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OZEANIEN/039: Kleine Inselstaaten debattieren über ozeanische Identität und Globale Bürgerschaft (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Oktober 2015

Pazifik: Kleine Inselstaaten debattieren über ozeanische Identität und Globale Bürgerschaft

von Shailendra Singh *


SUVA, Fidschiinseln (IPS/IDN) - Diskussionen über die Idee einer 'Globalen Bürgerschaft' gewinnen in internationalen Foren an Dynamik. In den pazifischen Inselstaaten ist dieses Thema jedoch bisher kaum vertieft worden. Ron Israel, Mitbegründer von 'The Global Citizens' Initiative' ist der Überzeugung, dass Globale Bürger über ihr Lebensumfeld und die gemeinsame Identität hinaus denken und sich als Teil einer größeren, aufstrebenden Weltgemeinschaft begreifen.

Im Pazifikraum schlug der aus Tonga stammende Wissenschaftler und Philosoph Epeli Hau'ofa eine gemeinsame regionale Identität vor, die er 'neues Ozeanien' nannte. Darunter fasste er Menschen, die sich ihrer gemeinsamen pazifischen Herkunft bewusst sind, statt sich als Angehörige unterschiedlicher Nationen und Rassen zu verstehen. Nach Auffassung Hau'ofas lebt ein Ozeanier an einem beliebigen Ort im Pazifik und engagiert sich für seine Region, unabhängig von seiner ethnischen Herkunft und Religion.

Diese erweiterte Sicht auf Ozeanien schließt größere Gebiete ein, als dies unter dem Oberbegriff 'Pazifische Inseln' möglich war. Dieses Ozeanien "bildet ein Universum aus sozialen Netzwerken, die den Ozean durchziehen, von Australien und Neuseeland im Südwesten bis zu den Vereinigten Staaten und Kanada im Nordosten". Hau'ofa glaubt, dass eine gemeinsame erweiterte Pazifische Identität von größter Wichtigkeit für die Förderung kollektiver regionaler Interessen sei, einschließlich des Schutzes des lebenswichtigen Pazifischen Ozeans.


Gerechtigkeit, Demokratie, Diversität

Menschen miteinander in Verbindung zu bringen und dazu zu bewegen, zahlreicher aufzutreten, um gemeinsame Interessen zu verteidigen, eint den Ozeanier und den Globalen Bürger. Das letztere Konzept schließt allerdings noch mehr ein: Seine Befürworter verbinden es mit den universellen Werten von Gerechtigkeit, demokratischer Partizipation, Diversität und globaler Solidarität als Bausteine für friedliche, tolerante, inklusive und nachhaltige Gesellschaften.

Kommentatoren in der Region begrüßen diese Ideen, glauben aber, dass bestimmte kulturelle, ökonomische, geografische und historische Hindernisse ihre Umsetzung behindern könnten. Som Prakash, der früher an der University of the South Pacific (USP) Literaturwissenschaften lehrte, sieht einige in der Vorstellung des Globalen Bürgers beinhaltete Werte als unvereinbar mit Geisteshaltungen und Lebensauffassungen in den pazifischen Gesellschaften. Egalitarismus wird als gegensätzlich zu dem hierarchischen Aufbau von Gesellschaften in der Region betrachtet, etwa der Fidschiinseln, wo die Häuptlinge das gesellschaftliche Geschehen bestimmen, oder Tonga, wo ein König regiert.

"Demokratie wird von den traditionell herrschenden Häuptlingen, die mehr Macht ausüben als der normaler Bürger, nicht immer gutgeheißen", meint Prakash. "Oft wird argumentiert, dass Frieden, einer der Pfeiler der Globalen Bürgerschaft, eher durch einen wohlwollenden Diktator garantiert werden könne."

Der ehemalige Vize-Präsident der Fidschiinseln, Ratu Jone, weist allerdings darauf hin, dass in kollektiven pazifischen Gesellschaften wie in Fidschi Gruppeninteressen individuelle Interessen verdrängen. Die Globale Bürgerschaft sieht hingegen Individuen als Akteure des Wandels, da sie "die Notwendigkeit eines globalen Entwicklungsfokus" sehen.

