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MARKT/2060: Die Märkte wachsen, die Produktion stagniert (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 377 - Mai 2014
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Die Märkte wachsen, die Produktion stagniert Trotz steigender Bionachfrage in Deutschland wächst der Flächenanteil nur noch marginal

von Marcus Nürnberger



In den Supermärkten, beim Discounter oder auf dem Wochenmarkt, biologisch erzeugte Produkte sind aus dem Lebensmittelangebot nicht mehr wegzudenken. Längst greifen nicht mehr nur der fundamentale Ökoaktivist oder die besorgte Mutter für ihr Kleinkind zu den Biomöhren. Biolebensmittel finden sich neben allen anderen in vielen Einkaufskörben. Dies spiegeln auch die Absatzzahlen. Um 7,2 Prozent steigerte sich der Umsatz im vergangenen Jahr. Das Paradoxe: In Deutschland wächst die ökologisch bewirtschaftete Fläche kaum. Gerade ein Prozent war es im vergangenen Jahr. Die Zahl der Öko-Betriebe stieg im gleichen Zeitraum um zwei Prozent. Dabei war die Ökolandbaufläche seit 1990 kontinuierlich, zeitweise sogar rapide gewachsen. Der Flächenanteil hatte sich in diesem Zeitraum mehr als verzwölffacht. Ende 2011 wurden über eine Mio. Hektar von 22.506 Betrieben ökologisch bewirtschaftet. Aber auch die Umstellung auf Ökolandbau befreit nicht von wirtschaftlichen Zwängen. Auch ökologische Betriebe sind vom kontinuierlichen Strukturwandel betroffen und müssen individuelle Lösungen finden. Das zeigen auch die Ergebnisse einer breit angelegten Studie des Thünen Instituts aus dem vergangenen Jahr. Die Wissenschaftler untersuchten speziell die Gründe von Betrieben, die aus der ökologischen Produktion ausschieden. Etwa die Hälfte der Betriebe, die nicht mehr ökologisch produzierten, wurde ganz aufgegeben. 415 Betriebe kehrten im Durchschnitt der Jahre 2003 bis 2010 zur konventionellen Landbewirtschaftung zurück. Die Hauptgründe, so die Wissenschaftler, sind die Anforderungen an die Dokumentation, die Kontrollen sowie die aufwendigere Beschaffung von Betriebs- und Futtermitteln. Vor allem extensiv wirtschaftenden Nebenerwerbsbetrieben ist dieser Aufwand bei gleichzeitiger Kürzung der Ökoprämien zu hoch. Für viele Betriebe, vor allem im Allgäu und der Schwarzwaldregion, aber auch in Bayern, sind auslaufende Ausnahmeregelungen, insbesondere die Anbindehaltung, Ausstiegskriterien. Ein dritter Faktor ist die Richtlinienverschärfung zu einer hundertprozentigen Biofütterung. Ein letzter hier aufgegriffener Aspekt ist die ökonomisch konkurrenzlos bessere Flächennutzung, beispielsweise durch den Anbau von Energiepflanzen für eine Biogasanlage. Die Untersuchung beschränkt sich in ihrer Betrachtung auf den Ausstieg aus der Ökolandwirtschaft. Nicht näher betrachtet wird die Motivation, die zum Einstieg in den Ökolandbau geführt hat. Allerdings zeigen die Wissenschaftler, dass Betriebsleiter, die vor 1989, also vor BSE, Künasts "20 Prozent Bio-Ziel" und dem ersten großen Pusch in der Öffentlichkeit, auf Ökologischen Landbau umstellten, deutlich seltener Rückumstellen. Auch bei Betrieben, die einem Anbauverband angehören sind die Rückumstellungsquoten geringer. Zu erklären sein könnte dies damit, dass es bei beiden Gruppen neben ökonomischen auch ökologische, soziale und kulturelle Gründe waren, die die Betriebe zum Ökolandbau geführt haben. Vor allem die MKS und BSE-Krise mit Beginn Ende 2000 führten in den folgenden Jahren zu einem sprunghaften Wachstum des Biomarktes mit Wachstumsschritten von bis zu 50 Prozent Umsatzplus im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel. Gestützt wurde diese Entwicklung durch den politischen Willen nach 20 Prozent Biolandbau innerhalb von zehn Jahren und einer massiven, mit 6,5 Mio. Euro geförderten Bewerbung des bis heute bekannten sechseckigen Biosiegels des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Der Boom holte die Ökolandwirte, wenn auch nur langsam, aus der Nische.


