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SYRIEN/112: Dominostein Damaskus - Vorabsprachen ... (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 19. Januar 2017
(german-foreign-policy.com)

Keine Ordnungsmacht


BERLIN/DAMASKUS - Vor den Friedensverhandlungen für Syrien am kommenden Montag in der kasachischen Hauptstadt Astana suchen deutsche Außenpolitiker nach Wegen zur Einflussnahme auf die Neuordnung des Landes. Die Verhandlungen werden auf der Grundlage russisch-türkischer Absprachen und unter Einbeziehung Irans geführt; westliche Staaten sind nicht vertreten. Einzige Ausnahme könnte der designierte US-Präsident Donald Trump werden, den die russische Regierung nach Astana eingeladen hat. Für Berlin ist die Tatsache, dass Moskau zum ersten Mal anstelle westlicher Staaten als maßgebliche Ordnungsmacht in einem zentralen Konflikt des Nahen und Mittleren Ostens auftritt, ein schwerer machtpolitischer Rückschlag - zumal Berlin noch vor wenigen Jahren gemeinsam mit Funktionären der syrischen Exilopposition Umgestaltungspläne für Syrien nach dem erhofften Umsturz in Damaskus erarbeitet hatte. Spürbarer Einfluss auf die Umsturzregierung wäre Deutschland sicher gewesen. Nun muss die Bundesrepublik sich damit begnügen, humanitäre Hilfe als Hebel zu nutzen und auf einen einflussreichen Spitzenberater beim UN-Sondergesandten für Syrien, Staffan de Mistura, zu setzen. Bei dem Spitzenberater handelt es sich um den Direktor der vom Kanzleramt finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Erstmals ohne den Westen

Die für nächsten Montag in der kasachischen Hauptstadt Astana angekündigten Friedensgespräche für Syrien basieren im Kern auf der raschen Wiederannäherung zwischen Russland und der Türkei seit dem Sommer 2016. Dabei hat Ankara sein ursprüngliches Ziel aufgegeben, die Regierung von Bashar al Assad um jeden Preis zu stürzen. Als Gegenleistung hat es von Moskau die Zustimmung zu seiner Militärpräsenz in Nordsyrien und zu seinen Operationen gegen kurdische Kräfte dort erhalten. Die türkisch-russische Annäherung mündete letztlich in eine "Moskauer Erklärung" vom 20. Dezember 2016, die einen Waffenstillstand für Syrien und anschließende Verhandlungen über eine dauerhafte Friedensregelung vorsah. Unterzeichnet wurde die "Moskauer Erklärung" auch von Iran.[1] Basierend auf dem Dokument konnte - nach dem Waffenstillstand für Aleppo - am 29. Dezember ein Waffenstillstand für ganz Syrien verkündet werden; nächsten Montag sollen die erwähnten Friedensgespräche in Astana beginnen. Damit ist Moskau ein bis vor kurzem kaum vorstellbarer Durchbruch gelungen: Erstmals kann ohne jede westliche Macht über die Beilegung eines zentralen Konflikts im Nahen und Mittleren Osten verhandelt werden - und dies nicht ohne Aussicht auf Erfolg.

Russland erstarkt

Dabei ist die Stärkung der russischen Stellung in der Region schon jetzt in mehrfacher Hinsicht erkennbar. Bereits das russische Eingreifen in den Syrien-Krieg am 30. September 2015 und die seitdem aufrecht erhaltene russische Militärpräsenz haben die Kräfteverhältnisse deutlich verschoben. So wiesen Korrespondenten etwa in der vergangenen Woche nach einem israelischen Angriff mit Boden-Boden-Raketen auf den syrischen Militärflughafen Mezzeh bei Damaskus darauf hin, dass Israel zur Zeit "ständige Kommunikationsverbindungen mit Russland" unterhalte: "Ohne Absprachen wäre ein solcher Angriff kaum möglich."[2] Auch US-Attacken in Syrien ohne Abstimmung mit Moskau gälten als zumindest hochriskant. Dass Moskau jetzt den designierten US-Präsidenten Donald Trump zu den Friedensverhandlungen in Astana eingeladen hat, verdeutlicht einmal mehr, dass die westlichen Mächte im Syrien-Krieg zur Zeit eine nachgeordnete Rolle spielen. Freilich ist Russland dabei abhängig von der Kooperation mit der Türkei, die in den vergangenen Tagen Syriens aufständische Milizen mit massivem Druck zur Teilnahme an den Gesprächen in Astana veranlasst hat.[3] Die Milizen verweigern sich jeglichen Friedensgesprächen und wollen nur über den Waffenstillstand verhandeln. Die Lage bleibt damit alles andere als stabil.

Vergangene Einflusschancen

Deutschland und die EU haben hingegen erheblich an Einfluss verloren. Dies zeigt nicht nur die Tatsache, dass sie von den Friedensverhandlungen in Astana ausgeschlossen sind, sondern auch ein Vergleich mit der Situation vor fünf Jahren. Im ersten Halbjahr 2012 gingen deutsche Stellen noch davon aus, dass es den aufständischen Milizen in Syrien mit Unterstützung der arabischen Golfdiktaturen und der Türkei sowie einzelner westlicher Staaten gelingen werde, die Regierung von Bashar al Assad bald zu stürzen. Damals versammelte die vom Bundeskanzleramt finanzierte Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Kooperation mit dem United States Institute of Peace (USIP) mehr als 40 syrische Exiloppositionelle in Berlin, um mit ihnen Konzepte für die Umgestaltung Syriens nach dem erhofften Umsturz zu entwickeln. In wenigen Monaten stellten die syrischen Regierungsgegner in Berlin unter der Anleitung deutscher, französischer, britischer und US-amerikanischer Experten eine Strategie zusammen, die im August 2012 in den Räumlichkeiten der Bundespressekonferenz unter dem Titel "The Day After" offiziell vorgestellt wurde. Eine baldige Realisierung wurde in Aussicht gestellt (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Welche Chancen zur Einflussnahme auf Syrien sich im Rahmen des westlichen Verbundes im Erfolgsfalle für Berlin ergeben hätten, liegt auf der Hand.

