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HOCHSCHULE/1410: Forschungsuni per Jungfernzeugung (attempto! - Uni Tübingen)


attempto! 26/2009 - Forum der Universität Tübingen - April 2009

Forschungsuni per Jungfernzeugung

Von Alexander Ross


Wie bekommt Deutschland mehr Forschungsuniversitäten? Ganz einfach: die Hochschulen nennen sich selbst so. Notizen eines interessierten Außenstehenden zu einem wundersamen Phänomen.


An einer Stelle des Films "Frost/Nixon" möchte Richard Nixon von seinen Beratern wissen, welche Themen die geplanten Fernsehinterviews haben sollen. Man antwortet ihm: "Innen- und Außenpolitik, die USA, Vietnam, Watergate - und Nixon, der Mensch". Darauf er: "Nixon, der Mensch? Im Gegensatz zu was? Nixon, das Pferd?"

Daran musste ich denken, als ich neulich auf Hochglanzpapier ein Logo und einen Schriftzug sah: "Universität Karlsruhe (TH)" stand dort, darunter "Forschungsuniversität - Gegründet 1825". Forschungsuniversität Karlsruhe? Im Gegensatz zu was? Lehruniversität Karlsruhe?


Selbstfindung als Forschungsuniversität

Karlsruhes Rang steht dabei außer Frage. Die TH gehört zu dem nur drei Königshäuser zählenden akademischen Ur-Adel der ersten Exzellenzinitiative, die erheblicher politischer Ränke zum Trotz die Hochschulen nur sehr sparsam nobilitierte.

Quod licet Iovi, non licet bovi. Doch anders als in der lateinischen Spruchweisheit war es ja das Besondere an der Exzellenzinitiative, dass sie bei den Universitäten eben nicht klar unterschied zwischen Jupiter und den Rindviechern, sondern eine Handvoll Götter erkor, während sich die restlichen Hochschulen immerhin noch als Halbgötter mit der Möglichkeit des Bewährungsaufstiegs fühlen durften.

Für den Begriff der Forschungsuniversität heißt dies: Was einer Uni Karlsruhe würdig ist, putzt auch andere ganz ungemein. Denn Forschungsuniversität ist, wer sich so nennt. Soll erst mal einer kommen und das Gegenteil beweisen. Weitere große Vorteile sind, dass der Titel wie an einer Titelmühle selbst verliehen werden kann und wie bei der Briefkastenuniversität nichts kostet außer neuem Briefpapier. Forschung klingt nach Planck, Fraunhofer und Leibniz. Nicht nach Erstsemester, Klausuren und Sprechstunde.

So gebiert sich die Forschungsuniversität aus sich selbst heraus, als Wille und als Vorstellung. Diese Parthenogenese animiert zu Nachahmungen und führt wie bei den Wäscherei-Drahtbügeln dazu, dass es mit der Zeit immer mehr werden und irgendwann alles damit voll ist. Wie die Druckwerke und Websites der Universitäten. Dort finden sich dann oft Formulierungen wie diese: "Die Georg-August-Universität weiß sich in der Gemeinschaft der Wissenschaften den international bedeutenden Forschungsuniversitäten verbunden". Das ist vornehm und elegant formuliert. Interessant wäre zu wissen, ob und welche der international bedeutenden Forschungsuniversitäten sich im Gegenzug der Uni Göttingen derart verbunden fühlen. "Interdisziplinäre Forschungsuniversität mit forschungsorientiertem Studium" heißt es an der Uni Oldenburg, die neben zweimal "Forschung" mit "interdisziplinär" ein weiteres abgegriffenes Buzzword draufsetzt, wo die fröhliche Wissenschaft von "transdisziplinär" spricht.

Die Uni Greifswald hingegen kann es nicht deutlich genug sagen: "Unterstützt aufgrund ihres Selbstverständnisses als Forschungsuniversität die Forschung und verstärkt die ausgewiesenen Forschungsschwerpunkte auf der Ebene der Universität sowie der Fakultäten durch Bereitstellung von personellen und sachlichen Mitteln". Bei der Selbstfindung als Forschungsuniversität gilt wohl die Regel: Wer dreimal "Forschung" in einem Satz sagt, gehört auch schon dazu.

"International operierende, kooperations- und schwerpunktorientierte Forschungsuniversität. Anerkannte Stärken bilden ihr wissenschaftliches Profil" heißt es bei der Uni Bonn. Verblüffend die Ähnlichkeit zum Selbstbild der Uni Bayreuth, die von sich sagt: "International operierende, kooperations- und schwerpunktorientierte Forschungsuniversität mit innovationsfähigen interdisziplinären Strukturen". Diese auffallende Ähnlichkeit würde bei Hausarbeiten den Copy-Paste-Checker des Prüfers aktivieren. Hier jedoch darf sie sein, schließlich fließt der rote Main über zwei Ecken in den Rhein.


