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HUNGER/312: Mit Privatinteressen Hunger besiegen? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2013 Globalisierung und Freihandel - Pokerspiel mit ungewissem Ausgang

Mit Privatinteressen Hunger besiegen?
Die »Neue Allianz für Ernährungssicherheit« der G8-Staaten im Blickpunkt

von Jan Urhahn und Stig Tanzmann



Große Konzerne des Agribusiness und der Ernährungsindustrie betreten verstärkt die entwicklungspolitische Arena und gebärden sich als die neuen Agenten im globalen Kampf gegen Hunger und Armut. Unterstützt werden sie dabei von zahlreichen Regierungen aus dem globalen Norden und einigen Regierungen aus dem globalen Süden. Bei mehreren politischen Initiativen und Prozessen spielen bekannte Konzerne wie Monsanto, Yara, Nestlé, Bayer Crop Science oder BASF eine prominente Rolle; zum Beispiel bei der »German Food Partnership« der Bundesregierung oder bei der »Neuen Allianz für Ernährungssicherheit« der G8-Staaten (G8NA).


Die »Neue Allianz für Ernährungssicherheit« der G8 (G8NA) startete 2012 auf Bestreben von US-Präsident Obama. Bis zum Jahr 2022 soll sie insgesamt 50 Millionen Menschen in Sub-Sahara Afrika aus der Armut befreien - mittels privater Investitionen in die Landwirtschaft. Die G8NA umfasst die G8-Regierungen, die Privatwirtschaft und einige afrikanische Regierungen. 2012 wurden Partnerschaftsabkommen mit sechs afrikanischen Staaten abgeschlossen: Äthiopien, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Ghana, Mosambik und Tansania. Neu dazugekommen sind beim diesjährigen G8-Gipfel Benin, Nigeria, Malawi und mit dem Senegal wurde zwar noch kein Abkommen unterzeichnet, aber Gespräche laufen. Die G8NA zielt darauf ab, die strukturellen Rahmenbedingungen in den Ländern des globalen Südens durch Reformen so zu verändern, dass sich private Investitionen lohnen. Anders ausgedrückt: Hungerbekämpfung wird zum Geschäftsmodell und Wirtschaftsindikatoren werden auf einmal zu Armutsbekämpfungsindikatoren.


Politik ohne die Betroffenen
Die G8NA hat den Anspruch, eine Initiative von Regierungen, Unternehmen und der Zivilgesellschaft zu sein. Bislang wird sie diesem nicht gerecht: Verbände von afrikanischen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern und andere zivilgesellschaftliche Organisationen werden kaum oder auf fragwürdige Art und Weise eingebunden und wenden sich öffentlich gegen die G8NA - zuletzt Mitte August 2013 in einer Pressemitteilung der Allianz für Ernährungssouveränität in Afrika, einem Zusammenschluss von Netzwerken in 50 afrikanischen Ländern, die kleinbäuerliche Produzentinnen und Produzenten, indigene Gemeinschaften und zahlreiche Organisationen aus der Zivilgesellschaft repräsentieren. Ganz im Gegenteil erschwert mangelnde Transparenz die gesellschaftliche Beteiligung und die wechselseitige Rechenschaftspflicht der G8NA-Partner. So verfügt die G8NA weder über einen eigenen Internetauftritt noch über ein Sekretariat, das Berichte zur Umsetzung der Pläne bereitstellt. Hier ist gerade auch die Bundesregierung in der Pflicht und fällt in puncto Transparenz sogar noch hinter die Abkommen von 2012 zurück. Das von ihr verantwortete Partnerschaftsabkommen mit Benin wurde zuerst in englischer Sprache erstellt, obwohl Benin ein frankophones Land ist. Bis heute ist das Partnerschaftsabkommen im Internet noch nicht auf Französisch zu finden. Auf welcher Grundlage sich dann die dortige Zivilgesellschaft und vor allem kleinbäuerliche Produzentinnen und Produzenten an der weiteren Diskussion um das Abkommen beteiligen sollen, ist völlig unklar. Im Jahr 2012 lagen für die Elfenbeinküste und Burkina Faso fast zeitgleich die Abkommen in englischer und französischer Sprache vor.

