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BERICHT/058: "Der Milchlieferstopp ist unsere einzige Chance" (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 326 - Oktober 2009
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Der Milchlieferstopp ist unsere einzige Chance"
In Frankreich beginnt ein Feuer zu brennen, das sich schon bald über ganz Europa ausbreiten soll

Von Marcus Nürnberger


Geschlossene Molkereien, die Milchpulverproduktion ist total zusammengebrochen. In Frankreich haben die streikenden Milchbauern die Molkereiwirtschaft fast vollständig blockiert. Auch am Ende der zweiten Streikwoche ist die Beteiligung überwältigend. Immer wieder kommen neue Bauern hinzu. Nahezu täglich finden Versammlungen statt, auf denen man sich über das weitere Vorgehen austauscht. Immer mehr politische Vertreter aus den Départements solidarisieren sich mit den Milchbauern. Der französische Landwirtschaftsminister empfängt Vertreter der Organisation der streikenden Milchviehhalter APLI sowie des Bauernverbands. Seit zwei Wochen wird gestreikt, die Politik kommt in Bewegung und doch ist zur Vorsicht geraten. "Wir dürfen jetzt nicht aufhören, wenn wir nicht sicher sind, dass da was läuft."


Der Anfang

Es ist ein regnerischer Morgen. Mitten in Paris unweit von Seine und Eifelturm auf den Esplanades des Invalides ist eine überschaubare Gruppe von ca. 300 Milchproduzenten aus allen Regionen Frankreichs zusammengekommen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Schon seit einigen Wochen kann man überall in Frankreich die Schilder und Tafeln sehen, die den bevorstehenden Milchstreik ankündigen. Etwa 50 Milchbäuerinnen und -bauern sind aus Deutschland nach Paris gekommen, um die französischen Kollegen zu unterstützen. Mit bunten BDM-Fahnen und Faironikas stoßen sie zu ihren Kollegen, die mehrheitlich das 'Gwenn-ha-du' (schwarz und weiß) der Bretagne und die Löwen der Normandie auf ihren Fahnen haben.

Immer wieder hatten die Vertreter des EMB sich in den vergangenen Wochen und Monaten an die Molkereien und die Politiker gewandt, um Lösungen zu finden, die einen angemessenen Milchpreis ermöglichen. Ohne Erfolg! "Durch die derzeitige Politik werden wir vernichtet", fasste Romuald Schaber, Präsident des European Milkboard (EMB) die Situation zusammen und nannte nochmals die EMB-Forderungen nach einer europaweiten Einstellung der Saldierung, einem Einfrieren der Quotenaufstockung sowie einer freiwilligen Quotenstilllegung. Deutlicher wurde Pascal Massol, Anführer der französischen Milchbauernorganisation APLI. Er sprach aus, was viele Franzosen schon seit Wochen herbeisehnen: "Ich fordere alle Milchbauern auf, sich an diesem Streik zu beteiligen." Nicht nur die Französischen, so wird schnell klar. Der Streik soll Grenzen überschreiten. Sieta van Keimpema, stellvertretende Vorsitzende des EMB erklärte sich solidarisch. "Meine Milch bleibt zu Hause", ruft die kämpferische Niederländerin ihren Berufskollegen zu. Erwin Schöpges aus Belgien spricht von einer Revolution und macht klar, dass seine belgischen Kollegen zu fast allem bereit sind. Auch die Milch von Romuald Schaber wird ab heute nicht mehr zur Molkerei geliefert. "Ich erkläre mich mit meinen französischen Berufskollegen solidarisch und werde ab heute keine Milch mehr liefern." Man spürte seinen Wunsch, alle deutschen Berufskollegen aufzufordern, es ihm gleich zu tun. Allein die vom Bundeskartellamt angedrohte Strafe hielt ihn ab.


Eine politische Entscheidung

Dass die Kartellbehörden mit zweierlei Maß messen, wenn sie die fortschreitenden Konzentrationen der Molkereikonzerne europaweit genehmigen, im Gegenzug den Milchbauern aber untersagen, sich gegen die immer größer werdende Machtkonzentration zur Wehr zu setzen, wird schon bei einem Blick über die Grenze nach Dänemark deutlich. Hier ist der Konzentrationsprozess soweit fortgeschritten, dass es landesweit nur noch eine Molkerei gibt. Diese hat ihren Lieferanten eine Beteiligung am Streik schlichtweg untersagt hat. Dass es in Luxemburg soweit gar nicht erst kommt, dafür kämpft Fredy de Martines, Präsident des Luxemburg Dairy Board. "Heute ist der erste Tag im Kampf für einen fairen Preis und einen Systemwechsel."


