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INTERNATIONAL/142: Migration - Mehr Hilfe für den Agrarsektor durch globalen Aktionsrahmen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Oktober 2015

Migration: Mehr Hilfe für den Agrarsektor - Globaler Aktionsrahmen soll bei Bewältigung der Flüchtlingskrise helfen

von Alejo Carpentier


Bild: © High Contrast, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

Olivenhaine im Westen Syriens, 2009

Bild: © High Contrast, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

ROM (IPS) - Die Zahl der Vertriebenen weltweit hat den höchsten Stand aller Zeiten erreicht. 'Migration' ist daher zum Synonym für 'humanitäre Krise' geworden. Angesichts der wirtschaftlichen, politischen und moralischen Kosten bei der Bewältigung der massiven Migration - insbesondere mit Blick auf die jüngsten Erfahrungen in Europa - zeigt sich immer deutlicher, dass universell gültige Regelungen und Grundsätze vonnöten sind.

Mehrere europäische Politiker insistieren darauf, dass höhere Hilfen und Investitionen in den Herkunftsstaaten den Zustrom eindämmen könnten. Doch nur wenige von ihnen verstehen, wie schwierig sich eine solche Entwicklungsfinanzierung in der Praxis gestaltet. Dies liegt erstens daran, dass offizielle Entwicklungshilfe zunehmend zur Bewältigung humanitärer Krisen bereitgestellt wird. Damit reduziert sich der Anteil der Mittel, die in Pläne zur nachhaltigen Entwicklung fließen könnten. Zweitens wird ein Großteil der zugesagten Hilfe niemals konkret zur Verfügung gestellt.

Im Fall von Nepal wurde weniger als die Hälfte der zugesicherten Wiederaufbauhilfe nach dem Erdbeben im vergangenen April tatsächlich an das Land weitergeleitet, wie UN-Vertreter erklärten. Der Streit um den Entwurf einer neuen Verfassung für den Himalajastaat dürfte die Geber kaum ermutigen. Die Katastrophe könnte daher länger andauern als nötig und somit die Entwicklung der Wirtschaft und der Ernährungssicherheit behindern.

Für den Jemen hat Saudi-Arabien eine Großspende zugunsten humanitärer Einsätze angekündigt, obwohl der Staat an dem Militärkonflikt beteiligt ist, der Vertreibung und Armut im Jemen weiter verschlimmert.


Abschreckungsmaßnahmen statt Wachstumsförderung

Während Berichte über Misshandlungen von Flüchtlingen in Europa für Entsetzen sorgen, ist Tunesien damit beschäftigt, einen Graben an seiner Grenze zu Libyen zu ziehen. Angesichts der Summen, die in die Abschreckung von Migranten und in humanitäre Hilfe gesteckt werden, erscheint es als ziemlich eindeutig, dass Gespräche über eine Wachstumsförderung in der Herkunftsländern lediglich eine Übung in Optimismus sind.

Doch das könnte sich nun ändern. Die Weltgemeinschaft kam kürzlich am Hauptsitz der UN-Agrarorganisation FAO in Rom zusammen und verabschiedete einen Aktionsrahmen für Ernährungssicherheit bei lang anhaltenden Krisen. Die vom Ausschuss für Welternährungssicherheit vermittelte Übereinkunft zielt darauf ab, die Kluft zwischen humanitärer und Entwicklungshilfe zu überbrücken.

Da sowohl Staaten als auch nicht-staatliche Geber und Akteure zu den Unterzeichnern gehören, wird erwartet, dass die Hilfen nun leichter politische und bürokratische Hürden passieren können und dorthin gelangen, wo sie dringend benötigt werden.

In Syrien ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus ihren Häusern vertrieben worden, und der Konflikt greift weiter um sich. Die Europäische Union hat Monate gebraucht, bevor sie sich zur Aufnahme von weniger als fünf Prozent der Flüchtlinge bereit erklärte, die derzeit in Lagern im Libanon und in der Türkei leben. Viele syrische Flüchtlinge befürchten, dass sich an den schlechten Lebensbedingungen in den Nachbarländern nichts ändern wird. Da einige von ihnen keinen Mut haben, weiter westwärts Schutz zu suchen, kehren sie trotz der Gefahren nach Syrien zurück. Der neue Aktionsrahmen könnte nun Abhilfe schaffen.


FAO kooperiert mit Internationaler Organisation für Migration

Die FAO verhält sich so, als wäre die Übereinkunft bereits in Kraft. In diesem Sommer arbeitete sie mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zusammen, um etwa 500 Familien von Kleinbauern, die nach Syrien zurückgekehrt waren, Unterstützung zu leisten. Die Hilfe bestand in Saatgut, landwirtschaftlichen Werkzeugen und fertigen Geflügelfarmen. Auf diese Weise wird nicht nur den Familien selbst geholfen, sondern auch vermieden, dass der Agrarsektor eines Kriegslandes brach liegt.

Die Ressourcen fließen in einen Bereich, der lange ein Niemandsland war. Damit wird ein kleiner Schritt zur Förderung von Entwicklung inmitten einer verheerenden humanitären Notlage getan. "Durch die Unterstützung von Menschen, die von Landwirtschaft leben, kann ihnen dabei geholfen werden, in Gebieten zu bleiben, in denen sie sich sicher fühlen. Zudem können Voraussetzungen für die Rückkehr von Flüchtlingen, Migranten und Vertriebenen geschaffen werden", sagte FAO-Generaldirektor José Graziano da Silva.

Das Rahmenwerk ist darauf ausgerichtet, mit lang anhaltenden Krisen an mehr als 20 Orten umzugehen, an denen Nahrungsunsicherheit seit mindestens einem Jahrzehnt nahezu permanent vorherrscht. Die meisten Krisen ereignen sich in fragilen Staaten, in denen sie entweder Konflikte ausgelöst haben oder in deren Folge aufgetreten sind.


Auswärtige Hilfen gehen bisher am Agrarsektor vorbei

Ein Drittel der Hungernden auf der Welt - Indien und China nicht mitgerechnet - lebt in Ländern, die Dauerkrisen durchmachen. Obwohl die Landwirtschaft ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts dieser Länder generiere, würden für diesen Sektor weniger als vier Prozent der auswärtigen Finanzhilfen zu Verfügung gestellt, sagte Luca Alinov, der für die FAO in Kenia tätig ist. Der Aktionsrahmen bereitet also den Weg für die Kanalisierung von Mitteln in den Agrarsektor, der bisher am stärksten vernachlässigt wurde, obwohl er die Ernährungssicherheit am besten voranbringen kann.

Es besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass es höchste Zeit ist, die immer obsoleter wirkende Trennung zwischen humanitärer und Entwicklungshilfe abzuschaffen. "Die Entwicklung ländlicher Regionen und die Ernährungssicherheit stehen im Zentrum der globalen Antwort auf die Flüchtlingskrise", sagte Graziano da Silva. Die Schaffung des Rahmenwerks als Ergebnis eines Dialogs zwischen verschiedenen Interessensvertretern kann das Instrumentarium zur Umsetzung dieser Erkenntnis erweitern. (Ende/IPS/ck/14.10.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/10/a-new-framework-in-an-age-of-migration

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IPS-Tagesdienst vom 14. Oktober 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2015

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