Was der Zivilgesellschaft an Teilhabe verwehrt wird, bekommen Agribusiness und die Ernährungsindustrie: Die Konzerne nehmen direkt Einfluss auf strukturelle Reformen in den Ländern des globalen Südens und die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) orientiert sich immer stärker am Kerngeschäft der Konzerne.


Investorenfreundliche Reformen in den Zielländern
Die afrikanischen Staaten verpflichten sich sehr konkret zu tiefgreifenden strukturellen Reformen in Bereichen, die aus Ernährungssicherheits- und Menschenrechtsperspektive hochsensibel sind. Die in den Partnerschaftsabkommen aufgeführten Reformen zielen auf die aktive Förderung eines industriellen Agrarmodells - und nehmen alle negativen sozialen und ökologischen Folgen in Kauf. Dazu zählt auch die Förderung von privatwirtschaftlichen Investitionen etwa bei Saatgut, Düngemitteln oder Pestiziden sowie in Ackerland. In fast allen Partnerschaftsabkommen verpflichten sich die afrikanischen Staaten ihre Saatgutgesetzgebungen im Sinne der großen Saatgutkonzerne zu reformieren. Die Auswirkungen sind am eindrucksvollsten in Mosambik zu sehen, wo die Verteilung von frei verfügbarem und nicht modifiziertem Saatgut verboten und »moderne« Eigentumsrechte an Saatgut gesetzlich verankert werden sollen. Und das, obwohl über 80 Prozent des Saatgutes noch informell erzeugt und gehandelt wird. An den Beispielen Malawi und Nigeria zeigt sich, dass mit der G8NA auch Druck auf andere afrikanische Staaten ausgeübt werden soll. Beide Staaten verpflichten sich, die hoch umstrittenen und massiv kritisierten und daher noch nicht verabschiedeten Saatgutgesetzgebungen der jeweiligen afrikanischen Regionalgemeinschaften, wie COMESA oder SADC, umzusetzen. Staaten, die sich bisher den neuen Gesetzgebungen verwehren werden so unter Zugzwang gesetzt. Ebenso wie Saatgut zieht sich das Thema großflächige Landinvestitionen durch fast alle Abkommen. In Äthiopien sollen Investoren leichteren Zugang zu Land und anderen natürlichen Ressourcen bekommen, damit sie auf den Agrarflächen kommerzielle Landwirtschaft betreiben können. Malawi erklärt sich bereit, bis Juni 2015 200.000 Hektar Land für großflächige Investitionen auszuschreiben.


Das Agribusiness und die Ernährungsindustrie dominieren die G8NA
Unternehmen und Finanzdienstleister verfassen unverbindliche Absichtserklärungen, in denen sie darstellen, welche Investitionen sie im Rahmen der G8NA in den kommenden Jahren tätigen wollen. Diese umfassen ein Investitionsvolumen von über neun Milliarden US-Dollar - sofern das aufgrund der intransparenten Datenlage überhaupt nachvollzogen werden kann. Der mit Abstand größte Anteil des Investitionsvolumens kommt aus Europa und Nordamerika, einige Investoren kommen auch aus Schwellenländern. Zu ihnen zählt der indische Konzern United Phosphorous Limited, einer der wichtigsten Hersteller von Phosphordünger weltweit. Auch afrikanische Unternehmen sind Teil der G8-Initiative. Eine nähere Betrachtung zeigt allerdings, dass einige der Unternehmen mit Sitz in einem der neun afrikanischen Länder selbst internationale Akteure der Privatwirtschaft sind.

Food Concepts aus Nigeria beispielsweise ist ein international agierendes Fast-Food-Unternehmen. Sein Beitrag zur Hungerbekämpfung besteht darin, die Eröffnung neuer Filialen der Kette »Chicken Republic« anzukündigen. Hinzu kommt, dass einige afrikanische Unternehmen durch ausländische Geldquellen finanziert werden. So ist Agrica als tansanisches Unternehmen gelistet, läuft aber unter britischen Eigentümern und wird über finnische und norwegische Investmentfonds finanziert. Das Unternehmen betreibt auf einer Fläche von 5.000 Hektar die größte Reisfarm Ostafrikas.