Konventionalisierung

Schon im kritischen Agrarbericht 2002 werden von Ditmar Gross, Ökobauer aus Nordhessen, erste strukturelle Veränderungen hin zu immer größeren Strukturen, anonymisierten Verbraucher-Kunden-Beziehungen und einer zunehmenden Rationalisierung auch im Biobereich beschrieben. Die ursprüngliche Idee des Ökolandbaus beschreibt Onno Poppinga dagegen als den Versuch, eine Einheit von wirtschaftlicher und kultureller Eigenständigkeit, von Prozess- und Produktqualität anzustreben. Teil der "Nische" sei auch eine enge Kooperation mit Handwerksbetrieben (Bäcker, Metzger), die Belieferung der Reformkost-, der Naturkostläden und der neu entstandenen Bio-Läden gewesen. "Die agrarpolitische Diskussion begleitete das mit dem Begriff Eigenständige Regionalentwicklung", so der emeritierte Professor des Fachgebiets Landnutzung in Kassel.


Globalisierung in der Ökotheke

Die gestiegene Nachfrage und sich erholende Preise Anfang des Jahrhunderts kamen schnell unter Druck. Vor allem die europaweite und inzwischen darüber hinausreichende Standardisierung durch die Europäische Kommission führte zu großen Mengen an Importware. Plötzlich kam der Weizen aus der Ukraine, Rumänien oder Australien. Die von den Bioverbänden organisierten Vermarktungsgesellschaften beteiligten sich nicht selten am Handel mit der günstigen Importware, zum Nachteil der eigenen Mitglieder. Die auch im Biosektor immer größeren Strukturen, rein am Profit interessierte Protagonisten, führten gerade in den vergangenen Jahren zu weitreichenden Betrugsfällen, die nicht mehr nur den Einzelbetrieb sondern auch das System Bio in Frage stellen.


Regional besser als Bio

Das von der konventionellen Landwirtschaft geprägte Denken in Kosten und Nutzen, Input und Output hat auch im Biosektor Einzug gehalten. Betriebe stellen sich nicht vielschichtig auf, sondern bevorzugen zunehmend die Spezialisierung mit immer weiterer Arbeitsteilung. Vorangetrieben werden diese Entwicklung und die dahinter stehende Denkweise nicht selten von den Beratern, den Verbänden und den Universitäten. Da wo Betriebsleiter als Pioniere einst nach betriebsindividuellen Lösungen suchten, greifen heute immer öfter Systeme von der Stange. Muss die Leistung, vor allem der Tiere, stimmen. Sollen große Mengen für einen anonymen Markt produziert werden. Die Sicht auf den landwirtschaftlichen Betrieb als Organismus in der Region, mit geschlossenen Kreisläufen geht immer mehr verloren. Die Verbraucher haben das längst verstanden. Neben Bio haben regionale Produkte kontinuierlich an Wertschätzung gewonnen. Sind kleine Handwerksbetriebe und Läden wieder gefragt. Ein Dilemma allerdings bleibt: Die Bereitschaft für Lebensmittel einen angemessenen Preis zu zahlen ist gering, politisch nicht gewollt und von den Bauern nicht nachhaltig zu beeinflussen.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 377 - Mai 2014, S. 14
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. August 2014