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OZEANIEN/038: Papua-Neuguinea - Stammeskriege treiben Hunderttausende in die Flucht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. August 2015

Papua-Neuguinea: Stammeskriege treiben Hunderttausende in die Flucht

von Catherine Wilson


Bild: © Catherine Wilson/IPS

Seit mehreren Monaten bekämpfen sich verfeindete Stammesclans in der Östlichen Hochland-Provinz Papua-Neuguineas
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OROKA, PAPUA-NEUGUINEA (IPS) - Von den Häusern im Dorf Kenemoto in der gebirgigen Provinz Östliches Hochland sind nur noch verkohlte Fundamente übrig geblieben. Seit viereinhalb Monaten bekämpfen sich in diesem Teil des südwestpazifischen Inselstaats Papua-Neuguinea vier Clans des Kintex-Stammes nicht nur mit Pfeil und Bogen, sondern auch mit hochmodernen Waffen. Bislang wurden neun Menschen getötet, darunter ein kleiner Junge.

Vor allem Frauen und Kinder sind durch die Gewalt stark traumatisiert worden. "Wir können keine Nahrungsmittel mehr vom Feld einholen, und unsere Kinder gehen nicht mehr zur Schule", sagt Aulo Nareo aus Kenemote. "Es gibt weder Freiheit noch Sicherheit."


Bild: © Catherine Wilson/IPS

Für die Kinder in den Kampfgebieten fällt der Schulunterricht aus
Bild: © Catherine Wilson/IPS

Die Gefechte brachen Ende April aus, nachdem ein Clan einer anderen Stammesgruppe vorgeworfen hatte, Mitglieder der Dorfgemeinschaft durch Gift oder Hexerei getötet zu haben. Die Kämpfer des siegreichen Clans haben mittlerweile mit ihren Waffen inmitten der Überreste der niedergebrannten Häuser Quartier bezogen.

Die Anhänger der anderen drei Gruppen, die drei Viertel der etwa 1.500 Einwohner Kenemotos ausmachen, sind geflohen. Sie harren in provisorischen Siedlungen in der nahegelegenen Stadt Goroka aus oder sind von Verwandten aufgenommen worden.

"Unsere Häuser sind abgebrannt und alles Eigentum zerstört. Wir wollen Frieden, aber die Leute aus dem anderen Clan provozieren uns weiter. Wir werden Jahre brauchen, um die Verluste auszugleichen. Wer uns Frieden bringen kann, wissen wir nicht", erklärt Häuptling Lim Nareo.


Frieden nicht in Sicht

Vertreter der Polizei und des Roten Kreuzes im Östlichen Hochland versuchen derweil zu vermitteln, um wieder Frieden zwischen den Clans herzustellen. Bis dahin wollen die Mitglieder von Lim Nareos Clan das Gebiet nicht verlassen, weil sie weitere Angriffe befürchten. Die Vertriebenen können bis auf Weiteres nicht zurückkehren.

Die Fehde in Kenemoto ist nicht die einzige Auseinandersetzung in der Provinz mit etwa 589.000 Einwohnern. Laut der lokalen Polizeikräfte sind mindestens 30 weitere Konflikte in vollem Gange. Seit zwei Jahren stellt das Rote Kreuz Behelfsunterkünfte, medizinische Versorgung, Wasser und Lebensmittel bereit, um die Not der betroffenen Menschen in mindestens vier von acht Distrikten der Provinz zu lindern.

Das Ausmaß des Leides hat sich in den vergangenen 20 bis 30 Jahren vergrößert, da moderne Waffen leichter zugänglich geworden sind. International und lokal agierende Schmugglerbanden liefern den Dorfbewohnern unter anderem M16- und AK-47-Gewehre und Granaten. Viele Menschen in der Provinz beharren darauf, die Waffen für ihren persönlichen Schutz zu benötigen. Denn in den entlegenen ländlichen Zonen, in denen immerhin 80 Prozent der Bevölkerung Papua-Neuguineas leben, kümmern sich die Behörden kaum darum, ob Gesetze eingehalten werden.


Waffen als Statussymbole

Waffen sind für Männer, insbesondere für Jugendliche, zu wichtigen Statussymbolen geworden. Dies habe immer tragischere Folgen, sagt der Rotkreuz-Mitarbeiter Robin Kukuni. Die meisten Dorfbewohner seien nie im Schießen ausgebildet worden. "Sie feuern ihre Waffen wahllos ab und töten viele Frauen und Kinder."

