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OSTEUROPA/004: Ukrainekrieg - Spirale der Unvernunft ... (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. September 2014

Ukraine:
Sanktionen und Gegensanktionen - Eine Politik der Unverantwortlichkeit

Ein Meinungsbeitrag von Somar Wijayadasa


Bild: © Natalia Kravchuk/IPS

Unabhängigkeitsplatz in Kiew. Nach der Revolution wird es für die Ukraine schwerer, der EU beizutreten
Bild: © Natalia Kravchuk/IPS

Somar Wijayadasa, ein ehemaliger Mitarbeiter der Weltkulturorganisation UNESCO und des UN-Entwicklungsprogramms UNDP, geht in seinem Meinungsbeitrag über die politische Krise in der Ukraine hart mit einer Politik ins Gericht, die auf die gefährliche und zerstörerische Karte von Sanktionen setzt.


New York, 5. September (IPS) - Die Krise in der Ukraine ist eine menschengemachte Katastrophe, die auf das Konto politischer Weltführer geht, die versuchen, die Ukraine zu spalten. Bei globalen geopolitischen Spannungen schwört man auf Sanktionen, die unerwünschte Folgen haben.

Bereits im Juli 1998 hieß es in einem Leitartikel der 'Washington Post' mit der Überschrift 'The Snake Oil of Diplomacy: When Tensions Rise, The US Peddles Sanctions' ('Das wirkungslose Allheilmittel der Diplomatie: Wenn die Spannungen zunehmen, gehen die USA mit Sanktionen hausieren'): "Kein Land der Welt hat so viele Sanktionen wie die USA verhängt." Insgesamt habe Washington mehr als 110 Mal auf Wirtschaftsembargos zurückgegriffen.


Sanktionen mit schlimmen Folgen

Historisch gesehen waren Sanktionen als Durchsetzungsinstrument schon immer die Wahl von Völkerbund, Vereinten Nationen, USA und der Europäischen Union gewesen, wenn der Frieden bedroht und diplomatische Bemühungen versagt haben. In den 1990er Jahren erlebten wir einen regelrechten Wildwuchs von UN- und US-Sanktionen gegen Kuba, den Irak, den Iran, gegen Libyen, Liberia, Somalia und Kambodscha - um nur einige zu nennen. Diese Sanktionen hatten verheerende Folgen. Sie nützten den Mächtigen und schadeten den Armen.

Einige Länder wie der Iran, Irak und Nordkorea verhöhnten die US-Sanktionen - weil sie entweder die erforderlichen Überlebensressourcen besaßen oder aber den festen Willen, sich zu behaupten. Sanktionen gegen China und Indien konnten keinen Führungswechsel oder negative Folgen für die Wirtschaft herbeiführen. Doch in den meisten Ländern, insbesondere in Kuba, im Irak und in Haiti, zerstörten sie die wirtschaftlichen, sozialen und Gesundheitssysteme.

Es gab Zeiten, da steckte hinter Sanktionen der heimliche Wunsch, einen 'Regimewechsel' herbeizuführen, was einem Verstoß gegen die UN-Charta und internationales Recht gleichkommt. Eine solche hinterhältige Verfahrensweise hat nichts mit dem Schutz der Menschenrechte und der Förderung von Demokratie und Freiheit zu tun.

Doch inzwischen entfalten die Sanktionen, die gegen Russland im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise verhängt wurden, ihren Bumerangeffekt.

Schon vor den 'Maidan'-Protesten im April, die zum Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch führten, hatten die USA mit ihren nahe Russland stationierten Raketen und NATO-Bemühungen, in die ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts vorzudringen, den russischen Präsidenten Wladimir Putin erzürnt. Dann wurde Russland aus der Riege der G8-Industriestaatenriege ausgeschlossen.

Die USA und die EU haben Russland nach dem Krim-Referendum für die Unabhängigkeit (von der Ukraine) sanktioniert. Doch ein solcher Volksentscheid ist ein in Artikel 1 der UN-Charta festgeschriebenes Völkerrecht. Angewendet wurde dieses Recht auf 'Selbstbestimmung', als das ehemalige Jugoslawien und die Tschechoslowakei geteilt wurden und als etliche kleine Staaten wie Osttimor ihre Unabhängigkeit erklärten.

