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WESTSAHARA/049: Saharauis in Sorge aufgrund der Unruhen in Algerien und Marokko (afrol News)


afrol News - 12. Februar 2011

Politik
Saharauis in Sorge aufgrund der Unruhen in Algerien und Marokko

Von Rainer Chr. Hennig

Saharauische Demonstranten, im Hintergrund die saharauische Fahne - Foto: © UPES/afrol News (http://www.afrol.com/articles/37310)

Saharauische Demonstranten
Foto: © UPES/afrol News (http://www.afrol.com/articles/37310)

afrol News, 12. Februar - Saharauis in algerischen Flüchtlingslagern und in der marokkanisch besetzten Westsahara beobachten die Welle der Revolutionen in Nordafrika mit Jubel und mit Unbehagen. Sollten sie sich beteiligen oder besser nicht?

Die revolutionäre Welle rückt näher an die Saharauis heran. Für dieses Wochenende wurde der Beginn von Massenprotesten in Algerien angekündigt - wobei es sich bei Algerien um den Hauptverbündeten der um ihre Unabhängigkeit kämpfenden Saharauis und Gastgeber von rund 150.000 saharauischen Flüchtlingen handelt. Für das nächste Wochenende werden Demonstrationen in Marokko - ihrer Besatzungsmacht - angekündigt.

"Die Saharauis auf beiden Seiten der Mauer [in den besetzten Territorien und den Flüchtlingslagern] sind dank der satellitenübertragenen Fernsehsender - insbesondere 'Al Jazeera', dem derzeit meistverfolgten Fernsehsender der arabischen und muslimischen Welt - in der Lage, die Neuigkeiten über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten zu verfolgen", berichtet der saharauische Journalist Lakhal Malainin afrol News. Herr Malainin ist in den algerischen Flüchtlingslagern ansässig, die von der saharauischen Exilregierung regiert werden.

Aber auch in den zumeist staatstreuen, nationalen saharauischen Medien "gab es eine sehr gute Berichterstattung über die Ereignisse, die es den Saharauis ermöglicht, die Geschehnisse in Tunesien und Ägypten zu verstehen und zu verfolgen", ergänzt Herr Malainin.

Wie in den meisten arabischen Regionen feierten die Saharauis in den algerischen Flüchtlingslagern den Sieg des ägyptischen Volkes über den Diktator Hosni Mubarak. Auch in den saharauischen Medien, insbesondere auf Internetseiten wie der von Herrn Malainin redaktionell betreuten 'UPES', gab es zahlreiche Reaktionen, Artikel und Kommentare, die das tunesische Volk und seine Revolution lobten, und andere, die Herrn Mubaraks Unnachgiebigkeit kritisierten und ihre Unterstützung für die Demonstranten in beiden Ländern erklärten.

"Die Saharauis hoffen auf einen Wandel, wir glauben an eine Maghrebinische Union der Völker, wir glauben an ein vereintes, demokratisches Afrika, wir hoffen, daß die Geschehnisse in Tunesien und Ägypten der Vorlauf einer Renaissance in der arabischen Welt sind, die von Diktatoren und korrupten Regimes regiert wird", betonte Herr Malainin.

Auf die Frage, in welchem Ausmaß den saharauischen Flüchtlingen die sich in ihrem Gastland Algerien entfaltenden Proteste bekannt sind, meinte Herr Malainin, die Haushalte seien sehr gut informiert. "Auch die Ärmsten versorgen sich auf jeden Fall mit Satellitenfernsehen, um den Entwicklungen zu folgen", erklärt er.

Saharauis äußern sich seit Wochen besorgt über die Möglichkeit einer Volksrevolution in Algerien. "Was sollen wir tun, wenn das algerische Regime sich ändert?", fragt "Mohamadan" in einem Blog des oppositionellen Internetmediums 'Futuro Saharaui'. Er sieht große Ähnlichkeiten zwischen dem Ägypten von Herrn Mubarak und dem Regime von Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika: "Dessen Tage sind gezählt."

