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LANDWIRTSCHAFT/1590: Essen aus dem Agroparc oder vom Bauern (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 371 - November 2013
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Essen aus dem Agroparc oder vom Bauern
Trotz steigender Bevölkerungszahlen und zunehmender Urbanisierung liegt die Zukunft nicht in einer Industrialisierung der Landwirtschaft

von Marcus Nürnberger



Wenn sich, wie in den vergangenen Monaten, vieles im Bereich Landwirtschaftspolitik um die Neuausrichtung der gemeinsamen Agrarpolitik dreht, dann kann man sicher davon ausgehen, dass diejenigen, die finanzielle Interessen an diesem oder jenem Ausgang der Verhandlungen haben, an vorderster Front versuchen werden Einfluss zu nehmen. Es geht darum die politischen Rahmenbedingungen dahingehend zu beeinflussen, dass die Wirtschaftlichkeit und die Gewinnspanne des eigenen Unternehmens, der Sparte und des vertretenen Klientels möglichst hoch ausfallen kann. Aber es gibt auch eine viel grundsätzlichere, durchaus pragmatische Herangehensweise: "Wie wird die Stadt satt?" Unter diesem Motto versuchte eine Reportage auf Arte unterschiedliche Ernährungs-, Lebens- und vor allem Landwirtschaftsmodelle darzustellen. Verschiedene Akteure in Europa und Indien kamen zu Wort und hatten Gelegenheit ihre Visionen, ihr Verständnis von Landwirtschaft zu erklären. Ein schöner Film. Sehr sehenswert. Weshalb an dieser Stelle auch keine Nacherzählung folgen, sondern nur einige Thesen aufgegriffen werden sollen um zwei mögliche Entwicklungen für eine zukünftige Landwirtschaft aufzuzeigen.


Agroparcs

Dr. Peter Smeeds, Spezialist für städtische Landwirtschaft an der Universität für Lebens- und Agrarwissenschaften in Wageningen, ist ein Verfechter von Agribusinessparcs. Wie wird sich die Weltbevölkerung in Zukunft entwickeln? Wo werden die Menschen leben, wohnen, arbeiten? Wovon werden sie sich ernähren? Smeeds entwickelt sein Zukunftsbild: Jährlich ziehen 200 Mio. Menschen in die Städte. 2050 werden 50 Mrd. Menschen die Erde bevölkern. Dreiviertel davon werden in Städten leben, so seine Prognose. Diese Menschen müssen mit Lebensmitteln versorgt werden. Mehr Protein, mehr hochwertiges Gemüse, mehr Fertiggerichte, so der Forscher.

Produziert werden soll all das in einer wissenschaftlich basierten Lebensmittelproduktion, ähnlich der Herstellung von Computern oder Autos. Er möchte die Vorstellung hinter sich lassen, dass "Landwirte etwas dümmliche Menschen auf dem Land waren, die dort romantische Sachen taten, die sie gerne machten." Derweil sieht er die Zukunft in 40! Hektar großen Gewächshäusern, die die Abwärme aus Kraftwerken nutzen und als CO2-Filter dienen könnten. Die Tomaten wachsen auf Steinwolle. Über die Tröpfchenbewässerung werden Wasser, Dünger und Mineralien pflanzenspezifisch appliziert. Bis zu sechs mal lässt sich das Wasser wiederverwenden.


Begrenzte Offenheit

Smeeds berichtet von Widerständen, die er erlebt, weil Bauern ihr Land nicht für die, von ihm als Berater mit geplanten, Agroparcs bzw. Agrozonen zur Verfügung stellen wollen. In Indien, China, Afrika und Mexico sieht er große Chancen für sein Modell der vertikalen Integration, dem Ausschalten sämtlicher Mittelsmänner und der faktischen Enteignung der Landbesitzer. Für Smeeds steht fest, dass Urbanisierung, das immer weitere Anwachsen der Städte weitergehen wird. Die Produktion von Nahrung reduziert er zu einer notwendigen Dienstleistung. Bis ins Extrem getrieben hat diesen Gedanken der Wissenschaftler Mark Post mit seinem Konzept, die zukünftige Fleischproduktion rein im Labor vonstatten gehen zu lassen. Aus Stammzellen in Nährlösung soll ein fleischähnliches Substrat gezogen werden. Die erste kleine Frikadelle hat 250.000 Euro gekostet. Vor dem Hintergrund einer wachsenden Weltbevölkerung und einem steigenden Fleischkonsum preist Post sein Modell, dass viel weniger Platz braucht als eine konventionelle Rinderhaltung. Auch sei die Rohstoffeffizienz verbessert, es gebe keinen Methanausstoß, kein Tierleid und keine Schlachtung.