Die Menschen in der Ostukraine, von denen 70 Prozent ethnische Russen sind, fühlten sich auf den Schlips getreten, als die ukrainische Regierung beschloss, der russischen Sprache ihren offiziellen Status zu entziehen. Auch sie beriefen sich auf ihr Recht auf Selbstbestimmung und hielten ein Referendum für einen eigenen Staat ab.


Behauptungen und Gegenbehauptungen

Die USA weiteten die Sanktionen gegen Russland nach dem Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs über der Ukraine aus. Ihre Schuldzuweisungen konnten weder mit Hilfe der Blackbox, noch durch Satellitenbilder oder die Inspekteure der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bestätigt werden und erwiesen sich somit als Vorverurteilung einer Konfliktpartei.

Darüber hinaus behaupteten westliche Entscheidungsträger, dass Russland die Rebellen in der Ukraine mit Waffen ausstattet. Das mag stimmen, doch wieder einmal konnten die USA keine Beweise vorlegen. Und Putin wies die Anschuldigungen zurück. Das alles erinnert sehr stark an die Diskussion über die Massenvernichtungswaffen, die dem Irak immer und immer wieder angehängt wurden.

Noch mehr Sanktionen von USA und EU sorgten dafür, dass die Vermögenswerte russischer Regierungsvertreter eingefroren wurden und diese mit Reiseverboten in die EU belegt wurden. Weitere Folgen, um nur einige zu nennen, waren die Einschränkungen beim Handel mit russischen Aktien und Schuldscheinen auf den EU-Märkten sowie Maßnahmen, die sich gegen russische Verteidigungs-, Energie- und Finanzsektoren richteten.

Am 7. August schlug Russland mit einem einjährigen Importverbot von Nahrungsmitteln aus der Europäischen Union zurück. Betroffen sind Rind-, Schweine- und Geflügelfleisch, sowie Käse, Milchprodukte, Obst und Gemüse auch aus den USA, Australien, Kanada und Norwegen.

Der russische Landwirtschaftsminister Nikolai Fjodorow erklärte: "Wir haben nun die einmalige Chance, unseren Agrarsektor zu überholen und wettbewerbsfähig zu machen." Wie er weiter erklärte, hat Russland bereits andere nicht-westliche Staaten benannt, aus denen es Nahrungsmittel einführen wird. Auch zeigte er sich zuversichtlich, dass die Russen auf lokale Nahrungsmittel zurückgreifen werden.

Wie wir bereits beobachten konnten, hat sich das europäische Wachstum verlangsamt, und einige Länder fallen in die Rezession. US-Investoren haben zudem mehr als vier Milliarden Dollar von der europäischen Börse abgezogen. Europäische Bauern und norwegische Fischer sind ebenfalls betroffen. Außerdem sah sich die EU gezwungen, 167 Millionen Dollar zur Entschädigung der europäischen Bauern beiseite zu legen. Und die Gütertransportfirmen, die Russland beliefert haben, sind arbeitslos.

Auch wenn sich nicht genau vorhersagen lässt, wie sich dieses 'Wie-du-mir-so-ich-dir'-Spielchen auf die russischen und die westlichen Volkswirtschaften auswirken wird, so werden sie nach Aussagen des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán den Westen stärker als Russland schädigen. "In der Politik sagt man dazu, sich ins eigene Knie zu schießen", erklärte er.

Auch das menschliche Leid in der Ukraine hat zugenommen. Der UN zufolge hat der Krieg dort bereits mehr als 2.500 Menschen das Leben gekostet. Fast 5.000 Menschen wurden verletzt. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) sind mehr als 730.000 Ostukrainer nach Russland geflohen. Die ukrainische Regierung hat bestätigt, dass mehr als 300.000 Menschen innerhalb der Ukraine auf der Flucht sind.


"Arroganz und Interventionismus"

Die UN-Charta und internationales Recht sehen zur Beilegung von Konflikten zwischen Staaten Verhandlungen vor, bei denen die Unabhängigkeit, Souveränität und das Prinzip der Nichteinmischung in die Angelegenheiten des jeweils anderen Landes respektiert werden müssen.

Diese Katastrophe lässt sich nur lösen, wenn die machtgierigen Weltführer ihre Arroganz und ihren Interventionismus beenden und der Ukraine helfen, ein wohlhabender aber neutraler Pufferstaat zwischen Westeuropa und Russland zu werden. Wenn nicht, ist die Teilung der Ukraine unvermeidlich. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/09/sanctions-and-retaliations-simply-unconscionable/

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IPS-Tagesdienst vom 5. September 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. September 2014