Der saharauische Journalist und 'UPES'-Redakteur Lakhal Malainin - Foto: © privat/afrol News (http://www.afrol.com/articles/37310)

Der saharauische Journalist und 'UPES'-Redakteur Lakhal Malainin
Foto: © privat/afrol News (http://www.afrol.com/articles/37310)

"Niemand kann bestreiten, daß Algerien der treueste Verbündete der saharauischen Bevölkerung ist", stellt der Blogger fest und fragt, was zu tun sei, wenn eine neue, revolutionäre Regierung in Algerien die Unterstützung für sein Volk zurückziehen sollte. "Mohamadan" zieht den Schluß, daß die saharauische Exilregierung "beispielhaft" sein sollte hinsichtlich der demokratischen Werte, um neue Verbündete zu gewinnen, vielleicht in Europa.

Herr Malainin stimmt den Ausführungen zum Teil zu. "Saharauis in den Lagern oder den besetzten Gebieten sind beunruhigt über alles, was in Algerien passiert - und müssen das auch sein - , weil Algerien unser Hauptverbündeter und -unterstützer ist, dennoch glaube ich nicht, daß es in Algerien eine ähnliche 'Revolte' wie in den Nachbarstaaten geben wird", meint er mit dem Argument, in Algerien gebe es mehr politische Freiheiten und die Menschenrechtslage sei besser.

"Was die Haltung Algeriens zum Westsahara-Konflikt angeht, so hat sie sich seit den 1960er Jahren nicht verändert, weil es sich nicht um eine Position handelt, die an einzelne Personen, Regierungen oder Interessen gebunden ist", ergänzt er und bezieht sich damit auf die über wechselnde Regime hinweg ungebrochene Unterstützung aus Algier.

"Das vorausgeschickt hoffen wir, daß es der algerischen Regierung gelingt, alle sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Probleme zu lösen, denen sie jetzt oder in Zukunft gegenübersteht, weil natürlich ein starkes, prosperierendes Algerien ein starker und wichtiger Freund und Verbündeter ist und das für die Saharauis nur ein Gewinn sein kann", setzt Herr Malainin vorsichtig hinzu.

Eine weitere Entwicklung, die starke Auswirkungen auf den saharauischen Unabhängigkeitskampf haben könnte, sind die angekündigten Massenproteste in Marokko, die am nächsten Wochenende beginnen sollen. In mehreren Foren diskutieren Saharauis lautstark, was dies für ihre Sache bedeuten könnte und ob eine marokkanische Revolte Erfolgsaussichten hätte. Amtliche saharauische Medien bemühen sich, soviele Informationen wie möglich über die geplanten Proteste zu veröffentlichen.

Während Salek Jatri Andala im Blog von 'Futuro Saharaui' argumentiert, daß die "heilige" Position des Königs in Marokko den Protestierenden keine Hoffnung läßt und daß Saharauis "nicht dem Irrtum verfallen sollten, zu hoffen, daß die [marokkanische] Bevölkerung uns unterstützt", argumentieren andere, daß eine Revolte in Marokko die Büchse der Pandora öffnen könnte.

Herr Malainin weist noch einmal vorsichtig darauf hin, daß "es nicht die Saharauis sind, die in Marokko zur Revolte aufrufen. Es gibt viele marokkanische Stimmen, die anfangen, einen Wandel in ihrem Land zu fordern, und ihre Forderungen sind sehr legitim." Er verrät jedoch, daß saharauische Medien versuchen, den Marokkanern zu helfen, "wirkliche Informationen über ihr eigenes Land zu lesen".

"Aber ich persönlich bin der Meinung, daß die Menschen in Marokko noch nicht bereit sind, den Preis zu zahlen, den die Ägypter gezahlt haben, um die Macht zurückzugewinnen. Ich denke, Marokko wird noch Jahre warten, bis sich ein ähnlicher Wandel einstellt", meint er. Bezugnehmend auf die öffentlichen Äußerungen in den Lagern setzt Herr Malainin ergänzend hinzu, daß die Menschen "natürlich liebend gern ein demokratisches Regime in Marokko sehen würden".