Der in Fidschi lebende Student Duane Mar sieht die oben erwähnten Paradoxe allerdings nicht als Hindernisse. Er ist der Meinung, dass der Pazifikraum von den allgemeinen Problemen auf der Welt in gleichem Maße wie andere Regionen, wenn nicht sogar mehr betroffen ist. "Die Ideale und Gedanken des Globalen Bürgers beziehen sich auf Probleme wie Armut, Klimawandel und Menschenrechte", sagt Mar. "In vielen ländlichen pazifischen Gemeinden sind sich die Menschen der Klimaveränderungen und der Notwendigkeit der Armutsbekämpfung sehr wohl bewusst. Diese Probleme werden in den Gemeinden diskutiert. Dörfer arbeiten oft mit NGOs zusammen, um sie zu lösen."

Kollektivismus, der auf dem Zusammenhalt einer Gruppe basiert, weist zudem eher Gemeinsamkeiten mit der in dem Konzept des Globalen Bürgers enthaltenen Idee der 'voneinander abhängigen Welt' als mit den Dörfern oder Clans auf. Der Globale Bürger, so wie er von der UNESCO und von anderen Institutionen verstanden wird, ist der Ansicht, dass "individuelle und kollektive Handlungen globale Auswirkungen haben, und dass es in seiner Verantwortung liegt, Positives für die Gemeinschaften und den Planeten zu tun."


Drohenden Folgen des Klimawandels begegnen

Die Idee der kollektiven Verantwortung wird sicherlich bei den Pazifik-Völkern Anklang finden, vor allem mit Blick auf die globale Erderwärmung und den Anstieg der Meeresspiegel, die eine ernsthafte Bedrohung für die Region sind. Seit mehr als zehn Jahren drängen Staats- und Regierungschefs der Pazifikländer die Industrienationen auf internationalen Foren, Verantwortung für den Treibhauseffekt zu übernehmen und effiziente Maßnahmen gegen den CO2-Ausstoß umzusetzen. Wie der Präsident von Kiribati, Anote Tong, mehrmals betont hat, trägt die Pazifikregion nur zu drei Prozent zu den Treibhausgasen bei. Viele Inseln drohten durch den steigenden Meeresspiegel jedoch, mittel- bis langfristig im Ozean unterzugehen.

Auf einem Treffen der regionalen Staats- und Regierungschefs gab der Premierminister von Fidschi, Frank Bainimarama, den Industriestaaten die Schuld daran, dass die Region "in eine Katastrophe stürzt". Die industrialisierte Welt müsse ihre Volkswirtschaften und ihre Prioritäten neu ordnen, um nicht weiter überschüssiges CO2 frei zu setzen, das den Planeten aufheizt.

Ein weiteres Treffen in Papua-Neuguinea endete vor Kurzem in einer Pattsituation, nachdem Australien und Neuseeland eine Bitte der tief gelegenen Inselstaaten nach ehrgeizigeren Klimazielen abgelehnt hatten.

Prakash sieht die unnachgiebige Haltung der beiden Länder als neues Beispiel dafür, dass Großmächte sich nachlässig, wenn nicht sogar verächtlich gegenüber der Pazifikregion verhalten. Mar ist allerdings der Ansicht, dass die Inselstaaten in gewisser Weise auch von der Globalisierung profitiert haben. Überhaupt sei das Schicksal der kleinen und isoliert liegenden Staaten mit der übrigen Welt verbunden, wie Hau'ofa bereits erkannt habe. Sicherlich habe er im Sinne des Konzeptes des Globalen Bürgers gedacht, als er folgende Zeilen geschrieben habe: "Wir können den Problemen des 'Pazifischen Jahrhunderts' nicht als einzelne, winzige Länder begegnen, die von Kolonialmächten begründet wurden und die allein handeln. Wir könnten tatsächlich 'von der Landkarte verschwinden' oder in das schwarzen Loch eines gigantischen pan-pazifischen Donuts fallen." (Ende/IPS/ck/09.10.2015)

* Shailandra Singh ist Koordinator und Lehrbeaufragter für Journalismus an der University of the South Pacific (USP) in Suva, Fidschiinseln. Der Inhalt dieses Artikels entspricht möglicherweise nicht den Ansichten der USP.


Link:

http://www.indepthnews.info/index.php/global-issues/2460-pacific-islanders-debating-oceanian-and-global-citizenship

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IPS-Tagesdienst vom 9. Oktober 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2015

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