Geschäftsmodelle hinter den Reformen - wer profitiert?
Hinter den geplanten Reformen und Investitionsvorhaben steht die wirtschaftsliberale Vorstellung, Kleinbäuerinnen und Kleinbauern könnten durch private Unternehmen des Agribusiness und der Ernährungsindustrie aus der Armut »gehebelt« werden, indem man sie in Wertschöpfungsketten integriert. Das soll zu Einkommensstabilität, verbesserter Produktivität im Anbau, Zugang zu Dienstleistungen und zur Schaffung von Arbeitsplätzen führen. Sogenannte inklusive Geschäftsmodelle sind in ihrer Reichweite jedoch äußerst begrenzt. Wissenschaftliche Studien gehen davon aus, dass nur zwischen zwei bis maximal 25 Prozent der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern weltweit in solche Ketten integriert werden können - der Rest bleibt auf der Strecke.

Ein zentrales Instrument zur Einbindung von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in konzerndominierte Wertschöpfungsketten ist der Vertragsanbau. In der Tat kann er kleinbäuerlichen Betrieben Preis- und Abnahmegarantien bieten und die Gefahr von Preisschwankungen verringern. Die Entwicklungspotenziale von Vertragsanbau können jedoch nicht losgelöst von den Machtasymmetrien zwischen kleinbäuerlichen Produzentinnen und Produzenten und Ankäufern bewertet werden. Vielfach belegt sind zum Beispiel Probleme wie Verschuldung durch zu harte Kreditbedingungen, Verschlechterung der Ernährungssicherung durch Anbau in Monokulturen und die Abkehr von der Mischproduktion. Gerade in Kontexten von liberalisierten Landmärkten kann die Ausbreitung des Vertragsanbaus zudem die Landbesitzkonzentration erheblich forcieren.


Indikatoren mangelhaft
Eine besondere Schwachstelle sind die in den Kooperationsvereinbarungen verankerten Indikatoren, um die etwaigen Erfolge der Initiative zu messen. Drei Indikatoren werden immer wieder genannt: Erstens der »Doing Business Index«, der Weltbank, zweitens der prozentuale Anstieg privater Investitionen in die kommerzielle Produktion und den Verkauf von verbessertem Saatgut und drittens der Anstieg privater Investitionen im Agrarbereich.

Der »Doing Business Index« der Weltbank bemisst primär das Investitionsklima für ausländische Investoren, dabei insbesondere die Steuerlast für Unternehmen, Regeln für den internationalen Handel oder den Schutz geistigen Eigentums. Ein spezifischer »Doing Business in Agriculture Index« soll in den nächsten drei Jahren entwickelt werden.

Die Auswahl der Erfolgsindikatoren macht die wahren Zielvorstellungen der G8NA deutlich: Es geht weder um den Rückgang der Zahl unterernährter Menschen noch um höhere Einkommen von Kleinproduzentinnen und Kleinproduzenten und auch nicht um nachhaltige Produktionsmethoden oder einen besseren Zugang zu Land für kleinbäuerliche Produzent/innen. Hätte man Indikatoren mit Bezug auf bestehende Leitlinien, wie etwa die FAO-Leitlinien zum Recht auf Nahrung (»Freiwilligen Leitlinien zur Unterstützung der schrittweisen Verwirklichung des Rechts auf Nahrung im Kontext nationaler Ernährungssicherung«) gewählt, wäre auch die Ausrichtung der politischen Reformen und Investitionen eine grundlegend andere.


Fragen der Kohärenz nicht berücksichtigt
Betrachtet man die Absichtserklärungen des afrikanischen Agribusiness in den neun vorliegenden Kooperationsabkommen, so sticht ins Auge, dass hier ein Kohärenzproblem in den Politiken der G8-Staaten besteht.

