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INTERNATIONAL/082: Kolumbien - Bäuerliche Landwirtschaft in Bürgerkriegsland vernachlässigt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. April 2013

Kolumbien: Bäuerliche Landwirtschaft in Bürgerkriegsland vernachlässigt

von Helda Martínez


Bild: Helda Martínez/IPS

Bauernproteste in Bogotá
Bild: Helda Martínez/IPS

Bogotá, 17. April (IPS) - José Alicapa ist ein Mann in den Siebzigern, der eine 13-stündige Busfahrt auf sich genommen hat, um Kolumbiens Regierung unter Staatspräsident Juan Manuel Santos um Frieden, Landtitel und Unterstützung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft zu bitten. Denn der Farmer würde noch gern zu Lebzeiten das Ende des Bürgerkrieges zwischen Regierungstruppen und rechten Paramilitärs auf der einen Seite und linken Rebellen auf der anderen Seite erleben.

Zusammen mit Hunderten Bauern hatte es Alicapa, der aus der Westprovinz Caldas stammt, in der zweiten Aprilwoche in die Hauptstadt Bogotá verschlagen. "Auf meinem Land ziehe ich Kaffee und Bananen", berichtet er. "Doch der letzte Hagelsturm hat schwere Schäden verursacht." Zu den Forderungen der Demonstranten gehörten neben technischen Hilfen Landbesitztitel für diejenigen, die das Land bestellen, Subventionen, Zugang zu Entwicklungs- und Förderprogrammen und zu Agrarland.

"Die Campesinos sind für die Lebensmittelproduktion unverzichtbar. Deshalb bin ich der Meinung, dass das ganze Land zum Schutzgebiet für die Landbevölkerung erklärt werden sollte", meinte dazu Tomás León Sicard, Leiter des Programms für ökologischen Landbau des Instituts für Umweltstudien der Nationalen Universität von Kolumbien.

León Sicard bezog sich damit auf den Entwurf eines Gesetzes von 1994, das die Einrichtung von Schutzzonen für die Indigenen-, Schwarzen- und Bauerngemeinschaften mit einer gewissen Autonomie und Sicherheit vorsieht. Die Umsetzung dieses Gesetzes gehört zu den Schlüsselforderungen bei den Friedensverhandlungen in Havanna zwischen der Santos-Administration und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC).


Gefährlicher Landbau

"Obwohl die Bauern die Hauptopfer des bewaffneten Konflikts sind, arbeiten sie unter schockierenden Verhältnissen weiter. Sie leben nach wie vor in den ländlichen Gebieten und produzieren 70 Prozent der Nahrungsmittel, die Kolumbianer verzehren", sagte der Professor.

"Die Regierung hält sich nicht an ihre Versprechen", kritisierte Fulgencio Yangües vom Verband der Bauern, die Opfer des Konflikts geworden sind. "Jahr für Jahr werden wir, die Opfer des Bürgerkrieges, vergessen. Gewalt und Vertreibung der Landbevölkerung gehen weiter", sagte er während einer Demonstration am 9. April in Bogotá gegenüber IPS.

Wie aus dem letzten Bericht der Nationalen Planungsbehörde von 2011 hervorgeht, hatte die Armut in den ländlichen Gebieten in jenem Jahr 46 Prozent erreicht. 22 Prozent dieser Menschen lebten sogar in absoluter Armut.

Dem Gini-Index zufolge, der die Einkommensunterschiede auf einer Skala von null bis eins misst, hat die Landkonzentration in Kolumbien im letzten Jahrzehnt von 0,74 auf 0,88 zugenommen.

Die Landwirtschaft trägt 5,9 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt Kolumbiens bei. Im Vergleich: Der Anteil des Bergbaus liegt bei 14,3 Prozent.

Wie aus einer Studie der privaten Anden-Universität hervorgeht, befinden sich 77 Prozent des Landes in den Händen von 13 Prozent der Landeigentümer. 18 Prozent der Kleinbauern wiederum sind nicht im Besitz von Landtiteln.

Die schwerwiegenden Probleme im Hinterland gelangten Ende Februar/Anfang März durch die Proteste der Kaffeebauern in die Öffentlichkeit. Der Ausstand wurde erst beendet, nachdem die Regierung den Produzenten einen Abnahmepreis von 80 Dollar pro Sack Kaffeebohnen zusicherte. Finanzminister Mauricio Cárdenas zufolge gilt die Regelung allerdings nur für das laufende Jahr.

Doch die kolumbianischen Kaffeehersteller leiden seit vielen Jahren unter einer Krise. Wie die Nationale Vereinigung der Kaffeepflanzer erläuterte, sieht sich das Land bereits seit 2004 zur Einfuhr von Kaffee gezwungen. Die meisten Lieferungen kommen aus Ecuador und Guatemala. Inzwischen werden nach Angaben von Sprechern der Bewegung zur Verteidigung und für die Würde des Kaffees 70 Prozent des in Kolumbien konsumierten Kaffee importiert.

Nach den Protesten der Kaffeeproduzenten drohten die Reisbauern mit ähnlichen Maßnahmen. Doch die Regierung verhinderte den Streik, indem sie wirtschaftliche Hilfen und Maßnahmen zur Bekämpfung des Reisschmuggels vor allem aus Ecuador in Aussicht stellte.

"Alle diese Schwierigkeiten erwachsen aus der hohen Landkonzentration, doch eine Umverteilung ist offenbar nicht in Sicht", meinte León Sicard. Die letzte Landreform fällt in die Regierungszeit von Präsident Carlos Lleras Restrepo (1966-1970), doch das sogenannte Abkommen von Chicoral von 1972 zwischen den Traditionsparteien und den Verbänden der Landbesitzer beschleunigte vor allem die Besiedlung des tropischen Regenwaldes, die wiederum die Bauern mit Kokahändlern in Kontakt brachte.

"Die Probleme, die wir haben, sind somit nicht neu", meinte der Professor. Das Abkommen mit den Landeigentümern habe die Möglichkeit, brach liegendes Land zum Zweck der Umverteilung zu enteignen, erheblich eingeschränkt.


Experte empfiehlt ökologischen Landbau

León Sicard zufolge zeichnet sich Kolumbien durch eine Vielzahl unterschiedlicher Böden und Klimaverhältnisse aus. Doch diesen besonderen Charakteristika werde die derzeitige Agrarpolitik in keiner Weise gerecht. 99 Prozent der landwirtschaftlichen Anbaumethoden favorisierten den Einsatz von technisch hochversierten Maschinen und Agrarchemikalien, was wiederum auf gewisse dahinter liegende Interessen schließen lasse. "Wer baut die Traktoren und wer verkauft sie? Es ist niemand, der den Bauern im Hochland helfen will. Mit welchen transnationalen Konzernen haben wir es also zu tun?"

Für den Professor liegt im agroökologischen Landbau, der in Kuba und Brasilien bereits bemerkenswerte Ergebnisse erzielt habe, die Lösung des kolumbianischen Problems. Doch gerade in diesem Bereich hinke Kolumbien jedem anderen Land Lateinamerikas hinterher. Auch dieses Thema sollte seiner Meinung nach in den Friedensverhandlungen thematisiert werden. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.ipsnews.net/2013/04/agriculture-still-the-cinderella-of-colombia/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102686

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. April 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. April 2013