Du bist was du isst!

Aber nicht nur vermeintliche Vordenker aus der Wissenschaft setzten sich mit der Zukunft der Nahrungsmittelproduktion auseinander. Immer mehr Menschen, gerade auch in den Städten, machen sich Gedanken über die Herkunft ihrer Nahrung. Vielleicht ist das noch ein besonderes Phänomen in den Industrieländern, weil hier der Wohlstand auf einem Niveau angekommen ist, das es erlaubt sich über derartige Zusammenhänge Gedanken zu machen. Bei uns zu Hause stellten wir neulich beim Mittagessen fest, dass nahezu alles Zutaten aus dem eigenen Garten, unserem Acker und Stall kommen. Und das, so bemerkte unsere 16-jährige Tochter, obwohl wir gar nicht darauf angewiesen wären. Dieser Gedanke hat mich überrascht! Stimmt, wir verdienen genug, bräuchten keinen Garten, keine Landwirtschaft, könnten einfach im Lebensmittelgeschäft einkaufen gehen. Andererseits ist es aber ein großes Privileg einen Gemüsegarten zu haben, sein eigenes Getreide anzubauen, Äpfel zu ernten, das eigene Fleisch essen zu können. Ganz besonders vor dem Hintergrund der vielen Tausend Menschen, die in den Randgebieten von Städten hausen, keinen Zugang zu sauberem Wasser haben und auch nicht zu Boden. Daraus erwächst eine Verantwortung. Verantwortung gut umzugehen mit dem Apfelbaum, dem Boden, den Tieren. Eine Verantwortung aber auch in gesellschaftlicher Hinsicht. Nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht sollten und müssen die erzeugten Produkte auch anderen zugänglich sein. Ganz anders als Smeeds glauben machen will, ruht die Nahrungsmittelproduktion zu weiten Teilen auf den Schultern kleinbäuerlicher Betriebe. "70 Prozent der Weltnahrungsmittel werden von Kleinbauern, mit Betrieben unter zwei Hektar, erzeugt." stellt Felix Löwenstein, Ökolandwirt und Buchautor fest. "Welchen Sinn würde es machen, diese Menschen aus der Landwirtschaft wegzurationalisieren und in die Slums der Städte zu treiben. Stattdessen brauchen wir eine Ökologisierung der Landwirtschaft." Dass es um viel mehr geht als die Versorgung von Menschen mit Nährstoffen zeigen die vielfältigen Bewegungen in den Städten. Die Prinzessinnengärten in Berlin, ein sozial, ökologisches Gartenbauprojekt, dass sich als Bildungsgarten versteht. Hier können Menschen erleben welchen Wert fruchtbarer Boden, eine Vielfalt an Saatgut, sauberes Wasser haben. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das, sich ebenfalls in Berlin befindende, Allmendekontor. Qualität, Regionalität aber auch Kleinheit und Vielfalt garantieren Stabilität, ist man sich hier sicher. Aber auch der Austausch untereinander.


Direkter Kontakt

Der Stadt-Landbezug lebt besonders bei den Höfen mit sozialer Landwirtschaft. Menschen aus der Stadt engagieren sich, helfen beim Anbau, der Pflege und der Ernte nicht nur der eigenen Lebensmittel. Und dann gibt es natürlich die direkte Beziehung zwischen Produzent und Kunde, Landwirt und Verbraucher in Hofläden und an Marktständen. Viele Menschen wollen wissen, woher ihre Lebensmittel stammen. Unternehmen versuchen durch geschickte Werbung genau diese Bedürfnisse zu befriedigen. Allerdings ist der Graben zwischen werbegesteuerter Kundenberuhigung und der immer weiter voranschreitenden Industrialisierung der Produktion zunehmend schlechter zu verdecken, das zeigt sich, wenn unter dem Motto "Wir haben es satt" 25.000 Menschen in Berlin für eine nachhaltige Landwirtschaft demonstrieren.


Vielfalt statt Abhängigkeit

Sicher sind Forscher wie Smeeds und Post schillernde Sternchen. Vielleicht muss man sie als Vordenker bezeichnen. Die von ihnen propagierten Landwirtschaftsmodelle könnten aber für Investoren einen großen Reiz haben. Und genau deshalb könnten die leicht als Spinnereien abgetanen Ansätze schnell einen Einzug in den Alltag finden. Je weiter die vertikale Integration vorangeschritten ist, desto größer die Spielräume und die Gewinnmöglichkeiten der verbleibenden Akteure. Wollen wir uns so abhängig machen?

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 371 - November 2013, S. 14
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,30 Euro
Abonnementpreis: 39,60 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2014