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BERICHT/042: Von schnellen und langsamen Wegen in den Beruf (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2011 - Nr. 92/93

Von schnellen und langsamen Wegen in den Beruf

Von Heinz-Hermann Krüger und Birgit Reißig


Beim Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung oder in ein Studium spielt das Bildungsniveau der Eltern eine wichtige Rolle. Jugendliche aus Akademikerfamilien lassen sich mehr Zeit. Eine Orientierungsphase wird so zu einem Privileg.


Konzepten und theoretischen Ansätzen, die sich mit dem Jugendalter befassen, ist gemein, dass sie anstehende Übergänge in dieser Lebensphase besonders in den Blick nehmen. So finden wir beispielsweise die spezifischen Entwicklungsaufgaben in der Entwicklungspsychologie (Dreher/Dreher 1985). Diese heben unmittelbar ab auf das Individuum und dessen Bewältigung dieser Aufgaben in der Adoleszenz. Das Konzept der Statuspassagen in der Soziologie betrachtet hingegen sowohl diejenigen, die diese Passagen durchlaufen, als auch die Institutionen und Strukturen, die diese Übergänge begleiten. In den Blick rücken damit die institutionellen Anforderungen, also zum Beispiel der Übergang von der Grundschule in das weiterführende Schulsystem, der Übergang von der Strafunmündigkeit zur Strafmündigkeit oder die schrittweisen Übergänge zur Geschäftsfähigkeit und Volljährigkeit.


Lernen unter beschleunigten Bedingungen

Hinter dieser Fokussierung auf die institutionalisierten Kontexte der Passagen steht die Beobachtung, dass diese zumindest für einen erheblichen Teil der Jugendlichen in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben und - das wäre die Prognose - für alle Jugendlichen zukünftig an Bedeutung gewinnen werden (Lüders 2010). Dabei spielen so unterschiedliche Faktoren wie Globalisierung, demografische Entwicklung, Armutsbekämpfung, aber auch aktivierende Arbeitsmarktpolitik eine zentrale Rolle. In der Summe führen sie dazu, dass es zu einer Ausweitung der öffentlichen Steuerung des Aufwachsens und zu einer Verdichtung der Lebenslage Jugendlicher kommt. Unter beschleunigten Bedingungen muss sich ein Großteil der Jugendlichen eine größere Menge in kürzerer Zeit unter öffentlicher Aufsicht aneignen (zum Beispiel durch die Einführung achtjähriger gymnasialer Bildungsgänge oder durch die Implementierung dreijähriger universitärer Bachelorstudiengänge). Daraus entsteht eine in sich widersprüchliche Gemengelage zwischen Individualisierungsanforderungen und institutionellen Formalisierungsbemühungen.

Als eine zentrale Statuspassage im Jugendalter erweist sich der Übergang von der Schule in die weiterführende Ausbildung und in den Beruf. Aus verschiedenen Untersuchungen ist bekannt, dass eine Reihe von Jugendlichen (insbesondere mit fehlenden oder niedrigeren Schulabschlüssen) eher mit Umwegen und Zwischenstationen von der allgemeinbildenden Schule in die Ausbildung gehen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010). Sie bestätigen die im jugendtheoretischen Diskurs vorgetragene Diagnose von der Entstrukturierung oder Destandardisierung der Jugendphase (Krüger/Grunert 2010; Mierendorf/Olk 2010). Die aktuellen institutionellen Wege durch die Jugendphase scheinen somit durch die Gleichzeitigkeit von Trends zur Verdichtung und zur Entstrukturierung oder auch der Zerfaserung der Übergangswege bestimmt. Hier schließt die Frage an nach den Einflüssen auf die Gestaltung dieser für die weitere Biografie wichtigen Übergänge. Die Antwort kann Erkenntnisse darüber erbringen, wer bessere Chancen auf direkte Übergänge in Ausbildung und Studium hat und wer ein erhöhtes Risiko für verzögerte Übergänge nach Beendigung der Schule trägt.


