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SYRIEN/035: Dominostein Damaskus - aufgesessen, festgefressen ... (weltnetz.tv)


weltnetz.tv - 23. Januar 2014

Konfrontativer Auftakt bei Syrienkonferenz

Karin Leukefeld, langjährige Syrienkorrespondentin, berichtet im Gespräch mit weltnetz.tv vom Auftakt der Syrien-Friedenskonferenz im schweizerischen Montreux.

Das Gespräch wurde am 22.01.2014 aufgezeichnet.
Vollständiges Transkript des Videobeitrags (*)



weltnetz.tv: Karin Leukefeld, Sie halten sich zur Zeit im schweizerischen Montreux am Genfer See auf, wo heute die lang erwartete Syrienkonferenz beginnt. Was ist das Ziel dieser Konferenz?

Karin Leukefeld: Nun, das erklärte Ziel der Veranstalter - das sind insbesondere die USA und Russland, unter dem Dach der Vereinten Nationen - ist, eine politische Lösung in Syrien zu finden. Einen politischen Prozess einzuleiten, wie er im Juni 2012 im "Genfer Kommuniqué" vorgezeichnet worden ist. Das heißt, der Weg soll bereitet werden, um eine Übergangsregierung einzuführen, deren Aufgabe es sein soll, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vorzubereiten und einen verfassungsgebenden Prozess einzuleiten. Die Mitglieder dieser Übergangsregierung haben ausschliesslich diese Aufgabe. Und sie müssen von allen Konfliktparteien akzeptiert werden.

weltnetz.tv: Es hat lange Auseinandersetzungen darüber gegeben, wer von syrischer Seite aus an der Konferenz teilnimmt. Wer ist denn nun dabei und wer nicht?

Karin Leukefeld: Ich würde das so beschreiben, dass der größte Teil der syrischen Opposition nicht an dieser Konferenz teilnimmt.

Wer dabei ist, ist ein Teil der oppositionellen "Nationalen Koalition". Diese Gruppierung wird insbesondere von den "Freunden Syriens" - also einem Staatenverband um die USA herum - unterstützt. Die Gruppierung "Nationale Koalition" der oppositionellen und revolutionären Kräfte in Syrien ist über die Frage, ob man an der Konferenz teilnehmen soll oder nicht, auseinandergebrochen: der "Syrische Nationalrat" - eine Vorgängerorganisation der "Nationalen Koalition", ist aus dem gemeinsamen Bündnis ausgetreten, weil sie rigoros gegen jede Teilnahme an der Konferenz waren. Das heißt, wir haben sozusagen eine "Rest-Nationale Koalition", die hier an den Gesprächen teilnimmt. Das sind fünfzehn Vertreter, darunter zwei Frauen, zwei kurdische Vertreter, einige sogenannte "moderate Kräfte" wie z.B. auch Michel Kilo, der ja auch in Deutschland bekannt ist. Ausserdem sind noch vier Vertreter von bewaffneten Gruppen aus Syrien dabei, die dieser Delegation angegliedert wurden.

Wer nicht teilnimmt, das ist ein Großteil anderer bewaffneter Kräfte in Syrien, die ganz unterschiedliche Ziele mit ihrem Kampf dort verbinden. Die einen, die einen islamischen Staat wollen, die anderen, die einen Gotteskrieg führen, die dritten, die vor allem für die Interessen Saudi-Arabiens kämpfen. Und wer auch nicht teilnimmt an dieser Konferenz, ist eine Vielzahl an moderaten und säkularen Oppositionsgruppen, die von Anfang an immer gegen eine bewaffnete Auseinandersetzung in Syrien gesprochen haben. Dazu gehört das "Nationle Koordinatinskommitee für demokratischen Wandel", dem ja auch die Kurden angehören. Und dazu gehört auch die Gruppierung "Den syrischen Staat aufbauen", die sich vor allem zum Ziel gesetzt hat, eine Zivilgesellschaft in Syrien aufzubauen. Diese Gruppierungen sind gar nicht als Gruppierungen eingeladen worden und insofern nehmen sie auch nicht teil.

weltnetz.tv: Es hat Berichte über einen diplomatischen Zwischenfall in Athen gegeben bzgl. der Anreise der offiziellen syrischen Delegation. Um was für einen Zwischenfall handelt es sich da und wie ist der politisch einzuordnen?

