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LANDWIRTSCHAFT/1750: Ein gesellschaftlicher Konsens für die Landwirtschaft? (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 418 - Februar 2018
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Ein gesellschaftlicher Konsens für die Landwirtschaft?
Das Bundesumweltministerium versuchte einen Anfang zu machen

von Claudia Schievelbein


Gleich am Anfang machte sie ihren Anspruch auf Zuständigkeit klar. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) wandte sich auf der Pressekonferenz vor dem von ihr im Vorfeld der Grünen Woche veranstalteten Agrarkongress gegen die geäußerte Kritik, sie wildere thematisch in fremden Revieren. Sie wolle klar stellen, so Hendricks, dass sie gar nicht darum herum komme, sich mit Landwirtschaft zu befassen, kämen doch 50 % der Umweltbelastungen aus dem Agrarbereich. Zwar wolle sie auch betonen, dass die Landwirtschaft nicht an allem schuld sei, aber schließlich seien die durch sie entstandenen Belastungen nicht weniger, sondern mehr geworden. Das Insektensterben beeinträchtige eine funktionale Kette im Naturhaushalt, die kein "Blümchenthema" sei. Hendricks' Ansicht nach müsse das Ergebnis der Sondierungsgespräche mit der CDU/CSU ein Glyphosatausstieg innerhalb der Legislaturperiode sein, außerdem sei ein Paradigmenwechsel in Sachen Pestizide erforderlich. Diesen "echten Neuanfang" soll es, geht es nach der noch amtierenden Bundesumweltministerin, nur mit allen Beteiligten in einem Konsens - ähnlich dem Atomkonsens - geben. Die Zeit sei reif - auch in der Landwirtschaft würden die Probleme anerkannt, so Hendricks' Einschätzung. Sie sei viel auf Bauernhöfen gewesen in den letzten Monaten: "Niemand, mit dem ich dort gesprochen habe, ist wirklich zufrieden gewesen: schlechte Preise, gesellschaftliche Ansprüche, überbordende Bürokratie." Sie wolle - wie auch, wenn auch aus ihrer Sicht noch zu zaghaft, Agrarkommissar Phil Hogan - die Agrarzahlungen ändern. Diese "müssen der Öffentlichkeit, allen, zugutekommen und zwar nicht in Form von billigen Lebensmitteln, sondern in Form von Artenvielfalt, Klimaschutz und dem Erhalt der natürlichen Ressourcen allgemein". Hendricks benennt konkrete Herausforderungen, bedauert, dass sie sich nicht mit einem strengeren Baurecht durchgesetzt habe, sieht trotz Düngeverordnung die immer noch zu hohen Nährstoffeinträge, kritisiert, dass in der Nutztierhaltungsstrategie des Bundeslandwirtschaftsministeriums die Umwelt nicht enthalten sei, macht sich für GAP-Gelder stark, die artenreiche Landschaften, sauberes Trinkwasser und saubere Luft unterstützen. Bauern und Bäuerinnen bräuchten faire Preise für hochwertige Lebensmittel, anstatt die billigsten Anbieter für Märkte in China sein zu müssen.

Welt bäuerlich

Wir wüssten, dass Landwirtschaft Naturkapital verbrauche, es sei unbestritten, dass es ein "Weiter so" nicht geben könne, konstatiert auch Alexander Müller vom ThinkTank for Sustainability und ehemaliger Staatssekretär der ehemaligen grünen Landwirtschaftsministerin Renate Künast. Es gehe nun darum, Wege zu einem Gesellschaftsvertrag für eine zukunftsfähige Landwirtschaft aufzuzeigen. Letzteres ist auch der Titel des Agrarkongresses des Bundesumweltministeriums, der den Auftakt eines solchen Prozesses unter Mitnahme aller Beteiligten markieren und sich an den auch im internationalen Kontext unterschriebenen Klima- und Nachhaltigkeitszielen orientieren soll. Das gehe weit über die Landwirtschaft hinaus, so Müller, und sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, was gleichzeitig den großen Unterschied zu vergangenen Agrarkonzepten darstelle. Das System billiger Lebensmittel sei unglaublich teuer, so Alexander Müller. Er zog den Bogen noch weiter von den Umweltwirkungen über die Gesundheitsfolgen einer ungesunden Ernährung mit belasteten oder stark verarbeiteten Lebensmitteln bis hin zur Struktur und Stabilität im ländlichen Raum. "Weltweit haben 1,3 Mrd. Menschen einen Arbeitsplatz in der Landwirtschaft, in der Automobilindustrie als nächstgrößter Arbeitgeber arbeiten 25 Mio. Menschen. Wie viele Autofabriken sollen wir bauen, wenn wir nur 500 Mio. Bauern und Bäuerinnen den Arbeitsplatz nehmen?"