Auch die Region spielt eine Rolle

Die Ergebnisse der aktuellen AID:A-Studie bieten erste Einblicke in die Gestaltung und Einflussfaktoren von Übergängen in Ausbildung und Studium (Lex 2010). Betrachtet man dabei die Gruppe der Befragten, die vor 2008 die Schule beendet haben und direkt in eine Ausbildung oder ein Studium gemündet sind, ergeben sich folgende Einflussfaktoren: Für diejenigen, die maximal einen mittleren Schulabschluss erreicht haben, erhöht ein geringeres Bildungsniveau der Eltern (höchstens Hauptschulabschluss) die Chance auf direkte Übergänge. 75 Prozent der Schüler starten sofort in Ausbildung oder Beruf. Bei den Jugendlichen, deren Eltern Abitur haben, sind es dagegen nur 66 Prozent. Dagegen gibt es weniger direkte Übergänge bei einem vorhandenen Migrationshintergrund. Zudem spielt die Region eine Rolle: Im Osten steigt die Chance auf direkte Übergänge. Ebenso erhöht ein mittlerer Schulabschluss im Gegensatz zu einem fehlenden oder lediglich einem Hauptschulabschluss die Chance auf einen direkten Übergang. Für die Untersuchungsgruppe mit Abitur beziehungsweise Fachhochschulreife lassen sich zwei klare Einflussfaktoren ermitteln: So wirkt auch hier wiederum der eher geringere Schulabschluss der Eltern (höchstens Hauptschulabschluss) förderlich auf den direkten Übergang in Ausbildung oder Studium. 58 Prozent der Abiturienten, deren Eltern Hauptschulabschluss haben, beginnen sofort eine Ausbildung oder eine Arbeit. Haben die Eltern ebenfalls Abitur, sind es nur 51 Prozent. Außerdem haben diejenigen bessere Chancen auf einen direkten Übergang, die eine Berufsausbildung aufnehmen und (noch) nicht ein Studium.


Drei Wege durch die Bildungsbiografie

Die genannten Befunde aus den Ergebnissen der AID:A-Studie zeigen, dass die unterschiedlichen institutionellen Wege durch die Jugendbiografie sehr stark vom Bildungsmilieu der Familie beeinflusst werden (Lex 2010). Allerdings geschieht dies nicht unbedingt nur in die erwartbare Richtung. Zugespitzt formuliert lässt sich sagen: Jugendliche aus Elternhäusern mit hohem Bildungsniveau können sich verzögerte und entschleunigte Wege zwischen dem Besuch verschiedener Bildungsinstitutionen leisten. Dies trifft überraschenderweise nicht nur auf Abiturientinnen und Abiturienten, sondern auch auf Schülerinnen und Schüler mit Hauptschul- beziehungsweise Realschulabschluss zu. Jugendliche aus Elternhäusern mit eher geringem Bildungsniveau müssen dagegen direkte und zeitlich verdichtete institutionelle Wege durch die Jugendbiografie gehen. Daneben gibt es noch eine dritte Gruppe von Jugendlichen, deren Bildungskarrieren zu scheitern drohen, da sie ohne Berufsausbildung bleiben. Und dies sind, darauf weisen neben der AID:A-Studie auch die Daten des Nationalen Bildungsberichts (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010) oder die Studien von Heike Solga (2009) hin, vorwiegend Jugendliche mit Migrationshintergrund und/oder maximal einem Hauptschulabschluss.

Typologisch verdichtet lassen sich unter einer ungleichheitstheoretischen Perspektive somit drei unterschiedliche Wege durch die Bildungs- und Ausbildungsbiografie unterscheiden: die Bildungsbiografieverzögerer aus bildungsstarken familialen Milieus, die Bildungsbiografiebeschleuniger aus eher bildungsschwächeren Elternhäusern sowie die Jugendlichen mit einer risikoreichen Bildungs- und Ausbildungsbiografie, die vor allem aus Familien mit Migrationshintergrund stammen.

