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RUSSLAND/128: Zentralasien - Gastarbeiter in Russland finanzieren die Heimat (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. Oktober 2010

Zentralasien:
Gastarbeiter in Russland finanzieren die Heimat

Von Kester Kenn Klomegah


Moskau, 11. Oktober (IPS) - Überweisungen aus Russland von Gastarbeitern aus den zentralasiatischen GUS-Republiken in die Heimat haben im Volumen deutlich angezogen. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass die russische Wirtschaft anzieht und wieder mehr Arbeitsplätze für gering Qualifizierte bietet. Russland wird so zum Motor für die gesamte Großregion.

"Aus Russland kommt der größte Teil der Überweisungen von Migranten in viele Länder der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS), vor allem nach Aserbeidschan, Armenien, Kirgisistan, Moldawien, Tadschikistan, Usbekistan und die Ukraine", sagt Nilim Baruah, vom Moskau-Büro der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) "Während der Wirtschaftskrise ging das Volumen deutlich zurück, auch wenn es trotzdem noch relativ hoch blieb."

Die russische Zentralbank spricht von einem Gesamtumfang 2009 von 13 Milliarden Dollar, davon schätzungsweise 729 Millionen nach Armenien, über 1,2 Milliarden nach Aserbeidschan und Moldawien, rund 880 Millionen nach Kirgisistan und mehr als 1,7 Milliarden Dollar nach Tadschikistan.


Ohne Bankkonto

Vor allem Tadschikistan, Moldawien und Kirgisistan sind nach Ansicht Baruahs extrem abhängig von diesen Geldern. In Tadschikistan machten sie 2008 etwa die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts aus. Die ILO geht davon aus, dass 617 Millionen Dollar davon gespart wurden - allerdings nicht auf Bankkonten.

In Umfragen hat die ILO herausgefunden, dass 98 Prozent der Tadschiken kein Bankkonto haben. Hier liege ein ungeheures ungenutztes Potenzial, vorausgesetzt, die Verbraucher hätten Vertrauen in den Bankensektor.


Braindrain

Baruah weist auf das Problem des Braindrain für die zentralasiatischen Republiken hin. "In vielen Bereichen des Arbeitsmarktes gibt es einfach nicht genug Arbeitsplätze. In anderen, wie zum Beispiel in der IT-Branche, in der Medizin und im Baugewerbe, fehlen qualifizierte Bewerber, die dann auch noch teilweise ins Ausland abwandern." In einer Befragung von Führungskräften durch die ILO 2008 sagte über die Hälfte, dass sie in den vergangenen drei Jahren Mitarbeiter verloren hatten, die ins Ausland gegangen waren.

Professor Timothy Edmund Heleniak von der Universität von Maryland in den Vereinigten Staaten hat die Wanderungsbewegungen für die Weltbank untersucht. Er bestätigt die Umfrageergebnisse grundsätzlich. "Ein Großteil ist jedoch nicht permanent, sondern zeitlich befristet. Die meisten würden lieber in der Heimat und in ihrer Volksgruppe bleiben", sagt er.

"Die Volkswirtschaften dort bieten jedoch nicht genügend Jobs. Russland hingegen hat eine schrumpfende Bevölkerung und sucht Arbeitkräfte", so Heleniak. "Langfristig könnten die zentralasiatischen Staaten von einem zeitlich begrenzten Braindrain profitieren, weil ihre Arbeitnehmer im Ausland Wissen aufnehmen, das sie später zu Hause einsetzen können."


Erholung der russischen Wirtschaft

Mit Einsetzen des wirtschaftlichen Abschwungs Mitte 2008 gingen viele Experten in Russland davon aus, dass ein Rückgang der Überweisungen in den zentralasiatischen Republiken die Wirtschaftskrise deutlich verschärfen werde. Im vierten Quartal 2008 gingen die Überweisungen tatsächlich zurück. Inzwischen sind sie aber wieder deutlich gestiegen, weil wieder mehr Arbeitskräfte nach Russland kommen.

Im September bezifferte der Leiter der russischen Migrationsbehörde, Konstantin Romodanovsky, bei einem Termin mit Ministerpräsident Putin die Zahl der nicht registrierten Gastarbeiter in Russland aus den früheren Sowjetrepubliken auf vier Millionen. "Insgesamt sind es fünf Millionen Ausländer, aber nur eine Million ist offiziell gemeldet, der Rest arbeitet in der Schattenwirtschaft", so Romodanovsky. Experten setzen die Zahl der Illegalen sogar mit zehn bis 15 Millionen an.


Schattenarbeiter integrieren

Und es werden nicht weniger werden. Die russische Wirtschaft wächst wieder, gleichzeitig soll es einfacher werden, legal in Russland zu arbeiten, so dass der Zustrom aus den zentralasiatischen Republiken reibungsloser verlaufen kann. Davon profitieren beide Seiten, wie Nilim Baruah von der ILO sagt.

"Vor allem Russland und Kasachstan werden Nutzen daraus ziehen, beide haben Arbeitskräftemangel. Gerade Arbeitsplätze mit körperlicher Arbeit und geringem Einkommen werden nicht mehr von der einheimischen Bevölkerung angenommen. Da stoßen Gastarbeiter in die Lücke", sagt er.

"Die Behörden sollten ein wachsames Auge auf die Arbeits- und Vertragsbedingungen in diesem Sektor haben, damit die internationalen Standards eingehalten werden", so Baruah. "Ziel muss sein, mehr Arbeitskräfte in die formelle Wirtschaft zu integrieren." (Ende/IPS/sv/2010)


Links:
http://www.ilo.org/public/english/region/eurpro/geneva/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=53086

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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2010