Hilfe als Machtmittel

Heute stehen der Bundesregierung solche Optionen nicht mehr zur Verfügung, was für Berlin umso peinlicher ist, als das deutsche Polit-Establishment seit Jahren erklärt, im "Krisengürtel" von Nordafrika über Nah- und Mittelost bis Zentralasien als maßgebliche Ordnungsmacht auftreten zu wollen (german-foreign-policy.com berichtete [5]). "Die Möglichkeiten der EU, auf die Ereignisse in Syrien entscheidend Einfluss zu nemen, sind äußerst begrenzt", hieß es nun vor wenigen Tagen anlässlich des EU-Außenministertreffens in Brüssel; die EU spiele allenfalls "beim Bereitstellen humanitärer Hilfe eine, wenn nicht die entscheidende Rolle".[6] Tatsächlich ist nicht nur die EU, sondern auch die Bundesrepublik in der humanitären Hilfe für Syrien recht aktiv, die sich nun als wichtiges Einflussmittel erweist. "Deutschland zählt bei der Versorgung der Not leidenden Menschen in den Kriegsgebieten in Syrien zu den führenden Geberstaaten", teilt das Auswärtige Amt mit: Man habe "fast siebzig humanitäre Hilfsprojekte ... für syrische Flüchtlinge im Land selbst und in den Anrainerstaaten finanziert". Auch habe Deutschland für die Luftbrücke des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen im Jahr 2016 zehn Millionen Euro zur Verfügung gestellt; im Verlauf des Jahres 2016 sei es gelungen, 2.958 Tonnen Hilfsgüter über belagerten Gebieten in Syrien abzuwerfen. Auch im laufenden Jahr werde man "weiter zahlreiche Projekte und Hilfsaktionen unterstützen", bekräftigt das Außenministerium in Berlin.[7]

Wiederaufbau unter Bedingungen

Zudem dringt Berlin darauf, die am Montag in Astana beginnenden Friedensverhandlungen so bald wie möglich in den formellen Rahmen der Vereinten Nationen zu überführen. Damit erhielten nicht nur die westlichen Mächte allgemein die Chance, wieder in größerem Maßstab Einfluss auf die Entwicklung der Gespräche zu nehmen. Vor allem die Bundesrepublik wäre in diesem Fall in einer günstigen Lage: Einer der einflussreichsten Berater im Stab des UN-Sondergesandten für Syrien, Staffan de Mistura, ist mit Volker Perthes ein Deutscher.[8] Perthes ist Direktor der SWP, die im Jahr 2012 die Entwicklung der Pläne zur Umgestaltung Syriens nach dem erhofften Umsturz begleitet hat. Auf die Frage, was angesichts der erstarkten Stellung Russlands "Europa und die USA noch tun" könnten, um auf die Lage in Syrien Einfluss zu nehmen, erklärt Perthes: "Europa ist vor allem gut beim Wiederaufbau." Selbstverständlich müsse Syrien "eines Tages wieder aufgebaut werden, damit es wieder zu einem tragfähigen Staat werden kann". Dies solle die EU unterstützen. Seine "Hilfe" freilich könne "Europa an Bedingungen knüpfen" - etwa daran, "dass auch die Opposition an der syrischen Regierung beteiligt sein muss".[9] Nach außen nur eine humanitäre Maßnahme, wäre die "Aufbauhilfe" der vielleicht wichtigste verbliebene Hebel Berlins, um auf die Entwicklung in Syrien Einfluss zu nehmen.


Mehr zum Thema:
Aleppo, Mossul und die Hegemonie.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59507


Anmerkungen:

[1] Emre Ersen: The Turkish-Russian Dialogue in Syria.
Prospects and Challenges. Istanbul 2017.

[2] Damaskus wirft Israel Angriff auf Militärflughafen vor.
Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.01.2017.

[3] Assad-Gegner wollen an Syrien-Gesprächen teilnehmen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.01.2016.

[4] S. dazu The Day After
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58386
und The Day After (IV)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58411

[5] S. dazu Modernes Strategieverständnis (II)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59143
und Drei Jahre neue Weltpolitik
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59452

[6] Kai Küstner: Eine wichtige Helfer-Rolle für die EU.
www.tagesschau.de 16.01.2017.

[7] Zum Überleben im Krieg: Deutsche humanitäre Hilfe für Syrien.
www.auswaertiges-amt.de 09.01.2017.

[8] S. dazu Deutschlands ordnungspolitischer Radius
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59212

[9] "Ohne Frieden in Syrien gibt es Terror".
bazonline.ch 20.12.2016. top print

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
Herausgegeber: German News Informations Services GmbH
c/o Horst Teubert
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Fax: 01212 52 57 08 537
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Januar 2017

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