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REDE/067: Rede von Ministerin Wanka zum Nationalen Bildungsbericht 2012, 22.02.2013 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Johanna Wanka, zum Nationalen Bildungsbericht 2012 - Bildung in Deutschland und Stellungnahme der Bundesregierung vor dem Deutschen Bundestag am 22. Februar 2013 in Berlin:



Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Seit 2006 gibt es alle zwei Jahre den Nationalen Bildungsbericht - gemeinsam herausgegeben von der Kultusministerkonferenz und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Davor lag ein langer Diskussionsprozess. Denn wir wollten eine vertiefte Analyse über die Bildung in Deutschland haben, uns also nicht nur an PISA und anderen OECD-Vergleichen orientieren. Wir wollten qualifizierte Aussagen vor allem bezogen auf das deutsche System - Vergleichbarkeit zu diesen Studien vorausgesetzt -, zum Beispiel über die duale Berufsausbildung - und zwar nicht nur einmal, sondern wir wollten Längsschnittstudien, sodass man etwa alle zwei Jahre vergleichen kann und nicht nur irgendwann eine Zahl hat, beispielsweise wie viele Frauen ab dem 40. Lebensjahr in der Weiterbildung sind. So kann man erkennen, wie sich das über die Jahre entwickelt: Hat man positive oder negative Entwicklungen?

Deswegen glaube ich, dass es ein großer Fortschritt ist, dass wir diesen Bildungsbericht seit 2006 haben. Es war natürlich eine lange Diskussion für das Untersuchungsdesign notwendig. Es ging beispielsweise um die Frage: Welche Indikatoren nimmt man?

Im Antrag der SPD-Fraktion habe ich gelesen, dass man dort Weiterentwicklungen wünscht. Diese sind ohne Weiteres mit der Steuerungsgruppe möglich. Es muss sich nur um Dinge handeln, die uns substanziell für viele Jahre interessieren. Ansonsten macht man Sonderuntersuchungen.

Wenn man das seit 2006 rekapituliert, kann man mit Fug und Recht sagen, dass in diesem Bildungsbericht deutlich wird, dass es positive Entwicklungen in Deutschland gibt. Diese sollten wir nicht kleinreden, aber wir sollten auch sehen, wo es Probleme oder große Aufgaben gibt, die noch zu bewältigen sind.

Ich nenne nur einige Fakten aus dem dicken Bericht. Wenn ich an die Diskussion Anfang 2000 denke, halte ich es für eine sehr gute Botschaft, dass wir seit 2006 den Anteil der jungen Menschen, die die Schule ohne Abschluss verlassen, kontinuierlich gesenkt haben. Wir sind jetzt bei 6,2 Prozent. Das ist immer noch zu viel. Da besteht immer noch die große Aufgabe, das weiter zu senken. Aber es sind wesentlich mehr als zuvor am Anfang einer Bildungskarriere gut gestartet.

Ich denke ferner an das Übergangssystem. Wir haben jahrelang über die Millionen diskutiert, die wir für das Übergangssystem brauchen. Inzwischen sind weniger junge Menschen im Übergangssystem; diese Zahl ist gesunken. Das hat auch einen demografischen Aspekt. Aber ganz entscheidend ist, dass es weniger Altbewerber gibt.

Bei denen, die noch drin sind - das sind immer noch zu viele -, wissen wir aber, dass ein erhöhter Förderbedarf besteht. Deswegen ist der Politikansatz der persönlichen Begleitung derjenigen, die Schwierigkeiten haben - den hat das Bundesministerium initiiert -, an dieser Stelle der richtige Ansatz.

Wir haben Rekorde zu verzeichnen, was die Zahl der Abiturienten betrifft, was die Zahl der Studienanfänger betrifft, aber eben auch, was die Zahl der Absolventen betrifft. Trotzdem wissen wir, dass wir in manchen Fächergruppen, zum Beispiel in den MINT-Fächern, noch viel zu hohe Abbrecherquoten haben. Diesem Thema will ich mich besonders widmen.

Wenn man den Bildungsbericht insgesamt nimmt, sieht man: Er liefert Informationen, die wir so vorher nicht hatten, zum Beispiel zur Altersstruktur der Lehrer. In dem Bildungsbericht wird deutlich - nicht für ein einzelnes Bundesland, sondern für die Bundesrepublik insgesamt -, dass in den nächsten zehn Jahren ein Drittel aller Lehrer in den Ruhestand gehen. Deswegen ist die große Aufgabe - dies ist auch perspektivisch sehr wichtig -, eine Lehrerausbildung zu schaffen, die gute Lehrer in das System bringt. In allererster Linie liegt die Verantwortung natürlich bei den Ländern, bei den lehrerbildenden Fakultäten, aber, ich glaube, die "Qualitätsoffensive Lehrerbildung", die der Bund gestartet hat, ist ein entscheidender Pluspunkt, um den Nachwuchs entsprechend zu qualifizieren und mehr Wert darauf zu legen.

