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SYRIEN/101: Dominostein Damaskus - es drängt die Zeit, die Menschheit schreit ... (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 11. Februar 2016
(german-foreign-policy.com)

Kampf um Syrien


BERLIN/DAMASKUS - Angesichts der Kämpfe um Aleppo dringt Berlin bei dem heutigen Treffen der Internationalen Syrien-Kontaktgruppe in München auf eine umgehende Weiterführung der Genfer Syrien-Verhandlungen. Der vorläufige Verhandlungsstopp erleichtert es den syrischen Regierungstruppen und ihren russischen Unterstützern, die Fortsetzung der Angriffe auf Aleppo zu begründen. Allerdings trage die syrische Opposition selbst die Schuld an der Einstellung der Gespräche, wird US-Außenminister John Kerry zitiert; sie habe sogar, mutmaßlich auf direktes Eingreifen der Vereinigten Staaten hoffend, "einen Waffenstillstand" abgelehnt. Die Opposition wird auch von Berlin schon seit Jahren massiv unterstützt - zuletzt insbesondere mit Infrastruktur und mit Beratung für die Genfer Verhandlungen. Aktuell hoffen die in Aleppo kämpfenden Oppositionsmilizen, darunter salafistisch-jihadistische Milizen und westeuropäische Jihadisten, auf unmittelbare militärische Unterstützung durch Saudi-Arabien. Käme es zu einer saudischen Militärintervention, würde sie mutmaßlich auch mit deutschen Waffen geführt.


Ein Marshallplan für Mittelost

Für den heutigen Donnerstag kündigt das Auswärtige Amt im Vorfeld der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz ein Treffen der Internationalen Syrien-Kontaktgruppe an. Berlin hat in jüngster Zeit begonnen, seine Syrien-Aktivitäten deutlich zu intensivieren; so hat die Bundesregierung in der vergangenen Woche die Londoner Syrien-Geberkonferenz mitorganisiert und einen "Sonderbeauftragten für die Stabilitätspartnerschaft Mittlerer Osten" ernannt, der die Maßnahmen der verschiedenen Bundesministerien vor allem für den Irak und Syrien koordinieren soll. Zuletzt war sogar von einem "Marshallplan für die Region" die Rede, den es nun einzuleiten gelte.[1] Mit der heutigen Zusammenkunft der Syrien-Kontaktgruppe gelingt es Berlin, neben Vertretern des Westens auch Abgesandte Russlands, der Türkei, Irans und Saudi-Arabiens in München zusammenzuführen. Dies gilt als diplomatischer Erfolg, da nicht nur Saudi-Arabien und Iran, sondern auch die Türkei und Russland zur Zeit massive Konflikte austragen.


Beratung für die Opposition

Die Syrien-Gespräche selbst haben sich zuletzt allerdings nicht nach den Vorstellungen Berlins und Washingtons entwickelt - obwohl die Bundesregierung die Verhandlungsdelegation der syrischen Opposition, die ihrerseits aufs Engste mit Saudi-Arabien kooperiert, systematisch fördert. Bekannt ist, dass die bundeseigene Entwicklungsorganisation GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) der Oppositionsdelegation in Genf als "sicher" bezeichnete Besprechungsräume zur Verfügung stellt. Darüber hinaus besorgt sie Übersetzungsdienste und kümmert sich um Beratung.[2] Die Hilfen liegen auf der Linie der bisherigen deutschen Politik im Syrien-Krieg. Bereits 2012 hatte die Bundesregierung rund 40 syrische Exiloppositionelle in Berlin versammelt und sie mit Hilfe deutschen Fachpersonals Grundzüge eines staatlichen Neuaufbaus für Syrien nach dem erhofften Sturz von Präsident Bashar al Assad ausarbeiten lassen ("The Day After" [3]). 2013 versuchten in der Türkei stationierte GIZ-Mitarbeiter, über die Grenze hinweg die Opposition in Syrien selbst zu unterstützen und sie dabei mit der Exilopposition zu vernetzen.[4] Im Juli 2013 unterstützte das Auswärtige Amt die Eröffnung eines "Verbindungsbüros" der syrischen Opposition in Berlin; weitere Hilfen folgten. Ein echter Erfolg ist den deutschen Bemühen um die Stärkung der syrischen Oppositionsstrukturen allerdings versagt geblieben.


Ein schwieriger Verbündeter

Auch die aktuelle Zusammenarbeit mit der syrischen Opposition ist bislang von Misserfolgen geprägt. Zwar hat das Auswärtige Amt sogar die scharf kritisierte Einbeziehung salafistisch-jihadistischer Milizen in die Genfer Verhandlungsdelegation unterstützt (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Dennoch hat die Delegation die Verhandlungen, zu denen sie nur aufgrund massiven westlichen Drucks anreiste, vor einigen Tagen vorläufig verlassen. Die Schuld am Genfer Verhandlungsstopp wird selbst in Washington der Opposition angelastet. US-Außenminister John Kerry wird mit der Äußerung zitiert, die Opposition habe "nicht verhandeln" wollen und sogar "einen Waffenstillstand" abgelehnt, offenkundig in der Hoffnung, von den USA letzten Endes mit direktem militärischem Eingreifen unterstützt zu werden. "Was soll ich Ihrer Auffassung nach tun? Gegen Russland Krieg führen?", habe Kerry nach der zeitweiligen Einstellung der Verhandlungen gefragt.[6] Am gestrigen Mittwoch hat die oppositionelle Verhandlungsdelegation nun mitgeteilt, die Wiederaufnahme der Genfer Gespräche von neuen Vorbedingungen abhängig zu machen. Erst kurz zuvor hatte das Auswärtige Amt zum wiederholten Male auf eine unbedingte Fortsetzung der Verhandlungen gedrängt.


