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LANDWIRTSCHAFT/1709: Spitzer Bleistift ist grün (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 407 - Februar 2017
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Spitzer Bleistift in grün
Der Ökolandbau in konventionellen Zwängen

von Claudia Schievelbein


Wachstum und Größe sind überall. Es ist die Zeit der Resümees hinsichtlich des vergangenen Jahres und diesmal wuchs nicht nur der Bioverbrauchermarkt, sondern auch der Ökolandbau in Deutschland hinsichtlich Betrieben und Fläche. Positive Signale nach Jahren verhaltenen Wachstums, fast Stagnation zu Beginn der Dekade und mühsamer Erholung auf niedrigerem Niveau danach. Mit 6 % ökologisch bewirtschafteter Fläche in Deutschland scheinen die 20 %, die Renate Künast als Landwirtschaftsministerin vor 15 Jahren wollte, heute noch genauso fern wie damals. Allerdings boomte seit der Zeit Bio beim Endkunden, zweistellige Wachstumsraten waren keine Seltenheit, alle großen konventionellen Player des Lebensmittelhandels stiegen ein, Biosupermarktketten entwickelten sich, der klassische Naturkosthandel geriet zunehmend unter Druck. Es ist eine Frage des Preises, die Entwicklungen im Handel wie auch die auf dem Acker. Aber nicht, weil die Preise für Ökologisch erzeugte Produkte letztes Jahr gestiegen sind verzeichnen die Ökoanbauverbände "Rekordzuwächse" (Bioland). Es sind die katastrophal abgesackten konventionellen Preise, die besonders im Milch- und Schweinebereich landwirtschaftliche Betriebe, wenn sie nicht aufgeben, auf die Suche nach besseren Vermarktungsmöglichkeiten für ihre Produkte gehen lassen. Und da sind die im Ökolandbau, wenn auch nicht mehr auf ganz hohem Niveau, so doch derzeit einigermaßen stabilen Preise ein wichtiger Anreiz.

Konventionalisierung

Aber längst hat auch im Ökolandbau das Diktat des spitzen Bleistifts Fruchtfolgen verschlankt, Ställe vergrößert, Stückkosten optimiert. Schon seit einigen Jahren bestimmt Aldi die Preise für Ökokartoffeln. Seit neuestem bestimmt der konventionelle Lebensmittelhandel im Bundesverband ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) mit. Über all diese Entwicklungen hat es immer mal wieder Diskussionen gegeben, Änderungen an der Konventionalisierung des Ökolandbaus und des Marktes kaum. Oft standen sie innerhalb des Bioland-Verbandes als dem größten Anbauverband mit vielen "Überzeugungstätern" auf der Tagesordnung von Mitgliederversammlungen. Aktuelles Beispiel ist die Verbandsaufnahme eines thüringischen Betriebs an der tschechischen Grenze mit 4.000 ha Land und 1.200 Milchkühen. Der Betrieb wurde gekauft vom größten deutschen Naturkostgroßhändler und Biosupermarktbetreiber, dem dennree-Inhaber Thomas Greim. Einem Öko der ersten Stunde, der vor vierzig Jahren als junger Mann Milchprodukte von Demeter-Betrieben an städtische Umweltbewegte vermarktet hat. Greim will die ehemalige landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft zu einem Bioverbandsbetrieb nach strengsten Standards machen. Bioland diskutierte, ob man den Aufnahmeantrag des Betriebs nur ob der schieren Größe ablehnen könne und entschied sich dagegen. Zum Teil ist die Basis wütend, entrüstet, aber auch unsicher und hilflos. Der Pragmatismus der Funktionäre: Wenn wir ihn nicht nehmen, nimmt ihn ein anderer, spiegelt die Sorge davor wieder, als Verband, als Interessenvertretung in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.

Gutes Geld?