Jetzt ist das Maß voll!

In einer ungeahnten Geschwindigkeit organisierten sich die französischen Milchbauern. Über 40.000 Milchproduzenten sind in den vergangenen Wochen und Monaten zu den Veranstaltungen der erst Anfang diesen Jahres gegründeten Milcherzeugerorganisation APLI gekommen, um sich über die Situation am Milchmarkt und die Möglichkeiten, selbst etwas zu ändern, zu informieren. Wie entscheidend eigenständige und unabhängige Informationen sind, macht Thierry Leservoisier (45) aus Les Veys in der Normandie deutlich "Wir haben überhaupt nicht mitbekommen, dass die Bauern in Deutschland gestreikt haben." Der französische Bauernverband (FNSEA) habe auch extra Informationen darüber zurück gehalten. Dieses Mal sollte es anders werden. Telefon, Computer und Fax gibt es auf jedem Bauernhof. An Informationen, Bildern und Berichten sollte es nicht mangeln. Schon am Abend konnte man auf den Seiten der APLI sehen, wie die ersten Milchbauern in der Normandie ihre Tanks öffnen. Auch Anton Sidler, vor 20 Jahren aus der Schweiz in die Normandie ausgewandert, beteiligt sich am Streik. Gespannt erwartet er die Reaktionen. Die der Medien, der Verbraucher, aber vor allem der Berufskollegen. Auch in den Nachbarländern. Seine Frau ist gerade mit dem ältesten Sohn auf Infotour in Belgien und Deutschland. Es gilt, für den gemeinsamen Kampf zu mobilisieren.

Gespannt wird die Berichterstattung verfolgt. Doch am ersten Streiktag ist nichts in den Achtuhrnachrichten. Stattdessen wird ausführlich über die Kohlendioxidsteuer, Lieblingsprojekt des französischen Präsidenten Sarkozy, berichtet. Immerhin, die Regionalsender greifen das Thema auf. Eine Stunde später klingelt, wie so oft in diesen Tagen, das Handy. Der Sender tf1 des staatlichen französischen Fernsehen. Sie wollen Bilder: von Kühen, Milch und Melken. Um sechs Uhr. Zu früh. Man einigt sich auf neun Uhr. Die Milchbauern haben Aktionen geplant, bei denen sie Milch kostenlos an die Bevölkerung verschenken. Das Motto: Besser verschenken als wegschütten. Vor allem aber will man aufklären. Die Story für den Film ist schnell besprochen. Bilder vom Stall mit Kühen, dann das Abfüllen der Milch in Flaschen, das Verschenken auf dem Markt und noch ein Interview mit einem jungen Kollegen, der seine Situation zwischen zu niedrigem Milchpreis, Verantwortung für Familie und Tiere und den Forderungen der Bank schildert. Der nächste Tag beginnt mit Melken. Die Zeit ist eng. Das Wetter mit den Bauern. Herbstlich kühler Morgen mit blauem Himmel und wärmender Sonne.

Das Fernsehteam folgt auf Schritt und Tritt. Ungewohnte Situationen entstehen. Die Kamerafrau im Stroh. Nebenbei noch schnell ein Kalb auf die Welt bringen. Die Schuhe der Kamerafrau vom Kuhmist reinigen. Auf zum Markt.


Spannungsvolle Erwartung

Wie reagiert die Bevölkerung? Wie werden die Medien das Thema aufgreifen? Wie lange wird es dauern, bis erste Erfolge sichtbar werden? Gespannte Ungeduld. Im Laufe des Tages trudeln die ersten Informationen aus den Nachbarländern ein, in Belgien haben sie eine Autobahn blockiert. In Luxemburg sind die Hähne offen. In Deutschland gibt es Aktionen. Das macht Mut, motiviert, lässt einen die vielen Nächte mit zu wenig Schlaf vergessen. Vor allem aber wächst die Solidarität zwischen den Nachbarn. Schnell noch ein gemeinsames Gläschen Wein nach der Aktion auf dem Markt. Das französische Savoir-vivre darf eben auch in revolutionären Zeiten nicht fehlen.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 326 - Oktober 2009, S. 13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de

Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,00 Euro
Abonnementpreis: 36,00 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2009