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LANDWIRTSCHAFT/1703: Tierhaltung muss gesellschaftlich getragen sein (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 404 - November 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Tierhaltung muss gesellschaftlich getragen sein
Es bedarf konkreter Vorgaben, um die unterschiedlichen Vorstellungen landwirtschaftlicher Produktion zusammen zu führen

Von Marcus Nürnberger


Kennen Sie Chicken Cat, die Hüherkatze? Nein, das ist kein neues Tier, sondern eine Maschine zum Hähnchenverladen. Das Prinzip ist einfach: ein kleiner Wagen mit vier Rädern, ein teleskopierbares Förderband, an dessen vorderem Ende zwei gegenläufige Walzen mit langen Gummifingern befestigt sind. Die Hähnchen sind im Dunkeln recht ruhig. Im großen Stall haben sie zudem zum Ende der Mastperiode kaum die Möglichkeit auszuweichen. Und so kann die Chicken Cat sie der Reihe nach einstrudeln. Über das Förderband werden sie in Kisten verladen und dann auf dem LKW zum Schlachthof gebracht. Nur ein winzig kleiner Ausschnitt aus dem breiten Spektrum heutiger landwirtschaftlicher Produktionsabläufe. Hocheffizient, rationalisiert und ökonomisch optimiert. Entwickeln konnten sich derartige Produktionsmethoden offenbar nur in einem abgeschlossenen Verbund zwischen Tierhaltern, Ökonomen und Maschinenbauern. Das jedenfalls lässt die schon seit einiger Zeit bei den Verbrauchern immer weiter steigende Ablehnung derartiger Produktionstechniken vermuten. Bei der Demonstration "Wir haben es satt" in Berlin bekunden jedes Jahr wieder Zehntausende, dass sie mit dieser Art der industriellen Landwirtschaft nicht einverstanden sind. Schnell bekommen die Demonstranten, die ja die Verbraucher, also die Kunden der Landwirte sind, von den Verbandsfunktionären vorgeworfen, unrealistische, idealisierte Vorstellungen einer weltfremden Bauernhofromantik zu haben. Ein Austausch kommt selten zustande. Und doch haben sich nach vielen Jahren der Proteste Wissenschaftler des Themas angenommen und das Gefühl der Bürger in einen objektiven Rahmen gesteckt. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung hat ein Gutachten zur Tierhaltung vorgelegt und das Bundeslandwirtschaftsministerium einen Kompetenzkreis Tierschutz eingerichtet.

Unerwartete Kritik

Ein Donnerschlag für die Vertreter des Bauernverbands, die sich so gut eingerichtet hatten in ihrer Wagenburg namens "Wir wissen, wie es geht". Dass hier viel zu entwickeln und zu gestalten wäre, mahnt Prof. Dr. Harald Grethe von der Humboldt-Universität Berlin, einer der Autoren des Gutachtens Tierhaltung des Wissenschaftlichen Beirats an. "Wir reden viel über Tierwohl, aber da ist zu wenig Substanz hinter; es muss vielmehr um den Umbau der Tierhaltung gehen, und da fehlt eine langfristige Strategie. Der Bauernverband sollte mitgestalten, statt immer nur zu bremsen!", so der Wissenschaftler auf dem Bauerntag in Hannover. Gefordert wird von Prof. Grethe eine langfristige Strategie zum Umbau der Tierhaltung: mehr Platz pro Tier, Klimazonen im Stall, Strukturierungen von Bucht und Böden, ein Verbot der Amputationen, betriebliche Eigenkontrollen und besseres Management. "In zehn bis 15 Jahren könnte es ganz neue Technologien und Stallsysteme geben", so Grethe.

Dass es den Landwirten, Stallplanern und Funktionären einer industriellen Tierhaltung gut anstünde, sich auf diesen Transformationsprozess einzulassen, das belegen auch die Ergebnisse des Kompetenzkreises Tierschutz. Schon vor der Veröffentlichung des Abschlussberichts, an dem gerade gearbeitet wird, stellte Gerd Lindemann, ehemaliger Landwirtschaftsminister Niedersachsens und davor Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium, auf einem Symposium des Fleischkonzerns Tönnies die ersten Ergebnisse vor. Übereinstimmung sieht Lindemann mit dem Wissenschaftlichen Beirat beim Thema Kosten: Für langfristige Tierwohl-Tierschutzmaßnahmen über alle Ebenen beziffert er diese mit drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr. Aufgebracht werden müssten diese Mittel vor allem vom Staat, aber auch von der Wirtschaft und den Bauern. Ob hier auch eine Umstellung der Direktzahlungen angedacht ist, lässt Lindemann ganz im Gegensatz zu Grethe offen. Dieser hatte beim Bauerntag festgestellt, dass die heutigen Direktzahlungen in Zukunft so nicht mehr zu verteidigen seien. "Die staatlichen Zahlungen müssen für den Umbau der Landwirtschaft genutzt werden. Der größte Teil der Prämien befindet sich in der nicht maßnahmenbezogenen ersten Säule."

