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RUSSLAND/142: Putin veröffentlichte Thesen seines Wahlprogramms (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 4 vom 27. Januar 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Präsidentenwahlen in Russland
Putin veröffentlichte Thesen seines Wahlprogramms

von Willi Gerns


Bis zu den russischen Präsidentenwahlen am 4. März verbleiben nur noch wenige Wochen. Der Kandidat mit den größten Chancen ist sicher Wladimir Putin, der dieses Amt bereits zwischen 2000 und 2008 inne hatte und seither Ministerpräsident ist. Nach den Fälschungen zugunsten seiner Partei "Einiges Russland" bei den Duma-Wahlen und den darauf folgenden Massenprotesten ist sein Nimbus als "nationaler Führer" allerdings deutlich verblasst.

2000 siegte Putin bereits im ersten Wahlgang mit annähernd 53 Prozent der abgegebenen Stimmen. Der Grund dafür lag vor allem darin, dass die Menschen nach dem Abgang Jelzins, der Russland mit seinen "Reformen" in den Abgrund gestürzt hatte, auf eine Wende hofften. Putin verstand es, diese Hoffnungen zu nutzen und zugleich mit Demagogie gegen die verhassten Oligarchen dem Aufgreifen patriotischer Losungen der KPRF in deren Wählerpotential zu wildern. 2004 kamen erste wirtschaftliche Fortschritte und Verbesserungen des Lebensstandards hinzu. Putin konnte bereits im ersten Wahlgang 71 Prozent der abgegebenen Stimmen gewinnen. Niemand, der die gegenwärtige Situation real einzuschätzen vermag, rechnet am 4. März auch nur annähernd mit einem solchen Ergebnis, es sei denn, es käme zu einer totalen Verfälschung des Wählerwillens. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungs-Instituts FOM von Ende Dezember 2011 wollen 44 Prozent der Befragten ihre Stimme für Putin abgeben. Das "Lewada-Zentrum" gibt ihm sogar nur 36 Prozent. Neben den bereits erwähnten Fälschungen bei den Duma-Wahlen dürfte dies auch den Unmut vieler über die verschlechterte soziale Lage im Zuge der Wirtschaftskrise und die immer weiter wachsende Kluft zwischen Arm und Reich widerspiegeln.


Putins rosarote Brille

Um seiner sinkenden Popularität entgegenzuwirken, verspricht der Kandidat in den Thesen seines Wahlprogramms (siehe: www.putin2012.ru/programm) nicht nur eine goldene Zukunft, sondern zeichnet auch die Bilanz seiner zwölfjährigen Tätigkeit als Präsident bzw. Ministerpräsident in leuchtenden Farben. Da heißt es u.a.: "Die erreichte politische Stabilität gewährleistete eine Periode wirtschaftlichen Wachstums. Das Brutto-Inlandsprodukt des Landes hat sich praktisch verdoppelt, die Realeinkünfte der Bevölkerung sind fast auf das zweieinhalbfache gestiegen. Die Zahl der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, hat sich mehr als halbiert. Renten und Arbeitslöhne sind bedeutend gestiegen. Die Arbeitslosigkeit wurde um 35 Prozent verringert. Die Inflation ist auf ein Drittel gesunken - von 20 Prozent 2000 auf 7 Prozent im laufenden Jahr." Russland - so Putin weiter - gehöre heute zum "Klub" der sich am dynamischsten entwickelnden Länder.