Karin Leukefeld: Die offizielle syrische Regierungsdelegation besteht ja aus zwei Teilen: Ein Teil der Delegation ist aus Damaskus selber gekommen, dazu gehört der Außenminister, der stellvertretende Außenminister und die Präsidentenberaterin. Der andere Teil der Delegation ist aus New York gekommen, z.B. der syrische Botschafter bei den Vereinten Nationen. Die Maschine, die aus Damaskus gekommen ist, ist eine kleine Maschine gewesen, die musste in Athen zwischenlanden um aufgetankt zu werden. Sie bekam dafür auch die Erlaubnis. Dann hat sich aber - angeblich - die Firma, die für die Betankung zuständig war, geweigert, das Flugzeug zu betanken. Mit der Begründung, die Sanktionen der Europäischen Union würden die Betankung verbieten. Es hat insgesamt vier Stunden gedauert, bis dann durch intensive Verhandlungen und Einmischungen auch des griechischen Außenministeriums diese Firma überzeugt werden konnte, das syrische Flugzeug aufzutanken. Dann hat die Firma gefordert, dass das Benzin bar bezahlt werden muss. Sie haben also auch keine Kreditkartenzahlung akzeptiert. Das ganze hat dazu geführt, dass die syrische Regierungsdelegation erst etliche Stunden später in Genf angekommen ist und vorgesehene Vorgespräche mit dem russischen Außenminister Lawrow sowie mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, nicht rechtzeitig stattfinden konnten. Man muss das natürlich schon so deuten, dass das eine absichtliche Behinderung der Anreise der syrischen Regierungsdelegation war.

weltnetz.tv: Ist es denn bereits an diesem ersten Konferenztag schon zu Ergebnissen gekommen?

Karin Leukefeld: Man muss sagen, dass diese Veranstaltung hier in Montreux eigentlich eine Art Eröffnungsveranstaltung ist. Es sind insgesamt 45 Delegationen vertreten, inklusive Vertreter der Europäischen Union, der Arabischen Liga und der Organisation der Arabischen Staaten. Alle haben die Möglichkeit, hier eine Stellungnahme abzugeben. Am Vormittag führten insbesondere die Stellungnahmen der syrischen Regierung und der syrischen Opposition zu einem kleinen Eklat. Weil sie sich gegenseitig doch massiv beschuldigt haben. Und zudem der syrische Außenminister, der für die Regierung gesprochen hat, seine Redezeit deutlich überschritten hatte, was dazu führte, dass Generalsekretär Ban Ki-moon ihn mehrfach unterbrochen hat, ihn zu ermahnen, dass er jetzt doch aufhören solle zu reden. Die Gespräche bzw. die Reden hier am Vormittag waren im wesentlichen von Anschuldigungen an die syrische Regierung geprägt. Jetzt am Nachmittag kommen auch andere Stimmen zu Wort, wie z.B. die Vertreterin aus Südafrika, der Außenminister von Indien, oder auch der Außenminister von Brasilien. Die Vertreter also der BRICS-Staaten, die ja bekanntlich auch eine andere Position für diesen syrischen Konflikt eingenommen haben, haben sich doch wesentlich moderater gezeigt und keine eindeutigen Schuldzuweisungen vorgenommen.

Die eigentlichen Gespräche zwischen der syrischen Regierungsdelegation und der syrischen Oppositonsdelegation beginnen am Freitag (24. Januar 2014) in Genf. Und sie könnten bis zu sieben Tagen dauern, das hat der russische Außenminister Lawrow bereits angekündigt. Und dann wird man sehen, ob es tatsächlich Ergebnisse geben wird.

weltnetz.tv: Sie haben über die verschiedenen Teilnehmer gesprochen. Der Iran wurde vom UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zur Konferenz erst ein- und dann wieder ausgeladen. Warum das? Und welche Gründe gäbe es für eine Teilnhame des Iran an diesen Gesprächen?

