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MARKT/2255: Keine Auswahl für Milchbauern (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 420 - April 2018
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Keine Auswahl für Milchbauern
Die Insolvenz der Berliner Milcheinfuhr-Gesellschaft verschärft die Abhängigkeiten der Milchbauern

von Marcus Nürnberger


Es kam selbst für die über 1.000 Lieferanten überraschend und sozusagen über Nacht. Auch wenn vom Milchgeld für Februar nur ein geringer Teil ausgezahlt worden war, so hatte es dennoch seitens der Berliner Milcheinfuhr-Gesellschaft (B.M.G.) die Ankündigung gegeben, den gestundeten Betrag nachzuzahlen. Im März dann überschlugen sich die Ereignisse. Am 9. März meldete das Unternehmen Insolvenz an, kündigte jedoch gemeinsam mit dem Insolvenzverwalter an, die Milch weiter abzuholen. Aber schon vier Tage später kam das Signal, dass am nächsten Morgen keine Tankwagen mehr im Auftrag der B.M.G unterwegs sein würden. Die Banken hatten das Unternehmen offenbar nicht mehr weiter finanzieren wollen. Für die Betriebe ein Schock. Waren schon die ausbleibenden bzw. aufgeschobenen Milchgeldzahlungen eine betriebswirtschaftliche Herausforderung, kam jetzt noch die Suche nach neuen Abnehmern hinzu. Ganz unterschiedlich, so berichten Mitglieder aus den im ganzen Bundesgebiet, vor allem aber in Nord- und Ostdeutschland, beheimateten Milcherzeugergemeinschaften (MEG), wurde auf das Ende der Abholung reagiert. Manche MEGs haben sich demnach schnell aufgelöst, andere hingegen hat die Krise zur intensiveren Zusammenarbeit geführt. So berichtet Randy Aller von der MEG Rheinland-Pfalz/Saar, die "unter dem Dach der Bayern-MEG organisiert ist, von einem kollegialen Zusammenrücken. "Am Dienstagabend bekam ich Bescheid, dass die Spediteure keine Deckung mehr von der B.M.G hatten", so der Milchbauer aus Vielbach im Westerwald. Wer würde also am Folgetag die Milch abholen? "Wir haben dann direkt mit den Spediteuren telefoniert, die sofort bereit waren, auch ohne eine Deckung weiter für uns zu fahren." Die kommenden Wochen waren Stress pur, so Aller, denn die eingesammelte Milch musste ja auch verkauft werden. 60 Mio. kg pro Jahr sind in der MEG Rheinland-Pfalz/Saar gebündelt. Vermarktet wurde über den Spotmarkt zu 20 bis 24 Cent/kg. Abzüglich der aufgrund der Improvisation hohen Logistikkosten blieben davon voraussichtlich noch 16 bis 20 Cent. Jetzt sucht man nach langfristigen Lösungen.

Wohin mit der Milch

Bei vielen anderen MEGS oder auch einzelnen Betrieben dürfte es indes nicht so positiv weitergegangen sein. Offenbar sträubten sich viele Molkereien, die "freie" Milch abzuholen. Erst engagierte Gespräche mit verschiedenen Landespolitikern führten dann zum Einlenken der Molkereien. In der Presseerklärung des Bundeslandwirtschaftsministeriums sieht das dann so aus: "Nach B.M.G-Insolvenz: Klöckner und Holzenkamp vereinbaren Milchübernahmen". Für die Milchbauern sicher eine Erleichterung, verdeutlicht das aber auf der anderen Seite auch die Abhängigkeit der Lieferanten von den wenigen Molkereien. Es war eben nicht selbstverständlich, dass man eine Molkerei findet. Ganz unerwähnt bleiben die Lieferbedingungen. Gut möglich, dass hier besondere Konditionen ausgehandelt wurden. Auch die bei der B.M.G unter Vertrag stehenden Biomilcherzeuger haben Probleme, Abnehmer im Biobereich zu finden. Schon seit längerem nehmen die Biomolkereien keine neuen Lieferanten mehr auf, um den eigenen Markt nicht durch ein Überangebot kaputt zu machen. In der Vergangenheit war ein Großteil der Biomilch der BMG an die Gläserne Molkerei verkauft worden. Diese nutzt aber offenbar die Insolvenz des Vertragspartners, um auf dem Rücken der Bauern niedrigere Preise auszuhandeln und sich gleichzeitig von einem zu viel an Milch zu trennen.

Verantwortung

Das Scheitern der B.M.G sei ein "Ausdruck von Marktversagen" so Bauernbund-Vorstand Hans-Jürgen Paulsen. Es habe wohl auch betriebswirtschaftliche Fehler gegeben, "aber letzten Endes ist die B.M.G. gescheitert am unseligen Zusammenwirken von staatlicher Marktintervention und monopolartigen Strukturen in der Molkereiwirtschaft", so Paulsen. Ganz ähnlich argumentiert auch der Bundesverband deutscher Milchviehhalter (BDM) und fordert von der neuen Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, sich umgehend in Brüssel für die Erweiterung des Sicherheitsnetzes für den EU-Milchmarkt um zeitlich befristete Mengendisziplinmaßnahmen einzusetzen. Dies hatten im Übrigen auch die Länderagrarminister auf ihrem Treffen im September von der Bundesregierung gefordert.

Einzige Alternative

Für viele Betriebe bot die Lieferung an die B.M.G eine Möglichkeit, der Vorherrschaft einzelner Molkereiunternehmen in ihren Regionen zu entkommen. Die B.M.G hat dadurch die durch einen über Jahrzehnte voranschreitenden Konzentrationsprozess entstandenen regionalen Monopole einzelner Unternehmen aufgebrochen und den Lieferanten eine Wahlmöglichkeit eröffnet. Der BDM ging in seiner Analyse noch einen Schritt weiter und wollte schon vor dem Insolvenzantrag der B.M.G nicht ausschließen, dass "die aktuell angespannte Marktlage von der Molkereiwirtschaft genutzt wird, um an der B.M.G. ein Exempel zu statuieren".

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 420 - April 2018, S. 4
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2018

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