Wo bleibt die Politik

Der Kompetenzkreis Tierschutz als Gremium des Bundeslandwirtschaftsministeriums empfiehlt zur Umsetzung eine freiwillige Verbindlichkeit der Marktbeteiligten. Nur wenn es Sanktionsmöglichkeiten gäbe, hätten freiwillige Absprachen auch einen nachhaltigen Bestand. Kontrollieren soll dies nicht das Ministerium, sondern der Handel habe die Verantwortung, auf deren Einhaltung zu achten.

Sehr deutlich die Aussage zu "kurativen Eingriffen". Diese hätten zum einen ein "hohes Skandalisierungspotenzial" beim Verbraucher. Das Kupieren der Schwänze bei Schweinen müsse enden. Offen ließ Lindemann allerdings den zeitlichen Rahmen. In ersten Schritten sollen auf Referenzbetrieben Management und Equipment erforscht werden. Auch sollen auf jedem Betrieb fünf Prozent der Tiere die Schwänze behalten, damit Erfahrungen gesammelt werden könnten. Etwas provokativer, direkter formulierte Professor Grethe die Notwendigkeit der intakten Ringelschwänze: "Es geht uns nicht ums Schwänzekupieren, sondern um einen Indikator für den Zustand des Tieres und ob es ihm gut gegangen ist während der Mast. Tiere mit gesundem Schwanz bedeuten gute Haltung und viel Tierwohl."

Was bei beiden fehlt, ist der Rückgriff auf über 20 Jahre Erfahrung in Neuland- und Biobetrieben. Haltung auf Stroh und intakte Ringelschwänze sind hier vorgeschrieben. Dass dieses Wissen nicht genutzt wird, ist sehr zu bedauern. Auch vor dem Hintergrund, dass mit dem Deutschen Tierschutzbund einer der Trägerverbände des Neuland-Programms Mitglied im Kompetenzkreis Tierschutz ist.

Dem immer wieder vorgebrachten Argument, nationale Alleingänge führten zu Marktverzerrungen zu Lasten der einheimischen Produzenten, weil aufgrund höherer Auflagen und steigender Produktkosten einheimische Ware durch billige mit geringerem Tierschutzstandard aus dem Ausland ersetzt würde, setzt Lindemann entgegen, es gäbe eine Aussicht auf eine Lösung innerhalb der Regeln der Welthandelsorganisation. So sei es denkbar, dass Fleisch und Tiere aus Ländern, die unter Umgehung der in der EU geltenden Tierschutznormen produzieren, zurückgewiesen würden.

Lange Übergangszeit

Sowohl der Kompetenzkreis als auch das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats gehen von langen Übergangszeiten aus. Damit diese aber nicht ins Unendliche reichen, bedarf es jetzt klarer Vorgaben der Rahmenbedingungen. Diese müssten eigentlich von der Politik und damit vom Bundeslandwirtschaftsminister vorgegeben werden. Doch bisher hat Bundesminister Schmidt wenig Konkretes vorzuweisen. Er hat viele Runde Tische und Möglichkeiten zum Austausch der Beteiligten und Betroffenen geschaffen, hat wissenschaftliche Gutachten vorliegen und die Ergebnisse eigener Kompetenzkreise. Er nimmt die Stimmen der Bevölkerung wahr, die jedes Jahr an seinem Dienstsitz vorbeiziehen und eine artgerechte Tierhaltung in bäuerlichen Strukturen fordern. Ein erster vorsichtiger Schritt könnte die für Januar angekündigte Einführung eines dreistufigen staatlichen Tierschutzlabels sein. Für eine Branche, in der viele Betriebe vor der Entscheidung stehen, sich entweder weiter in Richtung industrielle Produktion zu entwickeln oder aufzugeben, ist dies als Signal für eine Richtungsänderung zu wenig. Wenn aktuell immer noch Schweineställe geplant, genehmigt und gebaut werden, die weder eine Möglichkeit für Auslauf besitzen noch die schon jetzt bekannten Anforderungen für eine Haltung der Tiere ohne die Notwendigkeit kupierter Schwänze erfüllen können, scheint das unverständlich, erklärt sich aber aus dem Selbstverständnis der Branche. In den Augen der Verbandsfunktionäre des Deutschen Bauernverbands bleibt die Tierhaltung, wie sie aktuell praktiziert wird, eine artgerechte, ökonomisch sinnvolle Art der Lebensmittelproduktion. Dass die Gesellschaft sich mit den Produktionsbedingungen so gar nicht anfreunden will, wird deren verklärten Kinderbuchvorstellungen vom Bauernhofidyll zugeschrieben. Bisher mussten die Landwirte nicht wirklich befürchten, dass ihnen dies zum Verhängnis wird. Schließlich durchläuft ihr Produkt auf dem Weg vom Maststall bis zur Fleischtheke einen Anonymisierungsprozess, der es dem Verbraucher in der Metzgerei durchaus wieder erlaubt, an bäuerliche Produktionsbedingungen in ländlicher Umgebung zu denken. Nicht zuletzt die Werbung missbraucht dies immer wieder mit einschlägigen Namensgebungen, Etiketten und Werbesprüchen.