Karin Leukefeld: Das Manöver, den Iran erst ein- und dann wieder auszuladen, war natürlich ein Zeichen deutlicher Schwäche der Vereinten Nationen. Die Vereinten Nationen agieren hier im Auftrag der USA und Russlands. Und die USA waren ganz offensichtlich dagegen, dass der Iran teilnimmt. Wobei man sagen muss, dass die USA da natürlich auch im Interesse ihrer Verbündeten gehandelt haben, nämlich einerseits Frankreichs, das gegen eine Teilnahme des Iran war und Saudi-Arabiens, das gegen eine Teilnahme des Iran war. Diese Staaten unterstützen die Oppositionsdelegation, die anwesend ist, nämlich die "Nationale Koalition". Das hat doch deutlich gezeigt, dass die Vereinten Nationen nicht tatsächlicher Herr des Geschehens sind, sondern dass sie lediglich ihren Namen für diese Veranstaltung zur Verfügung stellen. Ein UN-Beamter hat das so bezeichnet: dass die UN nur so stark ist, so stark eben die einzelnen UN-Mitglieder sich auf einen Konsens einigen können. Und in Bezug auf den Iran gab es hier keinen Konsens.

Warum es für den Iran so wichtig wäre, an dieser Konferenz teilzunehmen, das zeigt ein Blick auf die Landkarte. Der Iran ist eine regionale Großmacht. Der Iran hat seit über 30 Jahren enge politische Verbindungen mit Syrien, unterstützt die syrische Regierung und ist von daher natürlich ein ganz wichtiger Partner für einen zukünftigen Frieden in Syrien.

Eine andere Großmacht, über die man sehr wenig hier spricht, ist Saudi-Arabien. Saudi-Arabien steht in einem Konflikt mit dem Iran und spielt im Krieg in Syrien eine sehr wichtige Rolle, weil Saudi-Arabien bewaffnete Gruppen massiv finanziell und militärisch unterstützt.

weltnetz.tv: Im Vorfeld der Konferenz sind Fotos aufgetaucht, auf denen augenscheinlich gefolterte und getötete Menschen zu sehen sind. Um was für einen Report handelt es sich dabei und wer hat ihn herausgegeben?

Karin Leukefeld: Die Umstände dieses Berichts sind ein wenig unklar. Veröffentlicht wurde der Bericht gleichzeitig von der britischen BBC, von guardian und dem US-amerikanischen Sender CNN. Es ist ein Bericht, der im Auftrag des Emirats Katar entstanden ist. Katar hat eine Anwaltssozietät in London beauftragt. Die wiederum hat drei ehemalige UN-Sonderermittler beauftragt mit der Untersuchung von Fotomaterial, das von einem - so heißt es jedenfalls - ehemaligen Militärpolizisten aus Syrien zur Verfügung gestellt worden ist. Dieser Militärpolizist hat sich aus Syrien abgesetzt, hat nach eigenen Angaben 55.000 digitalisierte Fotos mitgebracht, die insgesamt 11.000 Todesopfer zeigen. Der Mann hat erzählt, er selber sei Fotograf in einem Militärkrankenhaus gewesen, wo er diese Fotos aufgenommen hätte. Es heißt, diese Männer seien alle in syrischen Gefängnissen zu Tode gefoltert worden oder zu Tode gekommen. Und das ist sozusagen durch die drei ehemaligen UN-Sonderermittler bestätigt worden. Sie sprechen von "Morden in industriellem Maßstab" und haben offenbar das gesamte Material auch den Vereinten Nationen vorgelegt. Aber ich denke, dass man diesen Bericht doch prüfen muss. Denn der Geldgeber letzendlich ist Partei in dieser kriegerischen Auseinandersetzung. Katar unterstützt mit Geld und mit Waffen auch bewaffnete Gruppen in Syrien, gegen die syrische Regierung.

weltnetz.tv: Das heißt, dieser Report soll und wird vermutlich auch Auswirkungen auf den Verlauf der Gespräche haben?

