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USA/352: Umstrittener US-Report - keine toten Zivilisten mehr durch Drohnen in Pakistan (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. Juli 2012

Pakistan: Umstrittener US-Report - Keine toten Zivilisten mehr durch Drohnen in Pakistan

von Zoha Arshad



Washington, 20. Juli (IPS) - Immer weniger Zivilisten kommen durch Drohnenangriffe der USA in Pakistan ums Leben, heißt es in einem neuen Report der 'New America Foundation' (NAF). Bei den aktuellsten Drohnenangriffen liege die Zahl der toten Zivilisten bei nahezu null. Der Bericht des in Washington ansässigen Thinktanks ist allerdings umstritten.

Dem Bericht zufolge wurden seit 2004 310 Drohnenangriffe auf Pakistan geflogen. Dabei seien zwischen 1.870 und 2.873 Menschen umgekommen. 1.577 bis 2.402 seien davon in der Presse als Al-Quaida-Kämpfer bezeichnet worden. Nach diesen Zahlen liegt die Todesrate von Zivilisten bei Drohnenanschlägen bei etwa 16 Prozent.

Verfasst haben den Bericht Peter Bergen, Sicherheitsexperte des Fernsehsenders CNN, und Jennifer Rowland, die ebenfalls bei dem Sender arbeitet. Sie haben sich dabei auf Daten gestützt, die die Stiftung selbst zusammengetragen hat, außerdem auf "die zuverlässigsten Presseberichte" unter anderem aus der New York Times und der Washington Post sowie von den Nachrichtenagenturen Reuters und Associated Press. Auch englischsprachige Medien, die in Pakistan erscheinen, darunter Dawn und Express Tribune, wurden ausgewertet.


Datenlage unzureichend

Die Datenlage lässt allerdings fehlerhafte Schlüsse zu, kritisieren andere Journalisten. Chris Woods vom Büro für investigativen Journalismus (TBIJ) ist sich sicher, dass Bergen und Rowland die Zahl der Toten stark unterschätzt haben. "Die NAF stützt sich lediglich auf wenige Medienberichte, die kurz nach den Drohnenangriffen veröffentlicht wurden. Häufig erfahren wir von den tatsächlichen Auswirkungen der Angriffe allerdings erst Tage, Wochen oder sogar Monate später", sagte er gegenüber IPS.

Die Nachrichtenagentur Associated Press beispielsweise habe nach der Auswertung von 80 Augenzeugenberichten in der nordpakistanischen Region Waziristan im Februar dieses Jahres einen Bericht veröffentlicht, in dem es hieß, dass bei allen Drohnenanschlägen durchschnittlich 20 Prozent der Toten Zivilisten seien. "Dieses Ergebnis hat die NAF in ihrer Auswertung überhaupt nicht beachtet", sagte Woods.

Das Büro für investigativen Journalismus hat selbst Zahlen veröffentlicht. Demnach gab es seit 2004 355 Drohnenanschläge in Pakistan. Mindestens 2.513 Menschen sollen dabei ums Leben gekommen sein. Zwischen 482 und 835 davon gelten als Zivilisten. Das wären zwischen 15 und 33 Prozent der Toten.

"Es ist unseriös, wie die Stiftung mit Daten umgeht", kritisierte Muhammad Idrees Ahmad. Der Soziologe ist Journalist unter anderem für den Fernsehsender Al-Jazeera. "Teilweise gibt die NAF Informationen sogar falsch wieder." Mindestens zwei Fälle, in denen Zivilisten zum Opfer von Drohnenanschlägen geworden seien, und die breit auch in der US-Presse vermeldet worden seien, tauchen in den Daten der Stiftung gar nicht auf.

Ahmed nennt als Beispiel den Tod von 82 Kindern während eines Seminars am 30. Oktober 2006 in Bajaur, über das er für Al-Jazeera berichtet hat. In der Datenbank der NAF würden diese 80 Kinder als "80 Kämpfer" geführt.

Ähnlich berichtet Ahmad über einen Vorfall am 14. August 2010. Associated Press habe von sieben toten Zivilisten geschrieben, doch in der NFA-Datenbank werden auch diese als Kämpfer bezeichnet.


'Im Interesse der USA und Pakistan, Zahlen herunterzuspielen'

Für Ahmad kommt der Bericht Propaganda gleich. "Es ist sowohl im Interesse der USA als auch Pakistans, die Zahlen hinunterzuspielen." Die pakistanische Regierung wolle negative Schlagzeilen verhindern und das öffentliche Ansehen verbessern.

Der Journalist nennt allerdings noch zwei weitere Gründe für die niedrigen Zahlen ziviler Toter: Zum einen kümmerten sich die pakistanischen Behörden gar nicht darum, herauszufinden, ob es sich bei den Toten um Kämpfer handele oder nicht. Zum anderen sei der Begriff "Kämpfer" von offizieller Seite umdefiniert worden: Alle Männer über 18, die in Gebieten leben, in denen es Kämpfe gibt, gelten automatisch als Kämpfer. (Ende/IPS/jt/2012)


Links:

http://newamerica.net/
http://www.thebureauinvestigates.com/
http://www.ipsnews.net/2012/07/report-claims-no-pakistani-civilian-deaths-from-drones-in-2012/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 20. Juli 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2012