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MARKT/1739: "Marktgestaltung statt Marktgläubigkeit oder Marktvereinnahmung" (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 326 - Oktober 2009
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Wissenschaftler appellieren:

"Marktgestaltung statt Marktgläubigkeit oder Marktvereinnahmung"


Als Reaktion auf die jüngsten Entwicklungen auf den Märkten und hier insbesondere auf den Agrarmärkten rufen über 50 Wissenschaftler mittels einer Resolution zu einer zukünftig verantwortungsvolleren Marktgestaltung auf. Die aktuelle Weltwirtschaftskrise wurde durch Spekulationen der Investmentbanken ausgelöst. In ihrer Dimension und Wirkmächtigkeit wurde sie aber erst möglich durch die Marktgläubigkeit der Wissenschaft und der Politik sowie durch die Tendenz, im Namen der Marktfreiheit ungleiche Freiheiten für die Marktteilnehmer zu erzeugen.

In Statements von Agrarökonomen dazu wird behauptet, "die Milchbranche" sei "im freien Markt angekommen". Zur Milchbranche gehören die Milchbauern. Diese befanden und befinden sich nach wie vor in einem massiven Abhängigkeitsverhältnis. Sie bekommen einen Milchpreis einseitig und rückwirkend von den Molkereien überlassen. Vom "freien Markt" kann daher keine Rede sein. Die Modellvorstellung von polypolistischen Anbieterstrukturen, die auf eine große Zahl von Nachfragern treffen, hat nichts mit der Praxis gemein. Im Milchsektor liegen stufenförmig angelegte Strukturen vor. Die dort Beteiligten divergieren in Bezug auf ihre Anzahl und ihre Umsatzstärke enorm: Ca. 100.000 Milchbauern stehen ca. 100 Molkereien und diesen wiederum wenige Handelsketten gegenüber. Die Milchbauern sind in dieser Struktur abhängige Rohstofflieferanten.


Die Unterzeichner fordern daher:

- eine verantwortungsvolle realitätsnahe Marktgestaltung, durch die die Wiederaufstellung der Landwirte als gleichwertige Marktteilnehmer möglich wird,

- die Aufgabe der statischen Vorstellung vom Markt als Preisfindungsmechanismus, die mit der Auffassung einhergeht, sich in die Preisenstehung nicht "einzumischen" - Märkte sind dynamisch und daher ständig zu regeln,

- die Bevorzugung starker Marktteilnehmer, realisiert durch das einseitige Setzen auf eine economie of scales (Quantität) ohne das Pendant einer Ökonomie der Kreierung von Neuem (Qualität), wodurch Oligopole immer weiter gefördert werden,

- das Beenden der Bevorzugung immer erfolgreicherer einzelbetrieblicher Effizienz bei gleichzeitigem Abwälzen der Folgekosten auf die gesamte Gesellschaft,

- das weitere Vorantreiben der derzeitigen Form des Welthandels mit Agrarprodukten unter Berufung auf das Modell der komparativen Kostenvorteile, wofür in der Praxis die Voraussetzungen fehlen und wodurch es zum ungleichen Handel zugunsten der Industrieländer kommt mit den unverantwortlichen Folgen der Zerstörung der Subsistenzstruktur in diesen Ländern. 70 Prozent aller Hungernden der Welt sind Kleinbauernfamilien und Landarbeiter!

Verantwortungsvolle Marktgestaltung bedeutet nicht "mehr Freiheit des Marktes", sondern "mehr Freiheit ALLEN Matktteilnehmern." Die Unterzeichner appellieren an alle, die immer wiederkehrenden Statements von der "Freiheit der Märkte" kritisch zu hinterfragen. Dies ist der erste Schritt zur Beendigung der "Regelung der Märkte im Namen der Nichtregelung".
pm


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 326 - Oktober 2009, S. 5
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2009