Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → ERNÄHRUNG

GENTECHNIK/470: Nulltoleranz für Saatgut muß bleiben (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 334 - Juni 2010
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Beträchtliche Kosten durch "Koexistenz"
Nulltoleranz für Saatgut muss bleiben

Von Christiane Hinck


Seit Jahren schwelt in der EU ein Streit: Es geht um die Einführung von Schwellenwerten für zufällig oder technisch nicht vermeidbare gentechnische Verunreinigungen im konventionell gezüchteten Saatgut. Die EU gibt derzeit keine Schwellenwerte für Saatgut vor, sondern jegliche verunreinigte Charge muss aus dem Verkehr gezogen werden. Damit setzt sie konsequent auf das Vorsorgeprinzip. Würde ein Schwellenwert eingeführt, gäbe es unterhalb dessen keine Kennzeichnung und die Rückverfolgbarkeit späterer Verunreinigungen wäre unmöglich. Die Verwässerung der Saatgutreinheit hätte Auswirkungen auf die Landwirtschaft, die weiterführende Lebensmittelproduktion, die Wahlfreiheit der Verbraucher sowie die sog. Koexistenz.


Bisherige Entwürfe

Den letzten Entwurf einer solchen Richtlinie hatte Kommissionspräsident Prodi im Herbst 2004 kurzfristig gestoppt. Begründung: Der Entwurf von Kommissarin Wallström sei "noch nicht ausgereift" - besonders wirtschaftliche Folgen für Landwirte und Industrie sollten weiter untersucht werden. Der Entwurf sah beispielsweise einen Schwellenwert von 0,1 Prozent für Maissaatgut vor. Dies war nach dem ersten Anlauf 2002 mit einem Schwellenwert von 0,5 Prozent bereits ein "Zugeständnis". Nachfolger Stavros Dimas, bis Februar diesen Jahres zuständig, zweifelte die Notwendigkeit von Schwellenwerten an. Unmut erregte er damit bei der europäischen Saatgutindustrie, deren Interessen zum großen Teil denen der Gentechnik-Lobby entsprechen. Ein häufiges Argument gegen einen Schwellenwert von 0,1 Prozent ist, ein solcher sei nur unter Laborbedingungen nachweisbar. Dass dies ein Irrtum ist, zeigt Vorreiterland Österreich, wo bereits 2001 eine praktikable Lösung gefunden wurde: Eine zweistufige Messung, bei der die erste Probe gentechnikfrei sein muss und nachfolgende Messungen nicht mehr als 0,1 Prozent GVO enthalten dürfen.


Gentechnikfrei von Anfang an

Eine aktuelle IFOAM-Studie untersuchte die ökonomischen Auswirkungen verschiedener Saatgut-Grenzwerte. Die Autoren Christoph Then (Testbiotech) und Matthias Stolze (FiBL) kommen zu dem Ergebnis, dass durch Beibehaltung der Saatgutreinheit in der Saatgutproduktion Koexistenzkosten für die Land- und Lebensmittelwirtschaft am geringsten sind, da die Flächengröße für Saatguterzeugung im Verhältnis zur landwirtschaftlichen Gesamtfläche niedrig ist. Beispielsweise wird Mais in der EU auf einer Gesamtfläche von bis zu 6,5 Millionen ha angebaut, während für die Saatgutproduktion lediglich bis zu 86.000 ha gebraucht werden. Somit wäre der Aufwand für Saatgutreinheit in gentechnikfreien Regionen für die Saatgutproduktion relativ gering. Da in der Saatguterzeugung schon heute alles getan wird, um eine sehr hohe Sortenreinheit zu gewährleisten, sollten die Anforderungen für Gentechnikfreiheit die Branche nicht überfordern. Berechnungen der o.g. Studie, die verschiedene Produktionsstadien einbeziehen, zeigen, dass die Reinhaltung von Rohstoffen wie Mais auf der Stufe der Saatguterzeugung am effektivsten funktioniert. Bei einem Verhältnis von Saatgut zu Ertrag bei Winterweizen von etwa 1:70 leuchtet das ein. Ausgehend von dem Kennzeichnungsgrenzwert von max. 0,9 Prozent in Endprodukten untersuchten die Wissenschaftler, ob bzw. mit welchem Aufwand Bauern der Lebensmittelindustrie weiterhin die erforderliche Qualität von 0,1 bis 0,5 Prozent liefern können, sollte die Nulltoleranz fallen.


Schwellenwerte treiben Kosten

Ergebnis: Lebensmittelstandards könnten nur durch kostenintensive Zusatzmaßnahmen der Bauern gehalten werden, etwa durch größere Sicherheitsabstände und den Kauf von Saatgut, welches strengeren, privaten Standards entspricht. "Schon heute - ohne nennenswerten Gentechnik-Druck - entstehen hierzulande beträchtliche Kosten", weiß Stolze, "Koexistenz gibt's nicht zum Nulltarif." In einem verarbeitenden Betrieb mit 20 Angestellten sei eine Person extra für Qualitätsmanagement zuständig. Viele Verarbeiter betrieben Vertragsanbau. Für Landwirte bedeutet die Vertragsbindung ein Verlust an Freiheit. Unterschiedlich sei, ob Verarbeiter eigens produziertes Saatgut und Kontrolleure stellen. Mit der Festlegung von Schwellenwerten kämen auf Landwirte und Verarbeiter folglich hohe Koexistenzkosten zu. Diese sollten nach dem Verursacherprinzip, also von den großen Gentechnikkonzernen, getragen werden.


Strenge Saatgutreinheit

Laut IFOAM-Studie würde die EU-Landwirtschaft als Saatgut-Nettoexporteur durch Nulltoleranz kein Risiko eingehen, sondern, im Gegenteil, profitieren. Das Ausmaß der ökonomisch möglichen Katastrophen im Zusammenhang mit gentechnisch verunreinigtem Saatgut zeigt der Skandal um Leinsamen 2009 in Kanada. Noch viele Jahre nach Auslaufen der Anbauzulassung konnte sich die gentechnisch veränderte Sorte unkontrolliert weiterverbreiten. Der einzige Ausweg scheint zu sein, das gesamte kanadische Leinsamen-Saatgut zu vernichten. Ähnliche wirtschaftliche Schäden könnten auch Europas Landwirtschaft drohen, sollte die Saatgutreinheit schwinden.

Obwohl seit 2004 kein neuer Vorschlag geliefert wurde, hielt die Europäische Kommission offiziell weiter an ihren Plänen fest. Da die Gentechnik-Lobby nicht untätig bleibt, ist mit weiteren Anläufen bis 2014 zu rechnen. Mit dem neuen maltesischen Kommissar für Gesundheit und Verbraucherpolitik, John Dalli, wurde wieder eine Gentechnik freundlichere Politik eingeläutet, wie die eilige Zulassung der Amflora zeigt.


*


Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 334 - Juni 2010, S. 13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de

Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,00 Euro
Abonnementpreis: 36,00 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2010