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GEWERKSCHAFT/378: Rahmenkonzept zu Schulöffnungen - Es gibt weiteren Klärungsbedarf (GEW)


Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft - 6. Mai 2020

Stellungnahme von GEW, VBE und BER zum Rahmenkonzept der KMK zu Schulöffnungen: Es gibt weiteren Klärungsbedarf!


Oranienburg/ Frankfurt am Main/ Berlin: Nach Veröffentlichung des Rahmenkonzepts der Kultusministerkonferenz zu Schulöffnungen an diesem Mittwoch stellen GEW, VBE und BER gemeinsam fest: "Viele der von uns vorgebrachten Punkte haben Eingang in das Rahmenkonzept der Kultusministerkonferenz (KMK) zur Schulöffnung gefunden. So wird der Gesundheitsschutz hoch priorisiert, wobei Regelungen in den einzelnen Hygienekonzepten der Länder konkretisiert werden. Dass es für die Umsetzung eine entsprechende Vorlaufzeit braucht, wurde ebenfalls herausgestellt. Auch die klare Ansage, dass Personen, die Risikogruppen angehören, weiterhin nicht in der Schule lernen oder lehren müssen, ist notwendig und begrüßenswert. Allerdings wird den Bundesländern viel Ausgestaltungsspielraum eingeräumt. Wir befürchten, dass dies dafür genutzt werden kann, Personen aus der Risikogruppe in die Schulen zu holen. Wohlwollend haben wir zur Kenntnis genommen, dass Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf im Konzept bedacht wurden - ebenso wie die Situation an Förderschulen bzw. für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Und nicht zuletzt erlauben die Teilung der Gruppen und die angestrebte Fortführung der Unterrichtsimpulse im selbstständigen Lernen, dass der Errungenschaft hin zu mehr individueller Förderung Rechnung getragen werden kann."

Die drei Organisationen sehen jedoch noch weiteren Klärungsbedarf, der nun in den Ländern weiter bearbeitet werden muss. Zudem warnen sie vor einem Überbietungswettbewerb bei Schulöffnungen, nachdem seit heute die Länder nun selbst über die Geschwindigkeit und Ausgestaltung der weiteren Lockerungsschritte entscheiden können. Umso wichtiger sei eine wissenschaftliche Begleitforschung der unterschiedlichen Maßnahmen und der Effekte, die diese haben. Gesundheitsschutz und Machbarkeit müssen Priorität haben.

Stephan Wassmuth, Vorsitzender des Bundeselternrates, blickt dabei zum Beispiel auf die Anforderungen an ein Schülermobilitätskonzept: "Theoretisch ist das Abstandhalten im Bus nur möglich, wenn deutlich weniger Kinder befördert werden. Wie dann mehr Busse organisiert werden können, ist aber noch nicht geklärt. Da braucht es schnelle Antworten der kommunal Verantwortlichen. Außerdem ist in dem Konzept das Verhalten der Schülerinnen und Schüler zu wenig bedacht worden. Mir wurde berichtet, dass selbst bei den Abiturprüfungen der Abstand zwischen den Jugendlichen in den Pausen nicht eingehalten wurde. Wie soll das dann erst bei jüngeren Kindern werden? Deshalb muss weiter gelten: Gut Ding will Weile haben. Ich glaube, das Verständnis ist groß, wenn mit Blick auf die Sicherheit die Schulöffnungen nur langsam ausgedehnt werden. Trotzdem muss natürlich im Blick bleiben, dass sich Bildungsungerechtigkeiten nicht weiter verschärfen dürfen."

Je später die Schülerinnen und Schüler aber in die Schule kommen, desto wahrscheinlicher wird es, dass die curricularen Vorgaben nicht mehr geschafft werden können. Zudem ist in dem Rahmenkonzept festgeschrieben, dass der Präsenzunterricht "soweit möglich und sinnvoll nach dem regulären Stundenplan erfolgen" soll, wenngleich die Lehrkraft "Schwerpunkte, die die Sicherung der Kompetenzen für das aktuelle Schuljahr [?] im Blick haben", setzen soll.

Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), warnt vor zu hohen Erwartungen: "Zunächst muss es darum gehen, die neuen Regeln an Schule einzuüben und mit den Schülerinnen und Schülern das Erlebte aufzuarbeiten. Zudem muss sich das neue Lernen mit geteilten Gruppen erst einspielen. Dabei muss unbedingt die Arbeitszeit und die Belastung der Lehrkräfte in den Blick genommen werden. Das Ziel, Klassen zu teilen, sodass Schülerinnen und Schüler wechselnd vor Ort unterrichtet werden und zuhause Aufgaben erledigen, ist aus Sicht der Einhaltung des Gesundheitsschutzes absolut richtig. Entsprechend der Situation vor Ort wird es aber in der Regel zwei oder drei Gruppen geben, die parallel zu unterrichten und zu begleiten sind. Hier fehlen noch Antworten auf die Frage, wie dies sinnvoll und ohne die Lehrkraft permanent zu überlasten gelingen kann, wobei auch gleich zu klären ist, wie Zeit für Kooperation im Kollegium organisiert werden soll. Zudem wird durch die Anforderung, ?individuelle Konzepte? für die Schule zu erstellen, viel Verantwortung an die Schulleitung gegeben. Hier hatten wir eine konkrete Ansprechperson in den Kultusministerien eingefordert. Da sind die Schulbürokratien in den Bundesländern weiter gefragt."

Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Marlis Tepe, unterstützt die Bedenken mit Blick auf die hohe Arbeitsbelastung der Lehrkräfte: "Erste Rückmeldungen bestätigen: Nicht wenige Lehrkräfte haben die Belastungsgrenze durch die Entgrenzung ihrer Arbeit schon überschritten. Sie sollen Präsenz-, Fernunterricht und die Notbetreuung stemmen sowie die Vertretung von Kolleginnen und Kollegen, die zur Risikogruppe gehören, übernehmen. Das ist die Quadratur des Kreises und bringt die Lehrkräfte ans Limit." Zudem betont sie, dass die Krise die Bildungsungerechtigkeit verschärfe: "Insbesondere die ohnehin benachteiligten Schülerinnen und Schüler werden durch den Fernunterricht weiter abgehängt. Armen Familien nützen 150 Euro aus dem 500-Millionen-Paket nichts, weil sie sich mit diesem Geld trotzdem keine Tablets oder Laptops leisten können. Hier brauchen wir andere Lösungen: Die Schulen könnten etwa Geräte einkaufen und an die Kinder und Jugendlichen verleihen. Jetzt müssen die Ausstattung der Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler mit digitalen Endgeräten sowie die Einrichtung der notwendigen Infrastruktur schnell weiter vorangetrieben werden. Zudem sind die Fortbildungsangebote für Lehrkräfte qualitativ zu verbessern und auszubauen. Denn die schönste digitale Ausstattung nützt nichts, wenn die Schulen kein stimmiges pädagogisches Gesamtkonzept haben."


Info: Die beiden größten Lehrergewerkschaften Deutschlands, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der Verband Bildung und Erziehung (VBE), hatten gemeinsam mit dem Bundeselternrat (BER) die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Dr. Stefanie Hubig, angeschrieben und angeboten, bei der Erstellung des Rahmenkonzepts zur Schulöffnung ihre Expertise einzubringen. Sie hatten dafür in einer Telefonkonferenz in der letzten Woche mit dem KMK-Generalsekretär, Udo Michallik, die Möglichkeit.

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Quelle:
Pressemitteilung vom 6. Mai 2020
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2020

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