Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → ERNÄHRUNG

HUNGER/317: Sahel - Ernährungskrise durch Konflikte dramatisch verschärft (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. April 2014

Sahel: Ernährungskrise durch Konflikte dramatisch verschärft

von Matthew Newsome


Bild: © Kristin Palitza/IPS

Dürregebiet in der Sahelzone
Bild: © Kristin Palitza/IPS

Tunis, 1. April (IPS) - Nach Ansicht von Experten wird viel zu wenig getan, um die Ernährungskrise in der afrikanischen Sahelzone einzudämmen. Zudem gefährden Konflikte und Instabilität die Durchführung von Hilfsmaßnahmen in einer Region, in der jeder Achte mit Nahrungsmitteln unterversorgt ist.

"Das Hauptproblem besteht darin, dass die Nahrungsmittel erst gar nicht in die Konfliktgebiete wie die Zentralafrikanische Republik gelangen, weil die Lage dort unsicher ist. Bislang hat die internationale Gemeinschaft auf das vorhersehbare Ausmaß der Katastrophe nicht ausreichend reagiert", sagte der Generaldirektor der UN-Landwirtschaftsorganisation (FAO), José Graziano da Silva, am Rande der FAO-Regionalkonferenz vom 24. bis 28. März in Tunis.

Im Februar hatten die Vereinten Nationen weitere Hilfsgelder im Umfang von zwei Milliarden US-Dollar angemahnt, um etwa 20 Millionen von Hunger bedrohte Menschen in der Sahelzone versorgen zu können. Die semi-aride Region, die von anhaltenden Dürren und chronischer Ernährungsunsicherheit betroffen ist, erstreckt sich von der Sahara in Nordafrika bis zu den Savannen im Sudan. Die UN stuft sie als "eine der ärmsten und anfälligsten Regionen der Welt" ein.

Die Länder, in denen die Lebensmittel knapp werden, sind Mali, Mauretanien, Gambia, Senegal, Burkina Faso, die Zentralafrikanische Republik, der Niger, der Tschad und Nigeria. Aus jüngsten Untersuchungen der Hilfsorganisation 'Action Aid' geht hervor, dass Nigeria und der Senegal auf eine Verschärfung der Versorgungslage alarmierend schlecht vorbereit sind.

Laut John Abuya von Action Aid sind die Strukturen, um auf Katastrophen reagieren zu können, sowohl auf regionaler als auf lokaler Ebene viel zu schwach ausgeprägt und müssten unbedingt gestärkt werden. Es sei zu befürchten, dass die Regierungen Nigerias und des Senegals bei einer Zuspitzung der Krise komplett überfordert sein werden. Es gebe in Nigeria zwar eine nationale Behörde für Nothilfekoordination, doch habe sie sich bisher nicht bewährt. Zudem würden die finanziellen Mittel inadäquat verteilt.


Versorgungsengpässe nehmen drastisch zu

Schätzungen zufolge wird die Ernährungsunsicherheit in der Sahelzone in diesem Jahr um etwa 40 Prozent gegenüber 2013 zunehmen, als bereits rund 11,3 Millionen Menschen mit Nahrungsmitteln unterversorgt und auf internationale Hilfe in Höhe von ungefähr 1,7 Milliarden Dollar angewiesen waren.

Die Hilfslieferungen an die chronisch unterversorgte Bevölkerung der Region werden jedoch durch Konflikte behindert, die dazu geführt haben, dass 724.000 Menschen aus ihren Heimatländern fliehen mussten und 495.000 vertrieben wurden.

Jüngste Erhebungen des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) belegen, dass der Tschad im Zuge seiner 'Politik der offenen Tür' 419.000 Flüchtlinge aufgenommen hat, davon 333.000 aus dem sudanesischen Darfur und 86.000 aus der Zentralafrikanischen Republik. Von den etwa 103.000 Flüchtlingen in Mauretanien kommen die meisten aus Mali und aus der Westsahara. Burkina Faso hat seit Beginn der Unruhen in Mali 43.000 Menschen aus dem Land aufgenommen.