Syriens Stalingrad

Dabei gerät die Opposition, die sich vor dem russischen Eingreifen in den Syrien-Krieg im Herbst 2015 noch vor einem möglichen Sieg wähnte, immer stärker in die Defensive. Unterstützt von russischen Luftangriffen, setzen die Regierungstruppen - nach dem Abbruch der Verhandlungen nicht mehr gezwungen, Rücksichten zu nehmen - ihre Offensive auf Aleppo fort. Beobachter urteilen, es gehe vor allem darum zu verhindern, dass Aleppo im Falle einer etwaigen Aufspaltung Syriens zur Hauptstadt eines stark salafistisch-jihadistisch geprägten Kleinstaates werde. In der Region um Aleppo halten nicht nur der Al Qaida-Ableger Al Nusra, sondern auch Milizen wie Ahrar al Sham eine starke Stellung; Ahrar al Sham wird vom deutschen Generalbundesanwalt als terroristisch eingestuft.[7] Darüber hinaus sind auch westeuropäische Jihadisten in der Region sehr präsent; Berichten zufolge sind bei der Verteidigung von Aleppo in den vergangenen Tagen viele von ihnen ums Leben gekommen. Inzwischen gilt die Niederlage der oppositionellen Milizen als nicht unwahrscheinlich; Beobachter sprechen bereits von Aleppo als "Syriens Stalingrad".[8]


Saudische Interventionspläne

Aktuell setzt die auch von Berlin unterstützte Opposition ihre letzten Hoffnungen, wie berichtet wird, auf eine militärische Intervention Saudi-Arabiens.[9] Riad hat am vergangenen Wochenende eine solche Intervention in Aussicht gestellt, sie allerdings als Beitrag zum Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS/Daesh) deklariert. Die Formulierung würde einem Eingreifen zugunsten oppositioneller Milizen in Aleppo nicht zuwiderlaufen: Die von Saudi-Arabien geförderten salafistisch-jihadistischen Milizen wie Ahrar al Sham rivalisieren mit dem IS/Daesh.


Mit deutschen Waffen

Käme es tatsächlich zu einer saudischen Militärintervention in Syrien, dann würde sie nicht nur den Flächenbrand im Nahen und Mittleren Osten noch stärker ausweiten; sie würde mutmaßlich auch mit deutschen Waffen geführt - ganz wie Saudi-Arabiens Krieg im Jemen (german-foreign-policy.com berichtete [10]). Im Zuge seiner umfangreichen Aufrüstung auch durch deutsche Waffenschmieden hat Riad nicht nur deutsche Sturmgewehre der Modelle G3 und G36 in Lizenz produzieren dürfen [11]; noch im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung die Lieferung von Munition, von Panzer-Ersatzteilen und von 100 Kleindrohnen an Saudi-Arabien genehmigt. Zudem verfügt das saudische Militär über zehn Drohnen des Typs Luna und über 1.400 Luftabwehrraketen des Modells IRIS-T.[12] Berlin hat tatkräftig für Riads Kriege vorgesorgt.


Mehr zur deutschen Syrien-Politik: In den nächsten Krieg, Gestaltungsmacht in Mittelost (II), Leadership for Syria, Steinmeier und das Oberlandesgericht und Ein Marshallplan für Mittelost.


Anmerkungen:

[1] S. dazu Ein Marshallplan für Mittelost
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59301

[2] Majid Sattar: Ein Makler auf Reisen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 04.02.2016.

[3] S. dazu The Day After
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58386
The Day After (II)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58394
The Day After (III)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58409
und The Day After (IV)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58411

[4] S. dazu Im Rebellengebiet (IV).
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58605

[5] S. dazu Steinmeier und das Oberlandesgericht
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59296

[6] Dania Akkad: Kerry 'blames opposition' for continued Syria bombing.
www.middleeasteye.net 06.02.2016.

[7] S. dazu Steinmeier und das Oberlandesgericht
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59296

[8] Lorenz Hemicker: Syriens Stalingrad.
www.faz.net 09.02.2016.

[9] Martin Chulov: Arab states' military support needed to avoid defeat, says Syrian opposition.
www.theguardian.com 08.02.2016.

[10] S. dazu In Flammen (II)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59091
und In Flammen (III)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59202

[11] S. dazu Mit dem G36 gegen das G3
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58609
und Blutiges Bündnis (II)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59279

[12] bicc Länderinformation Saudi-Arabien. Bonn, Dezember 2015.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
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c/o Horst Teubert
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E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2016

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