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BERICHT/111: Bäuerliche Landwirtschaft als Zukunftslandwirtschaft (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 339 - Dezember 2010,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Bäuerliche Landwirtschaft als Zukunftslandwirtschaft
Referenten diskutierten über den Markt, die Aufgaben der Politik und das Selbstverständnis der Bauern

Von Marcus Nürnberger


Über 170 Bäuerinnen und Bauern waren aus der gesamten Republik nach Altenkirchen in den Westerwald gekommen, um sich über die Ziele einer zukünftigen bäuerlichen Landwirtschaft auszutauschen. Während die abendliche Eröffnungsdiskussion einen weiten Bogen vom Wesen des Marktes über notwendige Regulierungen bis hin zu konkreten Forderungen und der Mobilisierung einer breiten Gesellschaftsschicht spannte, ging es in den Foren des darauf folgenden Tages neben der EU-Agrarreform um Milchbauernbewegung, Gentechnik und Patente, Hühnerhaltung und die BVD-Impfung.


Hochkarätig besetzt war auch in diesem Jahr das Podium der Tagung der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) in Altenkirchen im Westerwald.

Neben der und dem Bundesvorsitzenden der AbL, Maria Heubuch und Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, war es gelungen, Christiane Grefe, Redakteurin bei der Wochenzeitung Die ZEIT, zu gewinnen. Auch aus Berlin angereist war Herman Josef Tenhagen, Chefredakteur des Finanztest sowie der SPD Bundestagsabgeordnete und IG-Nachbau-Anwalt Matthias Miersch. Die Moderation übernahm Ulrich Jasper von der Geschäftsführung der AbL.


Gesellschaftliche Relevanz

Die Erinnerungen an Anti-Atomdemonstrationen in Gorleben und den bürgerlichen Widerstand gegen Stuttgart 21 sind allseits präsent, so Jasper. Die Bevölkerung hat sich politisiert, ganz unabhängig von Parteien. Gesellschaftliche Prozesse werden hinterfragt, Mitspracherechte eingefordert. Dass dieses Phänomen auch für die Agrarpolitik zutrifft, dessen ist sich Christiane Grefe sicher: "Vor allem die Bauern des Südens haben das Interesse bei weiten Teilen der Bevölkerung geweckt." Insbesondere der Nahrungsmittelkrise vor zwei Jahren schreibt die Zeitredakteurin diese Entwicklung zu. Die herkömmliche Berührung mit der Landwirtschaft über gutes und schlechtes Essen, ein von der Nahrungsproduktion verursachtes gutes oder schlechtes Gewissen sind abgelöst worden von den Fragen nach Ernährungssicherheit, gerechter Verteilung, Klimawandel, usw.


Konzentrationen regeln

Die Ressourcen Wasser, Energie und Ernährung sind Konzentrationsprozessen unterworfen. Im Bereich der Energie dominieren beispielsweise vier große Unternehmen den gesamten Strommarkt der Bundesrepublik. Aufgabe der Politik sei es, so Miersch, die Interessen der Allgemeinheit gegenüber dieser kleinen Gruppe abzusichern. "Die Landwirtschaft hat die Aufgabe, die Ernährung der Bevölkerung zu decken. Der Staat und die Politik haben die Möglichkeit, steuernd auf die Art der Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion einzuwirken." Er plädiert für einen neuen Staatsbegriff, in dem die Politik wieder mehr und direkter steuernd eingreift.


Lernen aus der Krise

Die Finanzkrise hat auch die Politik überrascht. Jetzt ist es ihre Aufgabe, die Mechanismen zu erfassen und zu reagieren. Dazu hat sie so Tenhagen als demokratische Instanz sowohl das Recht als auch die Pflicht. Markt sei ein Instrument, damit alle mehr Wohlstand haben, so Tenhagen. "Dafür müssen aber beide Seiten gleich stark sein. Das ist nicht der Fall, der Verbraucher ist meist zu schwach. Aber auch die Bauern haben den Bezug zu ihren Produkten verloren", beschreibt Tenhagen, der selbst vom Bauernhof kommt, seine Wahrnehmung. "Die Ernte wird einfach abgeliefert, die Vermarktung übernimmt der Landhandel. Dabei sind die Verbraucher bereit, für besondere Qualitäten mehr zu zahlen." Es gäbe ein Wissensdefizit bei den Verbrauchern aber auch bei den Bauern. Beide sind nicht auf Augenhöhe mit ihren Marktpartnern.


Ökologie und Klimaschutz

Marktregulierungen in Folge eines Eingreifens durch die Politik sind notwendig, ist sich Miersch sicher. Vor allem, wenn es darum geht, gesellschaftliche Werte, die nicht Teil des Handelsguts sind, zu sichern. Der Markt denkt nicht an die kommenden Generationen, an Biodiversität und den Klimaschutz", so Miersch. Und er macht deutlich, dass sich auch die Politik in einem Spannungsfeld bewegt. Der Protest gegen Stuttgart 21 trifft die Politiker empfindlich und beeinflusst deren Entscheidungen. "Darum müssen wir die Menschen für Politik und Landwirtschaft interessieren."

Eine Unterteilung in "Regulierung gut" und "Deregulierung schlecht" greift zu kurz, macht Graefe zu Baringdorf deutlich. Die Einführung der Milchkontingentierung 1984 war dazu gedacht, die Milchviehhaltung zu stabilisieren. Bewirkt hat sie indes, dass drei Viertel der bäuerlichen Betriebe seitdem zerstört wurden.

Dass Politik in der Vergangenheit immer zu Lasten bäuerlicher Strukturen und zu Gunsten von Verarbeitern und Vermarktern entschieden hat, betont Graefe zu Baringdorf. Der Ruf nach Politik erfordert den notwendigen Druck. "Wichtig ist es, Allianzen zu schließen, um ein breites gesellschaftliches Bündnis zu organisieren", so der AbL-Bundesvorsitzende. "Wir Bauern müssen erklären, welche Leistungen wir erbringen." Erfreut zeigt er sich über die größe Aufmerksamkeit, die die Landwirtschaft derzeit in der Bevölkerung genießt. "Es gelingt uns, jetzt ganz neue gesellschaftliche Schichten zu erreichen." Das gestiegene öffentliche Interesse, so ist sich Christiane Grefe von Der Zeit sicher, hat seine Ursache auch in der Erkenntnis der Tragweite von Landraub, enormen Preissteigerungen und Volatilität.


Fazit

"Es gibt viele positive Entwicklungen, die oftmals auch von den Bäuerinnen und Bauern selbst mit angeschoben wurden. Insbesondere der Milchstreik ist hier zu nennen", fasst Maria Heubuch in ihrem Abschlussstatement zusammen und hebt hervor, dass der EU-Agrarkommissar in seinem Papier der Landwirtschaft eine Multifunktionalität zuschreibt. Bei der Ausrichtung der zukünftigen Agrarpolitik kommt es jetzt darauf an, die gesellschaftlichen Kräfte zu bündeln und Politikern wie dem EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos den Rücken zu stärken, um eine bäuerliche Zukunft zu sichern.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 339 - Dezember 2010, S. 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2011