Karin Leukefeld: Es hat insofern heute schon Auswirkungen gehabt, als der Bericht in verschiedenen Redebeiträgen heute morgen auf der Konferenz auch zitiert worden ist. Natürlich ist das Thema in allen Medien. Und der Vertreter der "Nationalen Koalition", also der Oppositionsdelegation, hat diese Bilder in seinem Beitrag erwähnt und gesagt, das sei ein Beweis dafür, dass die syrische Regierung Verbrechen begehen würde wie das Naziregime damals in Deutschland. Und wenn man diesen Vorwurf vorbringt, dann ist es auch ganz eindeutig, dass man mit den Personen, die diese Regierung auf der Konferenz vertreten, auch in keiner Weise in Verhandlungen eintreten will.

weltnetz.tv: Karin Leukefeld, in Montreux hat es nun den Gesprächsauftakt gegeben. Wie werden die am 24. Januar beginnenden, eigentlichen Gespräche in Genf angegangen bzw. welche konkreten Themen sind da auf der Agenda?

Karin Leukefeld: Für die Gespräche, die in Genf beginnen, gibt es eine bestimmte Koreographie. Das heißt, nach meinen bisherigen Informationen wird es so sein, dass in einem großen Saal mehrere Tische stehen. An einem Tisch sitzt die syrische Regierungsdelegation. An einem weiteren Tisch sitzt die Delegation der Opposition. An einem dritten Tisch, dazwischen positioniert, sitzen die Vertreter der Vereinten Nationen. Die beiden syrischen Delegationen bestehen jeweils aus neun Personen. Sie haben nur einen Sprecher. Und der Vertreter der Vereinten Nationen, Lakhdar Brahimi, wird jeweils an einen Tisch gehen, dort verhandeln, dort Informationen entgegen nehmen und dann wird er mit diesen Informationen an den Tisch der anderen Delegation gehen und das dort vorbringen und verhandeln. Also es ist so eine Art "Pendeldiplomatie", die da in diesem großen Raum stattfinden soll. Gleichzeitig hat jede Seite noch militärische Experten und technische Experten zur Verfügung, die aber wiederum an getrennten Tischen sitzen und für spezielle Fragen zur Verfügung stehen. Im Hintergrund, in einem weiteren Raum, werden Experten von Russland und den USA sitzen. Diese beiden Delegationen aus den USA und Russland werden von den jeweiligen stellvertretenden Außenministern geleitet werden.

Man hat sich im Vorfeld auf ausschliesslich zwei Themen geeinigt. Jede Seite konnte ein Thema vorbringen, worüber sie unbedingt reden wollte, worüber sie verhandeln wollte und wo sie zu einem Ergebnis kommen will. Die syrische Regierungsseite hat das Thema "Kampf gegen den Terrorismus" in den Vordergrund gestellt. Die Delegation der "Nationalen Koalition" hat das Thema "Humanitäre Hilfe" in den Vordergrund gestellt. Also das werden die zwei Themen sein, über die jetzt in der ersten Verhandlunsgrunde gesprochen werden wird. Und es gibt durchaus die Möglichkeit, dass man bei diesen Themen auch zu einer Art Ergebnis kommen kann, nach vielleicht sieben oder acht Verhandlungstagen.

weltnetz.tv: Karin Leukefeld, vielen Dank für dieses Skypegespräch in das Pressezentrum der Syrienkonferenz im schweizerischen Montreux!

Karin Leukefeld: Ich danke Ihnen auch!



(*) URL des Beitrags: http://weltnetz.tv/video/522

Video: weltnetz.tv
Länge: 00:17:49


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Quelle:
Weltnetz.tv
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und von Karin Leukefeld
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2014