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BERICHT/138: Grüne Woche Fachpodium - Moderne Landwirtschaft braucht verantwortungsvolle Investoren (idw)


Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa - 24.01.2012

Moderne Landwirtschaft braucht verantwortungsvolle Investoren

IAMO-Fachpodium war Besuchermagnet auf dem Global Forum for Food and Agriculture im Rahmen der Grünen Woche 2012


Mehr als 250 Gäste kamen am Freitag, dem 20. Januar 2012 zum Fachpodium des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung- in Mittel- und Osteuropa (IAMO) auf dem Global Forum for Food and Agriculture, das jährlich vom Landwirtschaftsministerium im Rahmen der Internationalen Grünen Woche ausgerichtet wird. Die Veranstaltung mit dem Titel "Agrarinvestitionen in Russland, Ukraine und Kasachstan - 'Land Grabbing' oder Entwicklungschance?" vereinte Perspektiven hochrangiger Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.

Prof. Dr. Alfons Balmann, Direktor am IAMO und Leiter der Abteilung Betriebs- und Strukturentwicklung im ländlichen Raum, wies in seinem Einführungsvortrag darauf hin, dass sich die Agrarproduktion in Russland, der Ukraine und Kasachstan entgegen der optimistischen Erwartungen zu Beginn des Transformationsprozesses und trotz weltweit gestiegener Nachfrage nur sehr schleppend entwickelt habe. Vielfach sei es zu einer Stilllegung von Agrarflächen gekommen. Nach Schätzungen des IAMO belaufen sich die Zahlen allein für das europäische Russland auf 27 Millionen Hektar. Die zunehmenden Anforderungen an die Akteure in der Wertschöpfungskette und der technische Fortschritt machen moderne Landwirtschaft wissens- und kapitalintensiv. Eine erfolgreiche Agrar- und Ernährungswirtschaft brauche deshalb Investoren, die über ausreichend Risikokapital und das entsprechende Know-how verfügen und dieses in die Betriebe transferieren. Aus Sicht von Balmann stellen ausländische Investitionen daher grundsätzlich eine Entwicklungschance für Osteuropa dar.

Dr. Oane Visser, Assistenzprofessor am Fachbereich für Kulturanthropologie und Entwicklungspolitik der Radboud University Nijmegen (Niederlande), machte deutlich, dass erst allmählich auch die Entwicklungen in den ehemaligen Gebieten der Sowjetunion unter dem Aspekt des "Land Grabbing", der großflächigen Landinvestitionen, betrachtet werden. Bisher hatten sich Diskussionen zu diesem Phänomen auf Afrika, Lateinamerika oder Asien beschränkt. Seinen Studien zufolge investieren im europäischen Teil Russlands und in der Ukraine vor allem westeuropäische Unternehmen, während in Kasachstan und Sibirien hauptsächlich Investoren aus China, Südkorea und Japan aktiv sind. Abwanderungsprozesse und eine alternde Bevölkerung in vielen ländlichen Räumen führten oftmals zu einer hohen Bereitschaft, Ackerland an internationale Investoren zu verkaufen. Visser betonte, dass Agrarinvestitionen sowohl negative Effekte als auch positive Effekte haben können. Wenn sie erfolgreich seien, könne durchaus das Landleben für junge Menschen wieder attraktiver werden.

Ein Beispiel hierfür lieferte Stefan Dürr, Gründer und Inhaber der deutsch-russischen Unternehmensgruppe EkoNiva. Sein Unternehmen ist seit 18 Jahren im russischen Agrarsektor aktiv. An mittlerweile sechs Standorten bewirtschaftet der Unternehmer 160.000 Hektar Ackerfläche und hält 28.000 Rinder. EkoNiva ist der drittgrößte russische Milcherzeuger. Dürr versteht sich als verantwortungsvoller Unternehmer, der auch in die soziale Infrastruktur investiert, um sein Unternehmen und den Standort attraktiv für junge, qualifizierte Fachkräfte zu machen. So betreibt EkoNiva in Voronezh im Landkreis Liski u.a. einen Kindergarten und unterstützt den lokalen Fußballverein. Dabei wurde das soziale Engagement durch die öffentlichen Verwaltung gefordert: Neben der Schaffung von Arbeitsplätzen war dies die Bedingung, die der Landrat von Liski dem ausländischen Investor stellte. So hob Dürr hervor, dass die lokale Administration eine enorm große Rolle in der ländlichen Entwicklung des Landkreises spiele.

Oleksandr Kuts, Direktor der Abteilung Ernährung des ukrainischen Landwirtschaftsministeriums, gab Einblicke in die Agrarpolitik der Ukraine. Bis 2010 förderte das Land hauptsächlich die Zusammenlegung von landwirtschaftlichen Unternehmen zu großen Agrarholdings und wurde damit zu einem der weltweit größten Getreideexporteure. Seit zwei Jahren werde in der Politik nun darüber diskutiert, ob eine ausschließliche Förderung von Agrarholdings sinnvoll sei oder ob auch kleinere Familienbetriebe unterstützt werden sollten. Grundsätzlich betonte Kuts, dass ausländische Investoren in der Ukraine willkommen seien.

