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OZEANIEN/022: Australien - Bei Ankunft Haft, Kinder ohne Papiere nicht ausgenommen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Juni 2012

Australien: Bei Ankunft Haft - Kinder ohne Papiere nicht ausgenommen

von Neena Bhandari

Von links nach rechts: Ali Mohammadi (17) aus Afghanistan, Hussain Akhlaqi (17) aus Indonesien und Mujtaba Ahmadi (18) aus dem Iran - Bild: © Neena Bhandari/IPS

Von links nach rechts: Ali Mohammadi (17) aus Afghanistan, Hussain Akhlaqi (17) aus Indonesien und Mujtaba Ahmadi (18) aus dem Iran
Bild: © Neena Bhandari/IPS

Sydney, 18. Juni (IPS) - Als der 17-jährige Indonesier Hussain Akhlaqi vor elf Monaten zusammen mit mehr als 100 Bootsflüchtlingen die australische Küste erreichte, wurde er gleich ins Haftzentrum auf Christmas Island überstellt. Dem gleichaltrigen Afghanen Ali Mohammadi und dem 18-jährigen Mujtaba Ahmadi, die ebenfalls eine lange und gefährliche Reise hinter sich gebracht hatten, blühte das gleiche Schicksal.

Australien unterscheidet sich mit der systematischen und unbefristeten Zwangshaft in entlegenen Regionen deutlich von den meisten anderen Unterzeichnerstaaten der Flüchtlingskonvention des Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) der Vereinten Nationen von 1951 und des Protokolls über die Rechtstellung von Flüchtlingen von 1967.

Während in vielen Staaten Migranten unterschiedlich lang illegal festgehalten werden, ist Australien möglicherweise das einzige Land, in dem die Haft erwachsener und Kinderflüchtlinge bis zur Klärung ihres Status zwingend ist. Ein Prozess zur Anerkennung als Flüchtling oder Asylsuchender kann Monate wenn nicht gar Jahre in Anspruch nehmen.


Kampagne gegen Inhaftierung von Flüchtlingskindern

Praktiziert wird diese umstrittene Politik bereits seit 20 Jahren. Diesen runden Geburtstag hat die Menschenrechtsorganisation 'International Detention Coalition' (IDC) nun zum Anlass genommen, um eine weltweite Kampagne gegen die Gefangenschaft von Kindern in Migrantenauffanglagern anzustoßen. Der IDC gehören 250 Mitglieder in 50 Ländern an.

"Allmählich verbreitet sich die Ansicht, dass die Festnahme von Einwanderern nicht nur den Betroffenen schadet, sondern auch dem Ansehen Australiens", meint dazu der IDC-Chef Grant Mitchell. Wie er betont, gibt es keine Anzeichen dafür, dass der Zwangsaufenthalt in den Migrantenhaftzentren zu einem Rückgang der Zuwanderer geführt hat. Vielmehr seien die Haftzeiten mit einem hohen finanziellen und menschlichen Aufwand verbunden.

Im letzten Finanzjahr hatte die australische Regierung mehr als 772 Millionen australische Dollar (757 Millionen US-Dollar) für den Betrieb der Haftanstalten ausgegeben. Die Einwanderungsbehörde hat bestätigt, dass der Vierjahresvertrag mit 'Serco Australia Pty Ltd', einem privaten Betreiber der landesweiten Haftlager, den australischen Staat mehr als eine Milliarde Dollar kostet.

Hussain gehört zu den Glücklichen, die nach drei Monaten frei kamen. Doch auch ihn hat die Gefangenschaft gezeichnet. "Ich fühlte mich in dem Haftzentrum schrecklich eingesperrt ", berichtet er. "Und leide bis heute unter Depressionen."

Hussain hatte als Fünfjähriger durch einen Anschlag der Taliban auf sein Dorf in der afghanischen Provinz Bamiyan Eltern und Geschwister verloren. Lediglich eine ältere Schwester und ein jüngerer Bruder überlebten. Er wuchs bei einem Onkel auf, musste irgendwann die Schule abbrechen und arbeiten.