Im Oktober 2010 errichteten über 10.000 Saharauis ein Protestlager im besetzten Territorium, das später von der Polizei überfallen wurde. Auf dem Bild: im Hintergrund das Zeltlager, davor eine Menschenmenge - Foto: © UPES/afrol News (http://www.afrol.com/articles/37310)

Im Oktober 2010 errichteten über 10.000 Saharauis ein Protestlager im
besetzten Territorium, das später von der Polizei überfallen wurde.
Foto: © UPES/afrol News (http://www.afrol.com/articles/37310)

In Westsahara, das vor einigen Monaten einige der gewaltsamsten öffentlichen Aufstände gegen die marokkanischen Besatzer erlebt hat, ist die Lage dieser Tage fast verdächtig ruhig. "Könnte es sein, daß die unter Besatzung lebenden Saharauis das Gefühl haben, es sei besser, jetzt ruhig zu bleiben, um den Marokkanern Gelegenheit zu geben, sich auf ihre eigene Rebellion zu konzentrieren?", fragte afrol News Herrn Malainin.

Er verneint das. Es habe "immer Kämpfe gegen die Besatzung gegeben", betont er, aber dies habe "selten die Aufmerksamkeit der internationalen Medien geweckt". "Es gibt derzeit Demonstrationen in Tan Tan, Gulmim, Fask - und das wird nie aufhören."

Aber da sich die Proteste gegen die autoritären arabischen Regime in der Region ausbreiten, wird natürlich von neuem hinterfragt, wie demokratisch die Exilregierung Westsaharas - gestellt von der Freiheitsbewegung POLISARIO - wirklich ist. Im Interesse der nationalen Einheit bis zur Befreiung Westsaharas ist POLISARIO die einzige erlaubte politische Bewegung.

Die Frage wird auf internationaler Ebene zunehmend auf den Plan gebracht. Der Geschäftsträger der US-Botschaft in Marokko, Robert P. Jackson, vertrat im August 2009 die Auffassung, daß Marokko "einen wirklichen, politischen Wettstreit" erlebe, "der vielleicht nicht Demokratie" bedeute, aber "wesentlich offener als das Kuba ähnliche POLISARIO-System zu sein" scheine. In der Zeitschrift 'Futuro Saharaui' forderten auch arbeitslose saharauische Jugendliche mehr Pluralismus.

In Gesprächsforen äußerten einige Saharauis, daß man nach dem Fall der Diktatoren in Tunesien und Ägypten eine Revolution in den Flüchtlingslagern gegen "das Regime von [POLISARIO-Führer Mohamed] Abdelaziz und seine Bande" organisieren sollte. Andere betonen: "Wir sind nicht in der gleichen Lage wie die Tunesier. Wir haben keine politischen Gegner, die ins Exil getrieben wurden."

Herr Malainin, der der Exilregierung wohlgesonnen ist, betont: "Es gibt immer POLISARIO-Kritiker in den Lagern, und sie werden von der saharauischen Führung immer toleriert. Ich glaube nicht, daß das Problem in den Lagern in mehr oder weniger Demokratisierung besteht. Das Problem ist, daß die Menschen es müde geworden sind, darauf zu warten, daß die UNO die eigenen Versprechungen respektiert, und daß eine gefährliche Frustration aufgrund des internationalen Schweigens angesichts der marokkanischen Verbrechen eingetreten ist."

"Saharauis werden immer für Demokratie und für ihre Rechte kämpfen und sie werden sich jedem entgegenstellen, der diese Rechte zu verletzen wagt, sei es Marokko oder irgendeine ausländische Macht oder sei es irgendein saharauischer Führer oder die Regierung", erklärt Herr Malainin abschließend.


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Link zum englischen Originaltext:
http://www.afrol.com/articles/37310
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Quelle:
afrol News - 12. Februar 2011
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mit freundlicher Genehmigung von afrol News
in einer Übersetzung des Schattenblick aus dem Englischen


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2011