In Benin verpflichtet sich eine lokale Firma ihren Geflügelschlachthof mit einer Verarbeitungskapazität von derzeit 75 Tonnen jährlich weiter auszubauen und neue Geflügelmäster für die Produktion zu gewinnen. Wie dieses Projekt auf Dauer Erfolg haben soll ist angesichts von Geflügelfleischexporten nach Benin - allein aus der Europäischen Union im Umfang von knapp 140.000 Tonnen jährlich - völlig fraglich. Diese Exporte beeinträchtigen auch das Abkommen mit Nigeria. Darin sind neue Mastkapazitäten zur Produktion von einer Millionen Hähnchen pro Monat zusätzlich geplant. Denn ein Großteil der EU-Exporte nach Benin wird weiter nach Nigeria geschmuggelt. Diese »Schmuggelexporte« stellen nach Angaben des nigerianischen Geflügelverbandes inzwischen eines der größten Probleme für die dortigen Mäster dar. Ähnliche Probleme gibt es in den Bereichen Milchproduktion oder dem Anbau von Tomaten.

Im Sinne der Politikkohärenz muss das Problem der Agrarexporte aus den Ländern des Nordens, die den Aufbau der Produktion im Süden behindern, wie schon lange gefordert, endlich angegangen werden. Hier ist die Bundesregierung in einer besonderen Pflicht.


Schluss mit der Förderung des Agribusiness
Die G8NA muss entweder radikal verändert oder beendet werden. Auf keinen Fall darf die Initiative unter den gegenwärtigen Vorzeichen erweitert werden - das war und ist die Kernforderung deutscher und internationaler NGOs. Trotzdem wurde die G8NA 2013 um drei Staaten erweitert. Insbesondere die Ankündigungen für Nigeria und Malawi lassen schlimme Folgen für die kleinbäuerliche Landwirtschaft in beiden Ländern erahnen.

Eine stärkere Förderung und mehr Investitionen in den Agrarsektor der Länder des Südens sind notwendiger denn je. Eine zukunftsfähige Landwirtschaft, die Armut bekämpft und Hunger verringert, benötigt indes eine ganz andere Unterstützung, als sie G8NA und ähnliche Initiativen beinhalten. Privatwirtschaftliche Initiativen dürfen bei der Ausgestaltung politischer Regeln keine privilegierte und institutionalisierte Rolle spielen. Stattdessen ist das Komitee für Ernährungssicherheit (CFS) der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) das Gremium, das international legitimiert ist, um in landwirtschaftlichen Fragestellungen Richtungsentscheidungen zu treffen. Im CFS werden gerade allgemeine Prinzipien für verantwortungsvolle Investitionen im Agrarbereich (rai) in einem partizipativen Prozess entwickelt. Diesem Prozess muss Rechnung getragen werden.

Kleinbäuerliche Produzentinnen und Produzenten bilden das Rückgrat des Ernährungssystems in vielen Ländern des globalen Südens. Sie sind zugleich die größten Investoren in der Landwirtschaft. Daher müssen sie und die Befriedigung ihrer Bedürfnisse im Zentrum jeglicher Programme zur Hunger- und Armutsbekämpfung in ländlichen Regionen stehen. Entsprechend müssen Bauernorganisationen zentral an der Ausgestaltung von Initiativen beteiligt sein.

Im globalen Süden übernehmen Frauen einen sehr bedeutenden Beitrag zur Ernährungssicherung. Doch sie werden häufig diskriminiert und haben nur marginalen Zugang zu Beratungsdienstleistungen, Krediten sowie Land und anderen wichtigen Ressourcen. Frauen und ihre Bedürfnisse müssen stärker in Initiativen und Investitionen Berücksichtigung finden. Wie der im Partnerschaftsabkommen mit Benin erwähnte Gender-Indikator umgesetzt werden soll, ist nicht ersichtlich. In vielen landwirtschaftlichen Bereichen müssen kleinbäuerliche Produzentinnen und Produzenten durch spezifische Programme stärker unterstützt werden. Dazu zählt unter anderem die staatliche Förderung einer bäuerlich-familienorientierten Saatgutproduktion.

Das sind einige Bestandteile eines zukunftsfähigen Modells von Landwirtschaft und Ernährung - und die funktionieren ganz ohne Monsanto und Konsorten.


Jan Urhahn ist Referent für Landwirtschaft und Ernährung beim INKOTA-netzwerk. Stig Tanzmann ist Referent für Landwirtschaft bei Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2013, Seite 26-28
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2013