Enorme Flüchtlingsströme aus Mali

Nach dem Militärputsch in Mali im März 2012 nutzten Terroristen und kriminelle Banden das Machtvakuum aus, besetzten den Norden und lösten dadurch eine riesige Fluchtbewegung aus. Die Menschen suchten Schutz in Burkina Faso, Mauretanien, Niger und in geringerem Maße auch in Algerien und weiteren Staaten.

Die Regierung in Mali beharrt darauf, ihre Bevölkerung aus eigener Kraft ernähren zu können. Die schlechte Infrastruktur und die Instabilität im Norden behindern jedoch diese Aktivitäten. Im vergangenen Jahr produzierte das Land rund zwei Millionen Tonnen Getreide und eine Million Tonnen Reis.

"Mali hat kein Problem mit seiner Landwirtschaft, sondern damit, die Nahrungsmittel an die Bevölkerung zu liefern", sagt Issa Konda, Vorsitzender der malischen Agrardelegation bei der FAO-Konferenz in Tunis. "Aufgrund der Krise im Norden können wir nicht sicher sein, dass die Lieferungen sicher ankommen. Das führt dazu, dass die von den Bauern produzierten Nahrungsmittel nicht weitläufig verteilt werden können."

Trotz aller bisherigen Stabilisierungsbemühungen einschließlich der Entsendung einer Friedensmission und der Durchführung von Präsidentschaftswahlen Mitte 2013 wollen nur wenige malische Flüchtlinge angesichts der unsicheren Lage und der humanitären Probleme in die Heimat zurückkehren.


Zunehmende Nahrungsengpässe in Niger

In Niger haben sich die dürrebedingten Versorgungsengpässe durch die Konflikte in den Nachbarländer weiter verschärft. Etwa die Hälfte der 17 Millionen Nigrer leiden unter Nahrungsmangel. Jeder Zehnte ist drei Monate im Jahr unterversorgt.

Die Konflikte im Norden Malis, im Süden Libyens, im Norden Nigerias und in der Zentralafrikanischen Republik bringen Niger bei der Bewältigung der eigenen Ernährungskrise in Bedrängnis. Tausende Flüchtlinge strömen über die durchlässigen Grenzen in das Land. Seit 2012 gilt der Niger malischen Flüchtlingen als sicherer Hafen. Das UN-Flüchtlingshochkommissariat schätzt, dass bisher mehr als 51.000 Vertriebene (47.000 aus Mali und 4.000 aus Nigeria) nach Niger geflohen sind.

Der für Agrarentwicklung zuständige Minister im nigrischen Präsidialamt, Amadou Diallo, hat weiter darauf hingewiesen, dass die Regenzeit von Juli bis Oktober im vergangenen Jahr "enttäuschend" ausgefallen sei. "Die Lage ist ernst, seit mehreren Jahren zeigt sich keine Besserung", sagte er. "Wir können die durch das Bevölkerungswachstum und die Flüchtlingsströme steigende Nachfrage nach Lebensmitteln nicht decken. Außerdem bedroht eine schreckliche Dürre unsere Nahrungsversorgung."

Die Flüchtlingskrise im Niger eskalierte im letzten Jahr, als im Nachbarstaat Nigeria eine Militäroffensive gegen die islamistische Terrorgruppe 'Boko Haram' begann. Etwa 10.000 Menschen flohen daraufhin aus dem Norden Nigerias in den Südosten Nigers und nach Kamerun.

Von den 25 Ländern, die die Vereinten Nationen als 'gescheiterte Staaten' (failed states) betrachten, liegen 13 in der Sahelzone. Es sei unmöglich, den Teufelskreis der wiederkehrenden Ernährungskrisen in der Region zu durchbrechen, solange es an Sicherheit mangele, meinte Gerda Verburg, Vorsitzende des zwischenstaatlichen Komitees für Welternährungssicherheit (CFS), das den Vereinten Nationen als Forum dient, Maßnahmen für Ernährungssicherheit zu überprüfen und zu verbessern.

"Für die Sahelzone gibt es Lösungen, wir haben die Möglichkeiten und den Willen dazu", versicherte Verburg. "Doch solange die Lage unsicher ist, bleiben die Produktion und der Zugang zu Nahrung gefährdet." (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/03/sahel-food-crisis-overshadowed-regional-conflict/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 1. April 2014
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2014