Ein Agrarindustrieller wie Heinrich Tiemann, der Hühnerbaron aus dem Südoldenburgischen, der Bioeier als Mitnahmegeschäft macht und ein Unternehmen als undurchschaubares Geflecht mit ungezählten potentiellen Richtlinienschlupflöchern und Stolperfallen dastehen hat, mischt nur den Markt auf. Ein Ökoakteur wie Thomas Greim, der um Transparenz und Zusammenarbeit bemüht ist, mischt auch den Markt, aber mindestens ebenso sehr die Gemüter auf. Eigentlich ist auch er ein außerlandwirtschaftlicher Investor, der mit Geld - ironischerweise durch Biohandel, 2015 820 Mio. Umsatz - Investitionen in Landwirtschaft tätigen kann, die Bauern heutzutage oft unmöglich sind. In diesem Fall sind es Investitionen, die im besten Fall Boden, Tiere und Menschen in der Region schützen und ihnen nützen. Im schlechtesten Fall sind es Investitionen, die 100 Betrieben mit 120 Kühen oder 200 Betrieben mit 60 Kühen den Zugang zum Verbandswaren-Biomilchmarkt erschweren oder verhindern, wenn die erwarteten Verkaufssteigerungen nicht wie prognostiziert in den nächsten Jahren eintreten. Oder die Investitionen, die Rohwarenpreise für Ackerfrüchte weiter drücken, nicht weil es in Deutschland beispielsweise ein Überangebot an Biogetreide gäbe, sondern weil Bioverarbeiter oder vielmehr noch konventionelle Verarbeiter mit Bioschiene auch bei Verbandsware eben dann doch oft die große, einheitliche und vor allem billigere Partie aus Osteuropa als Standard veranschlagen. Kurz vor der tschechischen Grenze ist ein Großbetrieb Diskussionsthema. Aber was ist mit immer wieder auftauchenden Geschichten darüber, dass deutsche Biovermarkter hinter den Grenzen, in Rumänien, im Baltikum, Betriebe mit dem Versprechen unkomplizierter Zertifizierung und garantierten Absatzes auf dem deutschen Biomarkt für eine Umstellung gewinnen? Oder den vertraglichen Abnahmeangeboten von Verarbeitern an Bauern für Getreide, aber nur oberhalb einer gewissen Hektargrenze? Den Staffelpreisen innerhalb von Erzeugergemeinschaften und Verbänden, die Kostendegression durch größenbedingte Rationalisierungseffekte noch belohnen, statt sie gegenüber kleineren Mitgliedern auszugleichen?

Geht was?

Alle Entwicklungen passierten auch so, weil das existierende Wirtschaftssystem nicht angezweifelt werde, sagt Christian Schüler, lange Jahre Mitarbeiter am Lehrstuhl für ökologische Landwirtschaft an der Universität Kassel in Witzenhausen. Die Intensität der Produktion, 10.000 Liter-Kühe - Bauern und Bäuerinnen könnten und sollten durchaus diskutieren, wie weit sich der Ökolandbau von den einstigen Idealen entfernt habe. Haben müsse, weil er sich nicht aus den Klauen eines auf wirtschaftlicher Leistung basierenden Systems befreien konnte oder wollte. Fragen nach dem Stellenwert von Regionalität und Transparenz, wie der Verbraucher sie einfordert, sind zu beantworten. Größe ist auch im Ökolandbau ein Thema für Verbraucher und sie ist es nicht zu Unrecht. Mit dem Wachstum der Betriebe gehen aus ökonomischen Gründen größere Schläge einher. Größere Schlaggrößen verringern agrarökologische Randeffekte, größere Maschinen führen zu höheren Bodenbelastungen. Hühnerfreilandhaltung sorgt in Stallnähe für erhebliche N-Belastungen, Weidegang für Kühe ist ab einer bestimmten Herdengröße nicht mehr zu realisieren. All das spricht für kleinere Einheiten neben dem Argument des Erhalts vieler bäuerlicher Existenzen im ländlichen Raum. Niedrige Produktpreise und hohe Bodenpreise sprechen für große Einheiten, wenige Arbeitskräfte, wenige Bauern und Bäuerinnen - Bio wie konventionell. Dagegen wirken können politische Maßnahmen, EU-Geld für erste Hektare, ökologische Leistungen. Dagegen wirken kann auch eine Debatte unter Bio-Bauern und -Bäuerinnen, wie sie weitermachen wollen. Man muss sie allerdings führen wollen.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 407 - Februar 2017, S. 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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(verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2017

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