Ethnische Konflikte gehören zu der langen Geschichte von Papua-Neuguinea, wo derzeit etwa 7,3 Millionen Menschen leben, die schätzungsweise 1.000 verschiedenen Völkern und Sprachgruppen angehören. Ausgelöst werden die Kämpfe unter anderem durch Streit um Land und Vieh oder durch Entschädigungsforderungen eines Clans gegen einen anderen. Selbst 40 Jahre nach der Gründung des Staates Papua-Neuguinea ist das Zugehörigkeitsgefühl zu Stammesgruppen weiterhin stark. Vor allem in ländlichen Gebieten werden Streitigkeiten meist unter Berufung auf das Gewohnheitsrecht beigelegt.


Alkoholismus verschlimmert Ausmaß der Kämpfe

In der heutigen Zeit werden die Auseinandersetzungen durch Forderungen nach Gewinnbeteiligungen an lukrativen Bergbau- und Gasförderprojekten verschärft. Die ritualisierten Kampfesmethoden, bei denen etwa Gewalt gegen Frauen und Kinder tabu ist, werden zunehmend durch Guerillataktiken verdrängt. Alkohol- und Drogenmissbrauch tragen dazu bei, dass die Kämpfe immer brutaler geführt werden.

Manche Menschen sind über lange Zeiträume, manchmal bis zu zehn Jahre, im eigenen Land auf der Flucht. Das 'Internal Displacement Monitoring Centre' (IDMC) geht von etwa 22.500 durch Stammeskriege und Naturkatastrophen Vertriebene in Papua-Neuguinea aus. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes befürchtet aber, dass die Zahl in Wirklichkeit noch fünfmal höher sein könnte.

Nach Einschätzung von Lilly Be'Soer, Leiterin der Menschenrechtsorganisation 'Voice for Change', die in dem Konflikt in der nahegelegenen Provinz Jiwaka vermittelt, wird es noch lange dauern, bis ein Frieden gefunden ist und ein Aussöhnungsprozess beginnen kann. 2012 hatte die Organisation in der Provinz einen Friedensschluss zwischen zwei Clans des Kondika-Stammes herbeigeführt, die sich drei Jahre lang bekriegt hatten.


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Seit Ausbruch der Gefechte leiden vor allem Frauen und Kinder unter der unsicheren Lage und dem Mangel an Lebensmitteln
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Be'Soer führt die geglückte Friedensfindung insbesondere darauf zurück, dass 'Voice for Change' Frauen aus den unterschiedlichen Vertriebenengruppen zusammengebracht habe. Bei Versammlungen männlicher Dorfchefs und der Polizei sprachen sie öffentlich über die durch die Kämpfe verschärfte Armut und Unsicherheit. Die Männer hätten dies eingesehen und einen Friedensschluss unterstützt, sagt Be'Soer.

Dennoch gestaltet es sich als schwierig, die rund 500 Vertriebenen an neuen Orten anzusiedeln. Die Frauen wollten unbedingt zu dem traditionellen Land ihrer Männer zurückkehren, um mehr Anerkennung und Schutz zu genießen, so Be'Soer. Zudem befürchteten sie, dass ihre Söhne anderswo keine Grundstücke erhielten.

Nach langwierigen Beratungen wurde zwar eine Einigung erreicht, nach der beide Clans verpflichtet sind, besetztes Land freizugeben und die jeweils andere Gruppe nicht zu diskriminieren. Diese Auflagen werden jedoch nicht eingehalten.

Ein Ende des Leids der Vertriebenen ist somit nicht absehbar. Wie Be'Soer berichtet, haben die Kinder nicht genug zu essen und können nicht zur Schule gehen. Frauen sind nicht in der Lage, sich frei zu bewegen und kommen nur unter großen Schwierigkeiten an Geld und Nahrung. Zudem steigen die Risiken für sexuelle Übergriffe gegen Frauen. In einer Untersuchung über Geschlechterdiskriminierung belegt Papua-Neuguinea unter 187 Ländern Platz 135 - einen der unteren Ränge.

Die durchschnittliche Lebenserwartung in der Provinz Östliches Hochland liegt bei nur 55 Jahren, im Vergleich zu 59 Jahren in der Hauptstadt Port Moresby. Die Sterblichkeitsrate bei unter Fünfjährigen beträgt in der Provinz 73 pro 1.000 Lebendgeburten, in der Hauptstadt hingegen nur 27 pro 1.000. (Ende/IPS/ck/18.08.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/08/clan-wars-increase-displacement-hinder-development-in-papua-new-guinea/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 18. August 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2015

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