Mit in jenem Think Tank for Sustainability schwimmt auch Klaus Töpfer, als ehemaliger Bundesumweltminister und ehemaliger UN-Umweltdirektor ein bisschen der Doktorvater einer Idee von umweltverträglicher Landwirtschaft in der Mitte der gesellschaftlichen Debatte. Auch er erweitert den allzu oft nur deutschen oder maximal europäischen Fokus auf das Thema um die Weltsicht. In Deutschland mit seiner alternden Gesellschaft und sinkenden Beschäftigungszahlen in der Landwirtschaft (derzeit ein Prozent der Bevölkerung) hängen an einem hier hochtechnisierten Arbeitsplatz inzwischen 500.000 Euro Kapitaleinsatz. In Afrika hingegen, so Töpfer, gebe es eine junge Bevölkerung, die im Durchschnitt knapp über 20 Jahre alt ist und von denen ungleich mehr - rund 60 Prozent - in einer kaum technisierten Landwirtschaft arbeiten. Exportierten wir unser System einer inzwischen in großen Teilen industrialisierten Landwirtschaft dorthin - ein Plan, dessen Welterfolg oft suggeriert werde - so schafften wir damit extreme Probleme, die viele der Betroffenen versuchen würden, durch Migration zu lösen.

Alle zusammen

Neben theoretischen Ausführungen zu der Historie und den Merkmalen eines Gesellschaftsvertrages von Peter Feindt, Agrarpolitikprofessor an der Berliner Humboldt-Uni, schaffte es Moderatorin Tania Busse erfolgreich, bei verschiedenen Akteuren kurze Statements zu ihren Ansprüchen und ihren Beiträgen zu einem möglichen Gesellschaftsvertrag abzufragen. Während sich Bauernverbandsvertreter Steffen Pingen vor allem auf das Wie des "respektvollen Umgangs" und auf das, was alles nicht sein dürfe, beschränkte, forderte Ursula Hudson von Slow Food eine Stärkung des Handwerks, welches oft aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen gute Lebensmittel mache. Felix Prinz Löwenstein vom BÖLW betonte die Notwendigkeit stabilerer Agrarsysteme wie den Ökolandbau, Jörg Nitzsch vom BUND die flächengebundene Tierhaltung. Der Arzt Peter Timmermann legte seinen Fokus auf die ungesunden Auswirkungen westlicher Ernährungsgewohnheiten mit weitestgehend verarbeiteten Nahrungsmitteln und DLG-Vorstand Hubertus Paetow warb für die Nachhaltigkeitsbewertung der DLG. AbLerin Lena Jacobi forderte die Unterstützung gerade junger Bäuerinnen und Bauern und EU-Subventionen, die nicht die Fläche, sondern die bäuerliche Bewirtschaftung fördern.

Der Vertreter des Wasserverbandes in Peine, Olaf Schröder, betonte, wie massiv das Grundwasser unter Druck sei. Man sei nur mehr Reparaturbetrieb einer verfehlten Politik. Er wies den Stoßseufzer des Wir-machen-euch-satt-Bloggers Bernhard Barkmann, dass zum Glück Niedersachsens Exminister Meyer sich nicht mit einer noch strengeren Düngeverordnung durchgesetzt habe, mit einer gewissen Schärfe und dem Hinweis darauf zurück, dass die Verordnung aus seiner Sicht noch viel strenger hätte sein müssen. So sei eben immer noch zu viel Gülle im System, so Schröder, "die wir nicht wollen und die sie nicht unterbringen". Plötzlich wird deutlich, dass bei aller gegenseitigen Versicherung von Dialog- und Bewegungsbereitschaft diese in konkreten Problemstellungen endlich sein kann. SPD-Europapolitikerin Maria Noichl beklagte auch im Großen, dass die bestimmenden Kräfte im Agrarbereich in Europa noch viel zu sehr darauf bedacht seien, die alten Klientel und Interessen zu stärken. Subventionen könnten zudem kein Marktversagen auffangen, so Noichl, es brauche faire Preise für die Bauern und Bäuerinnen.

Wohin

Wie nun den von allen angemahnten notwendigen Prozess konkretisieren und organisieren? Maria Flachsbarth (CDU), Staatsekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium, insistiert, das Thema gehöre in die Mitte der Gesellschaft und damit ins Parlament. Sie will eine Enquetekommission und fängt sich sofort eine Watsche von Schleswig-Holsteins grünem Landwirtschaftsminister Robert Habeck ein: "Immer, wenn ich keine Lust habe, mache ich eine Enquetekommission." Noch in Gedanken in Jamaika, sagt er: "Wir waren doch schon weiter, wir hatten schon einen halben Gesellschaftsvertrag aus Ökologie und Tradition durchgesetzt." Man müsse sich im Klaren sein, dass es dabei auch Verlierer gebe, nämlich die industrielle Landwirtschaft, "aus meiner Sicht zu Recht". Er sieht kein Erkenntnisproblem, sondern ein Problem der Politik, die nicht handele. Selbst das Grübeln der konventionellen landwirtschaftlichen Verbände sei doch mit Händen zu greifen, die Suche nach Möglichkeiten, finanziell etwas anders zu machen. Hier müsse konkret von der Politik Unterstützung gewährt werden, über die verpflichtende Haltungskennzeichnung, über finanzielle Förderprogramme. "Es muss ein attraktives Marktsegment sein", so Habeck, "die Kuh auf die Weide zu stellen."

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 418 - Februar 2018, S. 11 - 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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(verbilligt auf Antrag 32,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2018

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