Leerlauf im Hamsterrad

Ich habe noch weitere Beispiele dieses neuen Trends im Hochschulmarketing gefunden. Da könnte es effizient sein, wenn nach diesem Muster alle Universitäten in Forschungsuniversitäten 'umgeleitbildet' werden: obligatorisch sind die Worte "international" sowie "kooperations- und schwerpunktorientiert", der Rest ad libitum zur Differenzierung von den anderen. Bevor also jede Uni viel Marketing-Geld ausgibt, könnte der Wissenschaftsrat gleich eine Vorlage wie bei Powerpoint für alle deutschen Unis herausgeben.

Doch wie sollte so etwas wie Einheitlichkeit einkehren beim Begriff der Forschungsuniversität, der mehr sein könnte als ein wohlfeiler Marketingtrick? Schließlich haben es weder die deutschen Hochschulen noch die Hochschulpolitik bislang geschafft, eindeutig und zweifelsfrei zu definieren, ab wann genau eine Hochschule sich "Universität" nennen darf. Auch der Wissenschaftsrat benannte in seinen Akkreditierungsentscheidungen erst jüngst wieder diesen Umstand, konnte dennoch keine befriedigende Antwort darauf geben.

So ist denn auch der Wettlauf der Hochschulen bei der Eigenpromotion zur Forschungsuniversität in vollem Gange, ob klein oder groß, privat oder staatlich, alteingesessen oder frisch gegründet: Wer sich zuerst so nennt, glaubt gewonnen zu haben. Initiator dieses Leerlaufs im Hamsterrad (denn wie bei jedem guten Nullsummenspiel ändert sich ja nichts) war wiederum der Wissenschaftsrat, der sich jüngst erst mit der Akkreditierung überfordert zeigte. In seinen Thesen zur künftigen Entwicklung des Hochschulsystems im Jahr 2000 forderte er Forschungsfakultäten und einzelne Forschungsuniversitäten mit Schwerpunkt auf Spitzenforschung und akademischem Nachwuchs. Doch wie viele Forschungsuniversitäten gibt es überhaupt in Deutschland? Noch 2002 war die Antwort eindeutig: "Im Moment existiert keine Universität in Deutschland, der man bescheinigen kann, dass sie eine explizite Forschungsuniversität ist", so der damalige Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Professor Karl Max Einhäupl.

Zum gleichen Ergebnis kam auch das erste Forschungsranking des "Centrums für Hochschulentwicklung" (CHE) im Herbst 2002. Im letzten Ranking 2007 galten sieben Universitäten als besonders forschungsstark: Frankfurt am Main, Freiburg, Heidelberg, Karlsruhe, LMU und TU München sowie Stuttgart. Laut CHE zeichnen sich diese Universitäten dadurch aus, dass sie in mindestens der Hälfte jener Fächer, die in das Forschungsranking eingehen, auch über Fakultäten verfügen, die nach den Ranking-Kriterien als forschungsstark bewertet werden.

Die übliche Rankingkritik liegt mir hier fern. Allerdings frage ich mich bei der verwendeten Definition schon, ob man auch von einem Luxuskaufhaus sprechen würde, wenn es in mindestens drei von sechs Stockwerken erlesene Dinge zu kaufen gibt, die übrige Hälfte der Etagen aber nur durchschnittliche Waren oder mitunter auch mediokres Zeug anbietet, wie es sogar an mancher Exzellenzuni der Fall sein soll.

Jeder distinguiert sich, so gut er kann. Etwa die Fachhochschulen, die, als faktische Teaching Universities durch Bologna aufgewertet, endlich aus dem akademischen Souterrain aufsteigen wollen und sich "Universities of Applied Sciences" nennen. Und erst recht die Universitäten: Noch gut in Erinnerung ist die Bezeichnung "Univ.-Prof." seit Ende der 80er-Jahre als Absetzbewegung gegenüber den Professoren der zunehmenden FHs und, noch inferiorer, der Berufsakademien.

Doch wahrhaft ärgerlich am Eigenlob zur Forschungsuni ist vor allem, dass die Studenten nichts davon haben, noch nicht mal einen Studienplatz. Zur Universitas gehören aber Lehrende und Lernende, nicht nur Forscher. Bis dahin gilt also für die Unis: Wen bereits die jahrelang geforderte eigenhändige Auswahl der Studierenden immer noch überfordert, der ist leider auch noch nicht schlau genug, um echte Forschungsuniversität zu werden.


Alexander Ross, MSc (Comm), ist Wirtschaftsjournalist und schreibt für SPIEGEL Online, Tageszeitungen und Magazine. Der Wirtschafts- und Kommunikationswissenschaftler arbeitete als Manager im In- und Ausland, ist Dozent an der Berliner Journalistenschule und veröffentlichte sieben Bücher, zuletzt "Der Macht-Code: Spielregeln der Manipulation" (Hanser 2009).


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Quelle:
attempto! 26/2009, April 2009, Seite 18-19
Zeitschrift der Eberhard Karls Universität Tübingen und der
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attempto! erscheint zweimal jährlich zu Semesterbeginn


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2009