Dabei hat er allerdings Wesentliches zu erwähnen "vergessen". Muss doch berücksichtigt werden, dass das russische BIP in den Jahren der Jelzin-"Reformen" bis Ende 1999 auf die Hälfte seines Niveaus im letzten Jahr der Sowjetunion (1990) abgestürzt ist und damit nach den angeführten Werten Putins erst jetzt wieder annähernd den damaligen Stand erreicht . Die Realeinkünfte sind in der Jelzin-Zeit für die meisten noch tiefer gesunken als das BIP. Und die Kluft zwischen Arm und Reich ist heute noch größer als damals. Obwohl die Zahl der unter der Armutsgrenze lebenden Menschen seither in der Tat gesunken ist, sind immer noch 21,1 Millionen Menschen betroffen und ihre Zahl hat im letzten Jahr wieder um 2 Millionen zugenommen. Schließlich geht die "dynamische Entwicklung" des BIP vor allem auf steigende Energie- und Rohstoffexporte und keineswegs auf eine dynamische Entwicklung der Wirtschaft zurück, vor allem nicht auf deren Modernisierung. Putin muss denn auch selbst feststellen: "Die ernsthafteste Herausforderung, auf die unsere Wirtschaft und Gesellschaft im nächsten Jahrzehnt stoßen werden, ist die niedrige Effektivität. Russland bleibt in der Arbeitsproduktivität und der Energieeffizienz hinter den führenden Ländern um das Zwei- bis Dreifache zurück. Ohne diese Kluft mittels einer Modernisierung der Wirtschaft, wachsender Unternehmeraktivitäten und Investitionen zu überwinden, ist es unmöglich, ein zuverlässiges Fundament für die Erhöhung des Lebensniveaus unserer Bürger und die Gewährleistung einer zuverlässigen Sicherheit des Landes zu schaffen. Deshalb besteht eines der strategischen Ziele für das nächste Jahrzehnt in der Verdoppelung der Arbeitsproduktivität der russischen Wirtschaft. ... Russland wird sich verändern, ein Land werden, in dem man komfortabel lebt und arbeitet ... ein Land, in dem jeder Mensch sich selbst, seinen Traum verwirklichen kann." Unbeantwortet bleibt die Frage, wer die Verantwortung für die geschilderte Misere trägt und warum es keine wirklichen Fortschritte bei der Modernisierung der Wirtschaft gibt, obwohl von deren Notwendigkeit ständig die Rede ist. Politisch verantwortlich sind Putin und Medwedjew, nicht zuletzt darum, weil sie nicht bereit waren etwas gegen die Oligarchen zu unternehmen, die eine Modernisierung blockieren und nur daran interessiert sind, die russischen Naturressourcen auszuplündern und ihre Superprofite ins Ausland verschieben.


Zukunftsvisionen mit Pferdefuß

Im Übrigen sind die Visionen vom "komfortablem Leben" und den "Träumen, die sich jeder erfüllen kann", so allgemein, dass sie sich jeder Abrechenbarkeit entziehen. Zudem wird kaum etwas dazu gesagt, woher die Mittel dafür kommen sollen. So ist z. B. keine Rede von Maßnahmen gegen die enorme Kapitalflucht oder von stärkerer Besteuerung der Superreichen. Erst recht denkt Putin nicht daran, die Energie- und Rohstoffressourcen des Landes, die die Oligarchen an sich gerissen haben, zu nationalisieren, damit sie wieder den BürgerInnen Russlands zu Gute kommen. Ganz im Gegenteil. Mit den von seiner Regierung kürzlich verkündeten Plänen zur forcierten Privatisierung verbliebener Staatsbetriebe und staatlicher Anteile sollen ihnen auch noch die Reste des einstigen Volkseigentums in den Rachen geworfen werden.

Wer gehofft hatte, in den Thesen ernsthafte Lehren aus den Duma-Wahlen zu finden, muss bitter enttäuscht sein. Kein Wort über die Gewährleistung ehrlicher Parlamentswahlen. Selbst die angekündigten Erleichterungen für die Bildung politischer Parteien und ihre Zulassung zu den Wahlen werden nicht erwähnt. Stattdessen unglaubwürdige Versprechen über die Rechenschaftspflicht der Machtorgane gegenüber der Gesellschaft oder künftig wichtige Gesetze breit in der Gesellschaft zu erörtern und erneut die Ankündigung, gegen die Korruption vorgehen zu wollen. Nach den Erfahrungen mit Putins "gelenkter Demokratie" dürfte dies kaum noch ernst genommen werden.

Glaubwürdiger sind Aussagen im Kapitel über die Außenpolitik, das die Überschrift trägt: "Ein starkes Russland in einer komplizierten Welt". Hier geht es u. a. darum, mit der Zollunion, dem Projekt eines einheitlichen Wirtschaftsraums und der noch weiter gehenden Eurasischen Union, die Integration im postsowjetischen Raum voranzutreiben.

Zu Russlands Platz in der Welt heißt es: "Die Spielregeln der internationalen Politik und Wirtschaft können nicht hinter dem Rücken oder unter Umgehung Russlands und unserer Interessen festgesetzt werden. ... Wir sind für konstruktive Zusammenarbeit und Dialog über Fragen des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus, über Rüstungskontrolle und die Gewährleistung kollektiver Sicherheit. Einseitige Schritte unserer Partner, die nicht die Meinung Russlands und seine Interessen berücksichtigen, werden von uns entsprechend eingeschätzt und auf unsere Gegenreaktion stoßen." Dies lässt darauf hoffen, dass Putin im Falle seiner Wahl gegenüber USA und NATO selbstbewusster auftreten könnte, als Medwedjew in dessen Amtszeit als russischer Präsident.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, 4 vom 27. Januar 2012, Seite 11
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2012