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MARKT/1832: Die Klimafolgen, die Getreidepreise und der Welthunger (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 336 - September 2010
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Die Klimafolgen, die Getreidepreise und der Welthunger
Kann es unseren Ackerbauern nur gut gehen auf Kosten anderer?

Von Eckehard Niemann


In den letzten zwei Monaten sind die Getreidepreise massiv gestiegen. B-Weizen wird mit 17 bis 19 Euro je Dezitonne und damit um ein Drittel höher als im Vorjahr notiert, Roggen und Futtergerste mit 15 Euro, ähnlich Mais, Futterweizen, Triticale und Braugerste. Die Ursachen: trockenheits- und katastrophenbedingte Ernteausfälle in den traditionellen Getreide-Exportländern Russland, Ukraine, Kasachstan, Kanada, Pakistan, Europa und evt. auch Australien. Um den sozialpolitisch wichtigen Brotpreis niedrig zu halten und die Futtergrundlage für den Aufbau der eigenen Tiererzeugung zu sichern, kündigten Russland und die Ukraine einen Exportstop an.


Erzeugerpreise und Betriebskosten

Nur begrenzte Freude über die gestiegenen Preise haben all jene, die nach der Julihitze und dem nassen August niedrigere Ernten und Qualitäten verzeichnen mussten. Besondere Probleme haben diejenigen, die vorab in Zeiten niedriger Getreidepreise Zukunfts-Kontrakte abgeschlossen hatten, die sie jetzt bedienen müssen - obwohl sie die geforderten Qualitäten nicht geerntet haben: Backfähiger Weizen ist knapp und wird derzeit in der Hoffnung auf weiter steigende Preise gelagert. Die Mühlen haben die Mehlpreise bereits angehoben, die Bäcker ihre Produkte ebenfalls (trotz Anteils der Getreidekosten am Brötchen von nur 0,5 Cent). Voraussichtlich werden auch Partien mit weniger als den üblichen Rohprotein-Gehalten und Fallzahlen als Backweizen oder Brotroggen vermarktet werden können. Auf der anderen Seite bleibt ungewiss, inwieweit die Preise für Futtergetreide mit ansteigen - angesichts der umfangreichen nicht backfähigen Partien. Derzeit erhöhen die Mischfutter-Hersteller die Preise, was die Spannen der Milchbauern, der Schweinehalter und der Geflügel-Vertragsmäster deutlich verringern dürfte. Angesichts eines schlechten Mais-Jahres und anwachsender Biogas-Anlagen wird das Futter auch hier knapp. Unter dem Eindruck steigender Getreidepreise kündigt sich eine weitere Fusionswelle innerhalb des Oligopols der sechs bis sieben Düngemittel-Hersteller an. Westliche und chinesische Bergbaukonzerne pokern um die Übernahme des weltgrößten Dünger-Produzenten Potash, um Mosaic (Cargill), Agrium und auch um K+S, auch bei den osteuropäischen Kaliproduzenten deutet sich eine Fusion an. Preiserhöhungen stehen auch bei Pflanzenschutz, Agrartechnik und Saatgut an.

Versagt hat die Marktberichterstattung, die noch Ende Juni ein Anhalten der ruinös niedrigen Getreidepreise prognostizierte. Viele vermuten, dass die statistisch ausgewiesenen Getreide-Lagerbestände nicht stimmten und dass die multinationale "ABCD-Gruppe" der Getreidehändler und -verarbeiter (ADM, Bunge, Gargui, Dreyfus) hier ihre Marktmacht ausspielt. Die Marktprognosen werden auch dadurch erschwert, dass die Finanzspekulation die marktbedingten Trends massiv nach oben (und vermutlich nach unten) verstärkt.


Marktprognosen und Spekulation

Spekulationen auf Spitzenpreise wie im Erntejahr 2007 dürften allerdings trügen: Damals gab es zwar auch Missernten (in Australien, Nordafrika und in der Ukraine) und Exportbeschränkungen (in Russland, Ukraine und Kasachstan). Auch damals suchten die krisenhaften Finanzmärkte neue Anlagebereiche bei Rohstoffen. Aber diesmal sind die Welt-Getreidevorräte nach zwei hohen Ernten höher, der damalige preistreibende Anstieg der Verarbeitung von Getreide zu Biosprit ist diesmal schwächer. Einen Teil der Ernteausfälle werden Lieferungen aus der hohen US-Ernte kompensieren. Unklar bleibt die weltweite Konjunkturbelebung und deren Einfluss auf die Nachfrage nach tierischen Produkten und Futtergetreide.

