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BERICHT/078: Entstehung von Regionalmolkereien (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 330 - Februar 2010
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Entstehung von Regionalmolkereien
Wohin mit der Milch? Eine Studie über Gründungen von eigenständiger Verarbeitung und Vermarktung

Von Christine Weißenberg


Welch eine faszinierende Idee: statt die Milch an eine der nächstgelegenen großen Molkereien abzuliefern, lieber die Verarbeitung und Vermarktung selbst in die Hand nehmen und eine Regionalmolkerei gründen! Mich jedenfalls beschäftigt dieser Gedanke - vor allem wenn mehrere landwirtschaftliche Betriebe daran beteiligt sind - schon seit langem. Zum einen werden so dezentrale, regionale Strukturen unterstützt, und zum anderen kann dies eine direktere Mitbestimmung der Milchviehbetriebe an der Weiterverarbeitung ermöglichen.

Aber wie läßt sich ein so komplexes Projekt, welches viel Zeit, hohen persönlichen Einsatz und vor allem auch Geld erfordert, erfolgreich umsetzen? An Hand von Praxiserfahrungen sowie der fachkundigen Hilfe des VHM (Verband für handwerkliche Milchverarbeitung im ökologischen Landbau e.V.) ging ich dieser Frage 2009 im Rahmen meiner Bachelorarbeit nach. Aus der Vielfalt der vorhandenen Beispiele habe ich sechs Initiativen aus verschiedenen Regionen Deutschlands als bunten Ausschnitt gewählt: Groß und klein, Käserei und Molkerei sowie ein Vermarktungszusammenschluß, langjährig dabei und neu gegründet - aber auch ein fehlgeschlagenes Beispiel - all dies ist vertreten. Eine 'Regionalmolkerei' ist hierbei als ein milchverarbeitendes Unternehmen mit einem Betriebsstandort zu verstehen, welches aus einer lokalen Initiative entstanden ist und mehreren Milchviehhaltern aus der Region als Vermarktungsweg dient. Nach langen Gesprächen und einer wahren Informationsflut wagte ich eine Dokumentation der Entstehungsprozesse sowie einen Vergleich der Herangehensweisen. Eins war schnell klar: "Wenn man ein Ziel hat, dann darf man nie erwarten, dass man an das Ziel direkt kommt. Das kann manchmal ganz kuriose Umwege machen", so einer der Befragten.


Verschiedene Konzepte

Grundsätzlich lassen sich zwei Wege ausmachen, die eine Regionalmolkerei aus der Landwirtschaft heraus entstehen lassen: entweder weitet eine Hofmolkerei ihre Verarbeitung aus und sucht sich zu diesem Zweck andere Betriebe, die Milch liefern möchten, oder es findet ein direkter Zusammenschluß mehrerer Landwirte statt. Im ersten Fall bietet das langsame "Hereinwachsen" in die Vermarktung einen Vorteil - bei einer Kooperation ist es hingegen möglich, die finanzielle Last zu teilen und alle direkt an Planungen und Entscheidungen zu beteiligen. Zu beachten ist, dass letztendlich die Wahl der Organisationsform den Grad der Beteiligung sowohl am Risiko als auch an Entscheidungen bestimmt.

Eines ist allen untersuchten Initiativen gemeinsam: Es sind beharrliche Menschen, die das Ziel haben, eine eigene Milchverarbeitung und -vermarktung auf die Beine zu stellen - auch um "eine Chance zu bieten für Betriebe, die umstellen wollen". Im Entstehungsprozeß sowie in der Anfangsphase der Projekte hatten alle mit individuellen Problemen zu kämpfen, die jedoch immer wieder die gleichen Bereichen betrafen. Es bietet sich in jedem Fall an, während der Planung bestehende Regionalmolkereien zu besuchen, um aus deren Erfahrung und Fehlern für die eigene Umsetzung lernen zu können.


Viele Auflagen kosten Geld

Eine der größten Hürden für die Gründung einer Regionalmolkerei ist die Finanzierung. Diese konnte meist nur durch die Einbeziehung Außenstehender realisiert werden. Zum einen wurden Personen oder Organisationen in den Kreis der Gesellschafter aufgenommen, was diesen allerdings auch ein Mitbestimmungsrecht verschafft. Zum anderen konnten direkte Kredite von Privatpersonen aus dem sozialen Umfeld genutzt werden und in einem Fall wurde ein Bankkredit der GLS über Kleinbürgschaften abgesichert.

Eine verblüffende Form der organisatorischen Unterstützung kam in drei Fällen von großen Molkereiunternehmen, die sich auf die Abnahme von Restmilchmengen eingelassen haben und zunächst weiterhin die Quotenabrechnung für die Gesamtmilchmenge gewährleisten.


An der Vermarktung hängt alles

Der oftmals schwierige Einstieg in die Vermarktung stellt für viele Initiativen ein Problem dar. Je nach Sortiment und Produktmenge müssen passende Absatzmöglichkeiten gefunden werden. Dabei spielen auch persönliche Vorlieben und Erfahrungen zur Verlässlichkeit oder Absatzstärke der Abnehmer eine Rolle. Die Direktvermarktung wird zudem von der regionalen Einbettung beeinflußt. So war es für eine Initiative ein "Hürdenlauf, den Schritt zu schaffen, dass man allgemein bekannt ist und anerkannt", da auf Grund von Mißverständnissen eine Ablehnung auf Seite der regionalen Bevölkerung entstanden war.

Wenig beeinflußbar ist sicherlich die Situation auf dem Gesamtmilchmarkt. Da kann es sich als Erfolgsfaktor für kleine Verarbeitungsunternehmen erweisen, wenn schon Kontakte zu Abnehmern bestehen bzw. durch Kontaktmöglichkeiten zu Endkunden Nischen und spezielle Wünsche erkannt und angeboten werden können.

Nur wenn die wirtschaftliche Situation des Verarbeitungsbetriebes durch einen entsprechenden Vermarktungserfolg es zuläßt, können sich die Landwirte einen guten Milchpreis auszahlen, weil dieser sonst auch in Regionalmolkereien als eine effektive Stellschraube genutzt werden muß.


Christine Weißenberg

"Wie entsteht eine Regionalmolkerei? Eine Analyse von Praxiserfahrungen zum Entstehungsprozeß von regionalen Molkereien"
Bachelorarbeit an der Uni Kassel/Witzenhausen


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 330 - Februar 2010, S. 20
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2010