Baugesetz / Privilegierung

Den Befürwortern dieser Entwicklungen hin zu immer größeren Einheiten in der konventionellen Landwirtschaft dürfte das zurückhaltende Nichtstun des Bundesministers entgegenkommen. Ganz im Gegensatz zu den immer neuen Entwürfen und Gesetzesvorschlägen aus dem Bauministerium von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. Ab einer Größe von 1.500 Schweinen, 600 Rindern oder 30.000 Stück Geflügel soll nach ihren Vorstellungen zukünftig ein Bebauungsplan der Gemeinde Voraussetzung für Stallneubauten sein. Eine Größenordnung, die im Übrigen auch so mancher ökologische Betrieb erreichen könnte. Der Bebauungsplan der Gemeinde würde damit die bisherige Privilegierung ablösen und könnte über Ort und Größe der Neubauten mitentscheiden. Ziel ist es laut Hendricks, mehr Bürgerbeteiligung zu schaffen: "Die Mehrzahl der Bürger ist der Ansicht, dass die konventionelle Landwirtschaft so wie bisher nicht zukunftsfähig ist."

Steuerungsinstrumente vorhanden

Die Reaktionen des DBV sind eindeutig ablehnend gegenüber nahezu jeder Form der Neuausrichtung. Das ist aber auch nicht anders zu erwarten. Die Heftigkeit allerdings, mit der der Verband versucht, die Diskussion um höhere Umwelt- und Tierschutzstandards und eine Produktion im Sinne der Verbraucher zu beenden, sind ein Indiz dafür, als wie bedrohlich die Entwicklungen wahrgenommen werden. Damit wird aber auch deutlich, dass die vorgeschlagenen Instrumente, von der Qualifizierung der Direktzahlungen über ein geändertes Planungsrecht bis zum Verbot Schwänze zu kupieren, ein Ansatz sind, der schon jetzt allen Beteiligten deutlich macht, dass sie sich im Falle der Einführung deutlich werden bewegen müssen.


KASTEN
Nicht nur Haltung

Zwei neue Studien zur ökologischen Tierhaltung kommen zu interessanten Ergebnissen. Die Universität in Kassel untersuchte die Gesundheit von Milchkühen in 200 Betrieben in Deutschland, Frankreich, Spanien und Schweden. Der Fokus lag auf Eutererkrankungen und Lahmheiten und die ernüchternde Erkenntnis ist, dass in der Gesamtheit die gesundheitliche Situation von Biokühen nicht besser ist als von konventionell gehaltenen. Resumee von Studienleiter Albert Sundrum: "In einem (Wirtschafts-)System, das nur Kostenführerschaft belohnt, sollte Tiergesundheit nicht allein der Selbsteinschätzung einzelner Landwirte überlassen bleiben."

Zu gegenteiligen Ergebnissen kamen Wissenschaftler des Thünen-Instituts (TI) für Ökologischen Landbau in Trenthorst in Bezug auf die Gesundheit von Biosauen. Sie untersuchten mehr als 1.000 tragende und nicht tragende Sauen auf 40 Biobetrieben. Entsprechend der EU-Ökoverordnung werden die Tiere in Gruppen gehalten, haben eine eingestreute Liegefläche und den vorgeschriebenen Auslauf. Im Schnitt lag der Anteil klinisch lahmer Sauen auf den Ökobetrieben laut der Studie unter 7 %, während in konventioneller Haltung durchschnittlich mehr als 20 % der Tiere lahmen. Das Ergebnis zeige, so die Forscher, dass das ökologische Haltungssystem grundsätzlich Vorteile für das Tierwohl biete. Auffällig ist, ist das beide Studien die individuelle Komponennte des Betriebsmangements betonen, die große Unterschiede im Gesundheitszustand der Tiere trotz ähnlicher Haltungsbedingungen auf den Betrieben bedeuten. Zur Kassler Kuh-Studie heißt es: "Bemerkenswert sind die enormen Unterschiede zwischen den Betrieben. Sie lassen sich weder durch regionale Gegebenheiten noch durch die Betriebsgröße erklären. Vielmehr sind Erkrankungsraten zuallererst das Ergebnis einer suboptimalen Betriebsführung." Die schleswig-holsteiner Schweine-Forscher "weisen jedoch darauf hin, dass auch die Qualität des Managements einen wichtigen Faktor darstellt. (...) Eine ausreichende Sensibilisierung der Betreuungspersonen ist deshalb wichtig."
Claudia Schievelbein

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 404 - November 2016, S. 13 - 14
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2017

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