Wir sind jetzt in der Situation, dass die Länder am Zug sind. Sie müssen bei der Kultusministerkonferenz im März endlich das auf den Tisch legen, was für den Bund die Voraussetzung ist, nämlich rechtssichere Kriterien für die gegenseitige Anerkennung. Dann können wir im April in der GWK unter Umständen schon den Sack zumachen. Die Länder sind jetzt am Zug. Wir als Bundesseite warten an dieser Stelle ab.

Der Bildungsbericht besteht immer aus einem indikatorbasierten Teil und einer Sonderuntersuchung, bei der wir frei sind, zu entscheiden, was wir untersuchen lassen. Ich habe mich sehr dafür engagiert und bin sehr froh, dass sich in 2012 die Sonderuntersuchung mit kultureller Bildung, vor allen Dingen kultureller Bildung im Lebensverlauf, befasst hat.

Ich will nur zwei Ergebnisse und Schlussfolgerungen ganz kurz nennen.

Das erste Ergebnis - dies ist eines, das Sie alle erwartet haben - ist, dass das Elternhaus im Hinblick auf kulturelle Interessen natürlich sehr stark prägend ist. Das ist ganz klar. Aber im Bericht wird auch deutlich: Wenn das Elternhaus materiell nicht gut ausgestattet ist, aber zum Beispiel durch regelmäßiges Singen oder anderes das Interesse der jungen Menschen an Musik wächst, dann ist unser Bildungssystem in Deutschland, zum Beispiel über eine Staffelung der Preise bei Musikschulen, so gut, dass die jungen Menschen qualifiziert werden können und dass sie ein Instrument lernen können. Das wird in dem Bericht deutlich. In dem Moment, in dem es keine Anregung vom Elternhaus gibt - es hängt beileibe nicht von der Finanzsituation des Elternhauses ab, ob kulturelle Interessen geweckt werden -, kann man beispielsweise durch das Programm "Lesestart" versuchen, das kulturelle Interesse anzuregen.

Ich denke, es ist im Sinne von Bildungsgerechtigkeit und Chancengerechtigkeit eine zentrale Aufgabe des staatlichen Systems, das zu kompensieren und zu unter-stützen. Da muss man alle Kinder erreichen und nicht selektiv einzelne.

Erreichen kann man sie natürlich in der Schule - dort sind alle Kinder - und zu einem großen Teil auch in den Kitas. Deswegen haben die Bundesländer eine große Verantwortung, das zu realisieren. Alle Bundesländer haben in den letzten Jahren viele Projekte und anderes im Bereich der kulturellen Bildung auf den Weg gebracht. Jetzt kommt es darauf an, dass das flächendeckend in den Schulen originär verankert wird, unabhängig davon, ob ein besonders engagierter Schuldirektor oder Lehrer vorhanden ist. Das ist die zentrale Aufgabe.

Ich komme zum zweiten Ergebnis; dieses hat mich überrascht. Dabei geht es um die kulturellen Aktivitäten im Lebensverlauf. Ich hatte immer gedacht, diese würden ab etwa 55 Jahren zunehmen, weil man in dem Alter mehr Zeit hat. Das ist überhaupt nicht so. Die größte kulturelle Aktivität im Lebensverlauf ist bei Jugendlichen zwischen neun und 13 Jahren. Dies verblüfft. Damit ist aber nicht gemeint, dass sie die formalen Angebote, die es in der Schule oder an anderer Stelle gibt, nutzen. Vielmehr ist bei der Analyse ganz klar herausgekommen, dass sie nonformale beziehungsweise informelle Angebote nutzen. Das ist ein sehr weites Feld. Genau an dieser Stelle setzt das Bundesprogramm "Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung" an, weil an dieser Schwachstelle jetzt Akzente gesetzt werden, Möglichkeiten ausgelotet werden, um diese informellen Strukturen zu befördern, zu unterstützen und auf lange Lebensdauer auszulegen.

Deswegen freue ich mich über den Antrag der Koalitionsfraktionen. Ich bin mir aber, nach dem, was ich aus Ihren Debatten gelesen habe, sicher, dass sich viele hier in diesem Haus für diesen Bereich stark machen und engagieren. Ich hoffe auf gute Zusammenarbeit.

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Quelle:
Bulletin 19-2 vom 22.02.2013
Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Johanna Wanka,
zum Nationalen Bildungsbericht 2012 - Bildung in Deutschland und Stellungnahme
der Bundesregierung vor dem Deutschen Bundestag am 22. Februar 2013 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2013