten Bereichen ist insbesondere Westeuropa sogar vom Wohlwollen und guten Willen Moskaus abhängig, nicht nur wegen der Erdgas- und Erdölversorgung, sondern auch bei der Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise und auch beim Antiterrorkampf. Moskau hat sich z. B. bis jetzt der Unterstützung des Widerstandskampfes in Afghanistan gegen die USA und ihre Verbündeten enthalten. Es wäre außerordentlich töricht, jetzt z. B. zu versuchen, Juschtschenko in seinen Staatsstreichsabsichten zu unterstützen oder auf eine gewählte Präsidentin Tímoschenko Druck auszuüben, die Ukraine schnell in die NATO zu überführen.

Man kann auf Grund der Wahlergebnisse am 17. Januar 2010 einschätzen, dass sich die Ukrainer auf einem guten demokratischen Wege befinden. Juschtschenko ist es bisher nicht gelungen, mit undemokratischen Machenschaften durchzukommen. Er scheiterte bis jetzt an der demokratischen Reife und an der Resistenz des ukrainischen Volkes gegen dieses Vorgehen.


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Über die Autoren

Brigitte Queck ist ausgebildete Wissenschaftlerin auf dem Gebiet Außenpolitik und als Fachübersetzer Russisch und Englisch sowie publizistisch tätig. Seit 10 Jahren leitet sie den Verein "Mütter gegen den Krieg Berlin-Brandenburg".
Brigitte Queck hat zwei erwachsene Kinder und vier Enkel.

Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen wurde 1932 in Köln geboren und lebte ab 1936 in Radebeul bei Dresden. 1943 trat er in ein Gymnasium ein. Im Februar 1945 erlebte er die drei aufeinander folgenden Bombenangriffe auf Dresden.
Nach dem Abitur 1951 in Rostock studierte er Ökonomie und slawische Sprachen und war seit 1957 bis 1995 im öffentlichen Dienst tätig, insbesondere als Übersetzer, Dokumentarist und Länderbearbeiter. Er arbeitete in Auslandsinformationsabteilungen von Ministerien der ehemaligen DDR, zuletzt im Ministerium der Finanzen und für die Staatsbank der DDR. Seine Arbeitssprachen sind auch Englisch, Französisch und Rumänisch. Übersetzt hat er aus 12 Fremdsprachen, davon 9 slawische Sprachen. Er hat auch als Buchübersetzer für Verlage und als Journalist für Wirtschaftszeitungen gearbeitet. Seine Promotion erfolgte in diesem Rahmen.
Von 1990 bis 1995 war er Referent in einem Referat für ausländische Finanzen und Steuern des Bundesministeriums für Finanzen und dabei zuständig für sog. postkommunistische Staaten.
Nach Eintritt in das Rentenalter 1997 suchte er sich neue Interessengebiete und arbeitete als Sprachmittler und Journalist weiter für Zeitungen, Fachzeitschriften für Osteuropa und für Steuerrecht und ist Mitbetreiber der Homepage Goethe-Stübchen. Seit den 70er Jahren bekennt er sich zum Islam.
Dr. Falkenhagen ist verheiratet und hat zwei Kinder.


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Quelle:
Copyright 2010 by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2010