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USA/333: Skepsis nach Haushaltskompromiss, "Falken" befürchten größere Verluste für Pentagon (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. August 2011

USA: Skepsis nach Haushaltskompromiss - 'Falken' befürchten größere Verluste für Pentagon

Von Jim Lobe


Washington, 3. August (IPS) - Nach dem im US-Kongress erzielten Kompromiss über die Anhebung der Schuldengrenze warnen Neokonservative und andere 'Falken' aus dem Bereich der nationalen Sicherheit vor Kürzungen im Verteidigungshaushalt der nächsten Jahre.

"Wenn dieser Deal die Politik des kommenden Jahrzehnts beherrscht, wird es schwer für die USA, eine Supermacht zu bleiben", erklärte William Kristol, der für das konservative Magazin 'The Weekly Standard' schreibt. "Das ist der beste Tag, den die Chinesen je erlebt haben", höhnte er. Der Schulterschluss "zeigt ein Amerika, dessen Stern im Sinken ist".

Auch der frühere UN-Botschafter John Bolton versetzte die konservative Blogosphäre in Aufregung. Die möglichen militärischen Folgen des Kompromisses bezeichnete er als "katastrophal". "Wenn ich nicht völlig falsch liege, könnte dieser Deal, der das Risiko massiver Kürzungen im Verteidigungsetat mit sich bringt, einen Dolch in das Herz unserer nationalen Sicherheit bohren."

Gemäßigte politische Beobachter zeigten sich aus anderen Gründen über das Gesetzespaket enttäuscht. Die vorgeschlagene Einigung gehe nicht weit genug, kritisierte Lawrence Korb, ein ehemaliger Pentagon-Mitarbeiter der Regierungszeit Ronald Reagans, der nun für das 'Center for American Progress' (CAP) tätig ist. Es werde nichts getan, um das Militärbudget, das den höchsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg erreicht hat, zu begrenzen.


Persilschein für Pentagon

Das neue Budget stelle dem Pentagon einen Freifahrtschein aus, bemängelte William Hartung, der das 'Arms Security Project' am 'Center for International Policy' leitet. Die Rüstungsausgaben würden während der nächsten zwei Jahre um weniger als ein Prozent reduziert. Umfangreichere Kürzungen kämen erst 2013 zum Tragen.

Den Schuldenkompromiss hat nach dem Repräsentantenhaus inzwischen auch der Senat gebilligt. Mit der Unterschrift von Präsident Barack Obama ist die Staatspleite vorerst abgewendet. Die Schuldengrenze von derzeit 14,3 Billionen US-Dollar wird schrittweise angehoben. Vorgesehen ist zudem eine Kürzung der staatlichen Ausgaben um etwa 2,4 Billionen Dollar im Laufe der nächsten zehn Jahre.

Welche staatlichen Programme um 900 Millionen bis einer Billion Dollar schrumpfen werden, wird eine Ermessensfrage sein. Mit Steuererhöhungen kann diese Summe nicht aufgebracht werden. Experten vermuten, dass bis zu 350 Milliarden Dollar aus dem Etat des Pentagon abgezweigt werden könnten.

Die verbleibenden Einsparungen von 1,4 bis 1,5 Billionen Dollar könnten, anders als die erste Tranche, auch mit Hilfe einer Reform der Steuergesetze realisiert werden. Darüber wird ein neuer zwölfköpfiger Kongressausschuss entscheiden, in dem Republikaner und Demokraten gleichberechtigt vertreten sind.

Bis November muss dieser Ausschuss ein neues Maßnahmenpaket entwerfen, das bis Weihnachten den Kongress passieren muss. Sollten jedoch der Ausschuss oder der Kongress keine Einigung erzielen, würden sofort allgemeine Kürzungen von 1,2 Milliarden Dollar in Kraft treten. Zur Hälfte wären davon das staatliche Krankenversicherungsprogramm 'Medicare' und andere Ausgaben im Inland betroffen. Die andere Hälfte entfiele auf Ausgaben für die nationale Sicherheit, zu denen auch das Budget des Pentagons zählt.

Die 'Falken', die bereits gegen die von Obama angeordneten Kürzungen von 400 Milliarden Dollar in den nächsten zwölf Jahren protestiert haben, reagieren nun erst recht alarmiert. Das derzeitige Jahresbudget des Pentagons liegt allerdings bei rund 550 Milliarden Dollar. Das ist mehr als die Rüstungsausgaben der 20 nächstgrößeren Mächte zusammengenommen. Rechnet man die Kosten für die Kriege der USA in Afghanistan und im Irak zusammen, summiert sich das gesamte Budget auf mehr als 700 Milliarden Dollar in 2011. Das ist fast doppelt so viel, wie das Pentagon vor den Terroranschlägen des 11. September ausgegeben hatte.

Das US-Militärbudget der Ära nach dem Kalten Krieg ist darüber hinaus darauf ausgerichtet, dass das Land in der Lage sein sollte, gleichzeitig zwei größere Kriege mit konventionellen Waffen zu führen und zu gewinnen. Diese Strategie ist allerdings zunehmend in die Kritik geraten.


Forderungen nach Kürzung von Verteidigungsetat werden lauter

Nachdem das hohe Staatsdefizit der USA vor allem nach Ausbruch der Finanzkrise im September 2008 als Problem wahrgenommen wurde, hat die Debatte über die künftigen Rüstungsausgaben an Schärfe zugenommen. Die meisten Demokraten forderten einschneidende Kürzungen. Die Republikaner waren dagegen gespalten zwischen 'Falken' wie Kristol und Bolton, die die globale Vorherrschaft der USA um jeden Preis aufrecht erhalten wollen, und anderen Parteigenossen, denen zufolge der Rüstungsbereich bei den notwendigen Kürzungen nicht ausgeklammert werden dürfe.

Im vergangenen Jahr sprachen sich zwei mit Vertretern beider Parteien besetzte Kongressausschüsse dafür aus, in den nächsten zehn Jahren Militärausgaben in Höhe von einer Billion Dollar einzusparen. Das Pentagon und unabhängige 'Falken' hielten dem jedoch entgegen, dass in einem solchen Fall die US-Verteidigungsstrategie maßgeblich verändert werden müsse. Die Ausschüsse hätten dies nicht in Betracht gezogen.

"Um willkürliche und unberechenbare Kürzungen zu vermeiden, muss das strategische Ziel klar dargelegt werden", sagte der ehemalige Armeeoberst Andrew Bacevich, der an der Universität von Boston lehrt und in mehreren Büchern die Politik der USA im Kalten Krieg und in den Jahren danach kritisiert hat.

"Die große Frage liegt nicht darin, wie viele Milliarden Dollar aus dem aufgeblähten Budget des Pentagon kommen sollten", meinte Bacevich. Man müsse sich vielmehr darüber klar werden, wie die Rolle Amerikas in der Welt angesichts der wirtschaftliche Engpässe und der Katastrophen des vergangenen Jahrzehnts aussieht." Weiterhin die Klischees über die globale Führungsrolle zu verbreiten, sei nicht die Lösung. Es sei an der Zeit, harte Entscheidungen zu treffen. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.ciponline.org/
http://www.americanprogress.org/
http://www.bu.edu/ir/faculty/alphabetical/bacevich/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=56707

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2011