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MARKT/1747: Bio hat mehr zu verlieren als Marktanteile (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 326 - Oktober 2009
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Bio hat mehr zu verlieren als Marktanteile
Erstmals seit Jahren schwächelt das Ökogeschäft - besonders dort, wo es konventionell ist

Von Claudia Schievelbein


Das Aufkommen einer gewissen Katerstimmung lässt sich nicht verleugnen, wenn die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) erstmals seit Jahren Umsatzrückgänge im Biomarkt verkündet. Vier Prozent weniger als noch im vergangenen Jahr gaben die Menschen im ersten Halbjahr 2009 nach ihren Angaben für ökologisch erzeugte Produkte aus. Allerdings bezögen sich die Umsatzrückgänge fast ausschließlich auf den konventionellen Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und die Discounter, so die GfK. Die Bioszene wird denn auch nicht müde zu betonen, dass der Naturkostmarkt sogar im selben Zeitraum noch um 1,5 Prozent gewachsen ist, Menschen in unsicheren Zeiten vertrauensvolle Beratung im Fachgeschäft wollen und die Umsatzrückgänge im LEH sich mindestens teilweise mit Produktpreissenkungen und Auslistungen erklären lassen. Alles sicher nicht ganz falsch, aber auch nicht die volle Wahrheit, denn trotz der in den vergangenen Jahren entstandenen großen Diskrepanz zwischen heimischer Bioanbaufläche und den Absatzmöglichkeiten der Produkte, merken die Biobauern und Biobäuerinnen zunehmend den Druck auf die Erzeugerpreise. Die Getreide- und Kartoffelernte war gut, die Lager sind voll und besonders beim Getreide drängen die großen einheitlichen Partien mit guten Qualitäten aus den ehemaligen Ostblockländern zu Dumpingpreisen auf den Markt. Nicht wirklich mag man da an den Rückgewinn von Marktanteilen durch heimische Qualitäts-Rohstoffe glauben, den Bioland in einer Presseerklärung im August prognostizierte. Demgegenüber steht eine der letzten Aussagen der ZMP, die da lautete: "Getreidelieferungen aus verbandsfreiem Anbau werden aus Preisgründen häufig bevorzugt." Dabei sind die Preisniveaus mit 30 Euro für den Doppelzentner Kartoffeln oder 25 Euro für den Doppelzentner Weizen bald an der Grenze der Rentabilität angekommen. Hier spielt nicht zuletzt auch eine Rolle, dass die Bioerzeugerpreise in den letzten Jahren immer weniger eigene Preise und immer mehr konventionelle Hausnummern plus Bioaufschlag geworden sind. Und die konventionellen Preise befinden sich - von kleinen Erholungspausen abgesehen - in permanenter Talfahrt. Glücklich schätzen kann sich noch am ehesten der klassische Gemischtbetrieb, der zumindest mit seinen Schweinen gerade wieder einen Silberstreif am Horizont sieht.


Unübersichtliche Strukturen

Die viel beschworenen konventionellen Strukturen, die Einzug in den Ökolandbau gehalten haben, zeigen viele Gesichter. Preissenkungen im LEH haben natürlich auch Auswirkungen auf die Erzeugerpreise schließlich liegt der geschätzte Anteil des Absatzes von Bioprodukten über konventionelle Supermärkte und Discounter längst bei über 50 Prozent. Der Markt wird immer anonymer und unübersichtlicher, Preisbildung immer schwieriger nach zu vollziehen, die Bandagen härter. Karroffelgroßhändler haben schon Partien unter den von ihnen gezahlten Erzeugerpreisen weiterverkauft, um den Einstieg in größere Geschäfte zu schaffen und Preise künstlich nach unten zu drücken. Hinzu kommt, dass unübersichtliche Strukturen zum einen nicht nur Betrugspotenzial bieten, sondern erst für das entsprechende Klientel attraktiv werden. Negativschlagzeilen muss auch der Ökolandbau mittlerweile gar nicht mehr so selten aushalten, gerade erst geriet ein Großbetrieb mit Legehennen in Nordrhein-Westfalen ins Visier der Landeskontrollbehörden, weil angeblich Eier von konventionell auf bio umdeklariert und Hühner keinen ausreichenden Zugang zu ihren Auslaufflächen hatten. An diesen Stellen wird dann immer der Ruf nach mehr/besserer/anderer Kontrolle laut - die alleinseligmachende Lösung ist das nicht. Denn viel zu groß sind die Möglichkeiten gerade, je größer und unübersichtlicher die Strukturen sind, bei noch so häufigen Kontrollen nachhaltig Missstände zu beheben. Eine niedersächsische Kontrolleurin berichtet auch von einer gewissen Dickfelligkeit besonders bei Leitern von Großbetrieben, bei denen wirtschaftlich richtig etwas auf dem Spiel steht. Ein Betriebsleiter mit 25.000 Legehennen hatte es nicht nötig, den Stromdraht, der die Hennen an der Benutzung ihrer Auslauffläche hinderte, abzumontieren, bevor die angekündigte Kontrolle kam. Bei 2.000 Eiern mehr oder weniger pro Tag durch Verluste in der Auslauffläche kann man schon mal eine Abmahnung in Kauf nehmen und Besserung geloben. Für große Freilandhalter ist es attraktiver, auf Bioerzeugung umzustellen, weil die Biokontrolleure im Gegensatz zu den behördlichen Mitarbeitern meist angemeldet kommen. Überbelegungen werden als Schreibfehler deklariert. Ausläufe sind nur mal vorrübergehend zur Regenerierung der Grasnarbe geschlossen. Die niedersächsische Kontrolleurin sieht kaum Handhabe gegen. solche Geschichten, sie kauft ihre Bioeier nur noch da, wo sie deren Erzeugung direkt beobachten kann.


Sehnsucht nach Sicherheit

Jutta Jaksche vom Verbraucherzentralen-Bundesverband formulierte in der tageszeitung knapp: "Die Branche muss sich ändern, um ihren Ruf zu schützen." Noch ist das Vertrauen der Verbraucher in Bioprodukte groß, aber jeder Skandal lässt es bröckeln. Bisher waren es ausschließlich große Betriebe, meist mit konventionellen Investoren, die in Unübersichtlichkeit Schmuh machten. Die Frage, die sich die vielen Bio-Bauern/-Bäuerinnen stellen müssen, ist, ob sie sich das mühevoll über Jahre aufgebaute Vertrauen kaputtmachen lassen wollen von einigen Wenigen, die bei Bio den schnellen Euro wittern. In Zeiten von Krisen, so ein Trendforscher, geben die Leute mehr Geld für qualitativ hochwertige Produkte des täglichen Bedarfs aus. Wenn sie also schon nicht mehr dreimal im Jahr in Urlaub fahren, wollen sie wenigstens beim Eierkauf nicht noch übers Ohr gehauen werden, das sollte sich der Ökolandbau hinter das selbige schreiben.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 326 - Oktober 2009, S. 18
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2009