Seine Schwester verkaufte ihren Schmuck, um ihrem Bruder zu helfen, das Geld für die Reise aufzubringen. 40 Tage lang war der Teenager auf seinem langen Weg über Dubai, Malaysia und Indonesien unterwegs, bis er Australien erreichte. Inzwischen teilen sich Hussain, Ali und Mujtaba, die sich im Haftzentrum auf Christmas Island kennengelernt hatten, ein kleines Appartement. Das Zusammenleben gibt ihnen Trost.

"Wir mussten auf unserer gefährlichen Reise auf engem Raum mit wenig Schlaf und oftmals ohne Nahrung auskommen. Nach einer solchen Tortur in Australien weggesperrt zu werden, war einfach beängstigend", berichtet Ali, der vor zehn Monaten nach Australien kam. "Ich fragte mich noch immer, was ich nur verbrochen habe, dass man mich weggesperrt hat. Ich habe doch nichts weiter getan als zu fliehen und hier Schutz zu suchen", meint er.

Mujtaba ist der Sohn afghanischer Flüchtlinge im Iran. "Obwohl ich nach einem Jahr Haft endlich frei bin, fühle ich mich mental immer noch beengt. Ohne Schlaftabletten mache ich kein Auge zu", betont er.

Viele Flüchtlinge kennen dieses Gefühl von Beklemmung, Angst und Ausgeliefertsein. Sie leiden unter Depressionen und posttraumatischen Störungen und denken an Selbstmord. Die Trennung von ihren Familien haben sie nicht überwunden.

Wie Paul Power vom Australischen Flüchtlingsrat gegenüber IPS erklärt, ist ein Haftzentrum kein Ort, an dem sich Kinder aufhalten sollten - erst recht nicht nach verstörenden Erlebnissen wie Krieg und Verfolgung. "Wir würden uns wünschen, dass die australische Regierung die Kinder aus den Auffanglagern holt und im Umfeld von Gemeinden unterbringt."


Rund 4.300 Zuwanderer inhaftiert

Die IDC will mit ihrer Kampagne national und international für Aufmerksamkeit sorgen und die australische Regierung zwingen, die Freilassung der Kinder aus den Haftzentren zu beschleunigen. Nach Angaben der Einwanderungsbehörden saßen am 30. April 4.329 Menschen in den 18 australischen Migrantenauffanglagern fest - darunter 463 Kinder und Jugendliche.

Wie der Flüchtlingskoordinator und Sprecher der australischen Sektion der Menschenrechtsorganisation 'Amnesty International', Graham Thom, erklärte, sind die Behörden bemüht, die Haftzeiten für die jungen Leute zu verkürzen. Allerdings gilt dies nur in Fällen, in denen der Minister oder die Ministerin interveniert. Geschieht dies nicht, können die Betroffenen ewig festgehalten werden.

Thom zufolge verstößt der Umgang Australiens mit den Flüchtlingskindern- und -jugendlichen gegen nationale und internationale Menschenrechtsabkommen. Die Kinderschutzkonvention schreibt den Staaten vor, zum Wohl der Heranwachsenden zu handeln und ihnen den Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung zu gewährleisten.


Bruch internationaler Konvention

Doch alle diese Rechte werden in den australischen Haftzentren für Flüchtlinge und Migranten verletzt, obwohl es in Artikel 37 der Kinderrechtskonvention explizit heißt, dass Minderjährige ihrer Freiheit nicht willkürlich beraubt werden dürfen und in Fällen, in denen dies dennoch geschieht, gerichtlich dagegen vorgehen können.

Mit der Zwangseinweisung in die Flüchtlingslager verstößt die Regierung zudem gegen dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR), dem Australien beigetreten ist. Auch der ICCPR verbietet willkürliche Festnahmen und räumt den Betroffenen das Recht ein, vor Gericht zu ziehen. Darüber hinaus ist das Recht auf Freiheit Bestandteil der Universellen Menschenrechtscharta. (Ende/IPS/kb/2012)

Links:
http://idcoalition.org/aboutus/
http://www.refugeecouncil.org.au/
http://www.ipsnews.net/2012/06/young-asylum-seekers-arrive-to-nightmare-detention/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2012