Die Situation in Kasachstan erläuterte Dr. Gulmira Issayeva, Beraterin des dortigen Landwirtschaftsministers. Seit 2005 hätten sich die Agrarinvestitionen verdoppelt und das Kreditvolumen um das 27-fache erhöht. Agrarunternehmen erhielten dabei Kredite zu günstigeren Konditionen als der Rest der Wirtschaft. In Kasachstan würden 84 Prozent der Agrarflächen von privaten Landnutzern und 15 Prozent von staatlicher Seite bewirtschaftet, weniger als ein Prozent befinde sich in Privatbesitz. 1,6 Millionen Hektar Fläche würden derzeit nicht entsprechend ihrer Bestimmung genutzt. Die Regierung strebe Gesetzesvorlagen an, mit denen diese Flächen enteignet werden können.

Letzte Rednerin auf dem Podium war Elisa Manukjan vom Referat "Welternährung, Internationale Organisationen der Ernährungs- und Landwirtschaft" des deutschen Landwirtschaftsministeriums. Sie beschrieb die Bestrebungen der FAO, u.a. unter Beteiligung Deutschlands, Leitlinien für ein gutes "land governance" zu entwickeln. Diese freiwilligen Leitlinien wurden in weltweit 15 Workshops mit Regierungsvertretern, Unternehmern und Vertretern der Zivilgesellschaft erarbeitet. Im Mai dieses Jahres sollen sie verabschiedet werden. Die FAO arbeite bereits an den Implementierungsrichtlinien, eine davon werde sich mit dem Punkt Agrarinvestitionen befassen. Damit sei zum ersten Mal ein maßgebliches internationales Instrument geschaffen, das sich durch Partizipation und die Orientierung an den Menschenrechten auszeichne.

In der anschließenden Diskussion, moderiert von Dr. Martin Petrick, stellvertretender Leiter der Abteilung Rahmenbedingungen des Agrarsektors und Politikanalyse am IAMO, ging es zum Großteil um ganz praktische Fragen der Auslandsinvestition. Stefan Dürr erläuterte, dass die russische Regierung sehr gute Bedingungen für ausländische Investoren geschaffen habe. So würde für in der Landwirtschaft erzielte Gewinne keine Steuer erhoben und es gäbe keine Vorschriften, die den Transfer der Gewinne ins Ausland beschränkten. Zwar würden Landkäufe im Gegensatz zu Pachten für Ausländer beschränkt, doch durch so genannte Enkeltochterunternehmen gäbe es hier Schlupflöcher. Oleksandr Kuts führte aus, dass die ukrainische Regierung im kommenden Jahr ein Gesetz mit Neuregelungen zum Landkauf verabschieden möchte, das die Ukraine für ausländische Investoren attraktiver machen soll. Auf die Risiken großflächiger Auslandsinvestitionen wies Dr. Oane Visser hin. Vor allem in Stadtnähe erfolgten Landkäufe oft auf halblegale oder illegale Art und Weise, zudem begünstigten riesige Landflächen das Entstehen von Monokulturen und führten mit zunehmender Technisierung zur Abnahme von Beschäftigung. Auf ein grundsätzliches Problem verwies Prof. Dr. Alfons Balmann am Schluss: Es gäbe derzeit keine Statistiken, die umfassend über den tatsächlichen Anteil ausländischer Investitionen in Russland, der Ukraine und Kasachstan Auskunft geben könnten.

Es zeigte sich, dass Agrarinvestitionen in Schwellenländern, im Besonderen auch aus dem Ausland, sowohl Fluch als auch Segen für die lokale Bevölkerung sein können. Wie und mit welchen Auswirkungen ausländische Unternehmer großflächige Landinvestitionen in Russland, der Ukraine und Kasachstan vornehmen, bleibt ein aktuelles und brisantes Thema, das Wirtschaft, Politik und Wissenschaft auch zukünftig beschäftigen wird.


Über das IAMO

Das Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel-und Osteuropa (IAMO) ist eine international anerkannte Forschungsreinrichtung. Mit über 60 Wissenschaftlern und in Kooperation mit anderen renommierten Instituten widmet es sich wichtigen Fragen der Agrar- und Ernährungswirtschaft und der ländlichen Räume. Hauptuntersuchungsregionen sind Mittel- und Osteuropa sowie Zentral- und Ostasien. Seit seiner Gründung 1994 gehört das IAMO als außeruniversitäre Forschungseinrichtung der Leibniz-Gemeinschaft an.

Weitere Informationen unter:
http://www.gffa-berlin.de
- Global Forum for Food and Agriculture

http://www.iamo.de
- Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO)

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution418


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa,
Rebekka Honeit, 24.01.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2012