Die meisten Ernteschätzungen sehen die weltweite Getreide-Ernte noch oberhalb der magischen Grenze von 650 Mio. Tonnen (geschätzter Verbrauch: 665 Mio. t). Die Bereitschaft, Getreide oberhalb von 20 Euro/dt zu verkaufen und nicht spekulativ zu lagern, scheint diesmal stärker ausgeprägt. Empfehlungen lauten, die jetzige Preissituation zu nutzen und zwecks Risikoverteilung jetzt einen Teil des Getreides zu verkaufen. Immerhin wird bereits über eine weitere und vielleicht verstärkte Getreideknappheit im nächsten Erntejahr spekuliert: Offen ist, ob z.B. in Russland und Pakistan noch die Wintergetreide-Aussaat im September klappt.


Ausverkauf: Land-Grabbing

In welchem Ausmaß auch immer - steigende Getreidepreise gehen zu Lasten der 72 Länder, die zur Ernährung ihrer Bevölkerung auf Zukäufe angewiesen sind. Die verringerten und teuren Zukaufsmengen erhöhen den Hunger der Armen in den Städten. Eine Milliarde Menschen (ein Fünftel der Menschheit) ist schon jetzt unterernährt, die gestiegenen Nahrungsmittelpreise haben 200 Millionen Menschen seit 2008 in die Unterernährung zurück gestoßen, bei 175 Millionen Kindern bleiben Hungerschäden zurück.

Finanzfonds empfehlen ihren Anlegern, weiterhin auf einen Preisanstieg bei Getreide zu setzen. Sie spekulieren auf eine wachsende Weltbevölkerung, den Klimawandel, den zunehmenden Fleischverzehr in den Schwellenländern, auf die zunehmende Konkurrenz von "Biosprit-Tank und Teller" und auf die durch Misswirtschaft, Erosion, Trockenheit, Versalzung und Bebauung weiter abnehmenden Anbauflächen. Inwieweit mittelfristig steigende Erträge in Russland und die Selbstversorgung Chinas und Indiens diesen Trend schwächen, bleibt ungewiss.

Nicht nur die großen Agrarkonzerne versuchen unter dem Deckmantel der "Grünen Revolution", ihre Absätze und ihren Einfluss auf ganze Weltregionen weiter auszubauen. Aus Misstrauen in die Funktionsfähigkeit der Getreidemärkte, so der Journalist Wilfried Bommert in der ZEIT, versuchen zahlungskräftige Agrarimporteure, statt der Ernten lieber gleich die Anbauflächen selbst zu kaufen: China, Saudi-Arabien, Golf-Emirate, Südkorea, Libyen, Ägypten und Indien - mit riesigen Bodenkäufen in Laos, Kambodscha, Sudan, Äthiopien, Republik Kongo, Mosambik, Uganda und Senegal. "Off-Shore-Farming" oder auch "Land-Grabbing" nennt man diese "neue Form von Agrarkolonialismus, die Enteignung ganzer Landstriche und die Besetzung von nationalen Kornkammern". Bommert zeichnet das Bild von Hungernden, die militär-geschützte Transporte von solchem Export-Getreide durch ihre Dörfer fahren sehen.


Weltagrarbericht und Mengen

Es gehe den hiesigen Ackerbauern "eben immer nur dann gut, wenn es den Kollegen in anderen Ländern schlecht ergeht" - so Chefkommentator Bickert in den Mitteilungen der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft. Sind Missernten und Hunger anderswo die Bedingung für die Existenz der Landwirte hierzulande? Eine Strategie, die darauf zielt, die Hungernden der Welt abhängig zu halten von den Ernten, Exporten und Preisen einiger Exportländer, ist aussichtslos und zynisch. Der Weltagrarrat fordert zur Beseitigung des Hungers und der Klimafolgen eine Verringerung der ungeheuren Verluste innerhalb der Nahrungsketten, die Beendigung der wasser- und bodenvernichtenden Agrarindustrie-Bewirtschaftung, die Senkung der Produktion von Fleisch und Biosprit - und vor allem die regional angepasste Förderung von extensiven Anbaustrategien von Kleinbauern, deren Marktzugang und der Ernährungssouveränität der Länder. Die dazu passende hiesige Strategie könnte lauten: Stärkere Ausrichtung der Produktion auf den EU-Bedarf und die Sicherung besserer Erzeugerpreise durch mengenbegrenzende Strategien - z.B. durch eine Eiweißstrategie, die Importsoja ersetzt durch heimische Eiweißfrüchte.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 336 - September 2010, S. 10
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Januar 2011