In weiteren multivariaten Auswertungen des AID:A-Datensatzes wäre es nun interessant zu untersuchen, welche Zusammenhänge zwischen diesen drei unterschiedlichen institutionellen Wegen und den differenten Lebensentwürfen, Zukunftsvorstellungen oder politischen Orientierungen bei Jugendlichen bestehen.


DIE AUTOREN

Prof. Dr. Heinz-Hermann Krüger ist Prodekan des Fachbereichs Erziehungswissenschaften an der Universität Halle-Wittenberg. Seine Forschungsschwerpunkte sind Erziehungswissenschaft, Jugendforschung, Schulforschung, Hochschulforschung.

Dr. Birgit Reißig ist kommissarische Leiterin des Forschungsschwerpunkts »Übergänge im Jugendalter« am Deutschen Jugendinstitut. Sie beschäftigt sich insbesondere mit der wissenschaftlichen Begleitung von Modellprogrammen zur beruflichen und sozialen Integration von Jugendlichen, der Erforschung der Bildungs-, Ausbildungs- und Erwerbsbiografien von Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie der Erforschung von Prozessen sozialer Exklusion.
Kontakt: heinz-hermann.krueger@paedagogik.uni-halle.de, reissig@dji.de


LITERATUR

ALBERT, MATHIAS / HURRELMANN, KLAUS (2010): Jugend 2010. 16. Shell Jugendstudie. Frankfurt am Main

AUTORENGRUPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG (2010): Bildung in Deutschland 2010. Bielefeld

DREHER, EVA / DREHER, MICHAEL (1985): Entwicklungsaufgaben im Jugendalter: Bedeutsamkeit und Bewältigungskonzepte. In: Liepmann, Detlef (Hrsg.): Entwicklungsaufgaben und Bewältigungsprobleme in der Adoleszenz: Sozial- und entwicklungspsychologische Perspektiven. Göttingen/Toronto/Zürich, S. 56-70

KRÜGER, HEINZ-HERMANN / GRUNERT, CATHLEEN (2010): Geschichte und Perspektiven der Kindheits- und Jugendforschung. In: Dies. (Hrsg.): Handbuch Kindheits- und Jugendforschung. Wiesbaden, S. 11-41

LEX, TILLY: Wege ins Ausbildungs- und Beschäftigungssystem: Direkteinstiege, Umwege und Zwischenschritte. Unveröffentlichtes Manuskript des Vortrags bei der wissenschaftlichen DJI-Fachtagung »Aufwachsen in Deutschland « am 17. und 18.11.2010 in Berlin. Weitere Informationen sind erhältlich bei lex@dji.de.

LÜDERS, CHRISTIAN: Statuspassagen und Verselbstständigung. AID:A-Befunde. Unveröffentlichtes Manuskript des Vortrags bei der wissenschaftlichen DJI-Fachtagung »Aufwachsen in Deutschland« am 17. und 18.11.2010 in Berlin. Weitere Informationen sind erhältlich bei lueders@dji.de.

MIERENDORF, JOHANNA / OLK, THOMAS (2010): Gesellschaftstheoretische Ansätze. In: Krüger, Heinz-Hermann / Grunert, Cathleen (Hrsg.): Handbuch Kindheits- und Jugendforschung. Wiesbaden, S. 125-151

SOLGA, HEIKE (2009): Bildungsarmut und Ausbildungslosigkeit in der Bildungs- und Wissensgesellschaft. In: Becker, Rolf (Hrsg.): Lehrbuch der Bildungssoziologie. Wiesbaden, S. 395-431


DJI Impulse 1/2011 - Das komplette Heft finden Sie im Internet unter:
www.dji.de/impulse


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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2011 - Nr. 92/93, S. 19-21
Herausgeber: Deutsches Jugendinstitut e.V.
Nockherstraße 2, 81541 München
Telefon: 089/623 06-0, Fax: 089/623 06-265
E-Mail: info@dji.de
Internet: www.dji.de

DJI Impulse erscheint viermal im Jahr.
Die Hefte können kostenlos unter www.dji.de/impulsebestellung.htm
abonniert oder unter vontz@dji.de schriftlich angefordert werden.


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2011