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MARKT/2257: Haltungskennzeichnung in aller Munde (UBS)



Unabhängige Bauernstimme, Nr. 420 - April 2018
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Haltungskennzeichnung in aller Munde
Um die Tierhaltung bei Fleisch am Markt erkennbar zu machen, kommt es auf deutliche Abstufungen an

von Christine Etienne

Es sind bewegte Zeiten, was die Nutztierhaltung und dabei insbesondere die Schweinehaltung angeht. Erstmals hat sich Anfang März überraschend auch der Deutsche Bauernverband (DBV) für eine verpflichtende Kennzeichnung von Tierhaltungsbedingungen bei Fleisch ausgesprochen. Verbandspräsident Joachim Rukwied skizzierte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa ein mehrstufiges Modell für die Schweinehaltung: Stufe 1 für gesetzlichen deutschen Standard; Stufe 2 für höhere Standards entsprechend der Brancheninitiative Tierwohl (ITW), zum Beispiel mehr Platz im Stall; Stufe 3 für Premiumniveau mit Auslauf ins Freie. Als neues Element der Klassifizierung schlägt der DBV eine Stufe 0 vor für alles, was nicht deutscher gesetzlicher Standard ist. Außerdem regte Rukwied eine ergänzende Herkunftskennzeichnung an: "D-D" entsprechend des deutschen Länderkürzels hieße dann, das Schwein wurde in Deutschland geboren und gemästet.

Lob und Kritik

Dieser grundsätzliche Vorstoß zur Differenzierung von Fleischprodukten wurde in Reaktionen aus Politik und Gesellschaft u.a. "begrüßt" (Nordrhein-Westfalens Agrarministerin Christina Schulze-Föcking, SPD-Bundestagsfraktion, Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv)), als "richtig" bewertet (Tierschutzorganisation ProVieh, Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft BÖLW), für "bemerkenswert" befunden (Agrarsprecher der Grünen-Bundestagsfraktion Friedrich Ostendorff) und bekam "Signalwirkung" zugeschrieben (Tierschutzorganisation Vier Pfoten). Gleichzeitig ernteten die konkreten Vorstellungen des DBV Kritik: Die von der Eierkennzeichnung abweichende Einstufung könne die Verbraucher unnötig verwirren, befand u.a. die SPD-Bundestagsfraktion. Sowohl Grüne als auch Tierschutzverbände und der BUND setzen sich für eine entsprechende Klassifizierung von Stufe 3, "gesetzlicher Mindeststandard", bis Stufe 0, "Bio", ein. Der BÖLW bezeichnet diese "vom Verbraucher gelernten" Stufen als einzig sinnvoll und pocht dabei vor allem darauf, Bio als "Premiumstufe und höchster gesetzlicher Standard der Tierhaltung" einzubeziehen. Hinter der vom DBV vorgeschlagenen Stufe 0 vermutet der vzbv "eine ganze Menge Protektionismus", den sie so nicht unterstützen wollten. Christoph Dahlmann, Neuland-Vermarkter in der Region West, sieht die neue Kategorie als den Versuch einer Abgrenzung nach unten, um den hiesigen gesetzlichen Standard zu stärken.

Inhaltliche Kriterien zählen

Für die weitere Diskussion werden die konkreten inhaltlichen Kriterien am bedeutendsten sein. So hat die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) in ihrem Positionspapier zum Umbau der Schweinehaltung substantielle, klare und nachvollziehbar voneinander abgrenzbare Standards für eine Fleischkennzeichnung gefordert. Auch Dahlmann betont: "Wir brauchen inhaltlich starke Stufen. Für uns Neuländer ist es wichtig, dass eine Premiumstufe unsere Standards, wie z.B. 100 Prozent mehr Platz, aufgreift und mit der Ferkelerzeugung im Zusammenhang steht - da geht es um den Ringelschwanz und darum, die Sauenhaltung aktiv mit einzubeziehen." Von einer Anhörung am 14. März im Landtag Nordrhein-Westfalens zum Thema Unterstützung des Umbaus der Schweinehaltung berichtet er: "Alle wichtigen Akteure der landwirtschaftlichen Berufsvertretung haben sich vor dem Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz für eine verpflichtende Haltungskennzeichnung ausgesprochen." Die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN), Westfälisch-Lippischer und Rheinischer Landwirtschaftsverband (WLV und RLV) und die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) plädierten auch für eine Herkunftskennzeichnung, um die heimischen Ferkelerzeuger zu stärken. Für den WLV, der das DBV-Modell unterstützt, erklärte Bernhard Schlindwein, stellvertretender Geschäftsführer des Verbandes, gegenüber der Unabhängigen Bauernstimme: "Es sind Vorschläge zu Beginn - was daraus wird oder was davon kommt, wird zu verhandeln sein. Wichtig ist: Wir haben uns grundsätzlich entschieden, dass wir eine Haltungskennzeichnung wollen." Der angekündigte Lidl-Kompass habe als Idee gedient, "aber wir wollen keine fünf Kompasse, sondern etwas Einheitliches." Bio sei in dem Modell nicht enthalten, weil es um Tierhaltungsstandards gehe, "nicht um den Prozess oder die Fütterung", so Schlindwein, "da kann ich die Kritik nicht nachvollziehen - die Ökobranche braucht eigentlich keine besondere Haltungskennzeichnung, denn sie hat ein eingeführtes Label, das die Haltung mit einschließt."

Politik und Erzeuger gefordert

Auch wenn es im Detail zur genauen Ausgestaltung einer möglichen Haltungskennzeichnung abweichende Vorstellungen gibt, besteht mittlerweile eine breite Zustimmung zu einem solchen Konzept. Für die im April anstehende Agrarministerkonferenz im nordrhein-westfälischen Münster hat die gastgebende Landesagrarministerin Schulze-Föcking angekündigt, die Diskussion darüber auf die Tagesordnung zu setzen. "In der Vielfalt der Ideen müssen wir sicherstellen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher den Durchblick behalten", so die Ministerin. Sie halte ein bundeseinheitliches System für die beste Lösung. Die neue Bundesregierung hinkt derweil mit ihrer Koalitionsvereinbarung zur Einführung eines freiwilligen, zweistufigen Tierwohllabels den Entwicklungen hinterher. In ihrer ersten Rede vor dem Bundestag ließ Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner Ende März noch keine Reaktion oder veränderte Pläne hinsichtlich einer verpflichtenden Kennzeichnung der Haltungsform erkennen. Fleischvermarkter Dahlmann plädiert grundsätzlich dafür, die Zeichen der Zeit für eine deutlich bessere Tierhaltung zu nutzen. Daher sollten die Landwirtschaft, ihre Interessenvertretungen und Erzeugergemeinschaften die Chance nutzen, mit einer deutlichen Qualifizierung geplanter Kennzeichnungsstufen bessere Preise für bessere Qualitäten in bäuerlichen Strukturen durchzusetzen: "Sonst ist die Wahrscheinlichkeit nicht ganz gering, dass letztlich wie bei der ITW die Feilscherei beginnt, wie viel Cent für welche Maßnahme gezahlt wird."

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Lidl sorgt für Verwirrung

Kurz vor Redaktionsschluss veröffentlichte der Discounter Lidl am 27. März brisante Neuigkeiten zu seinem "Haltungskompass", der ab Anfang April Frischfleischprodukte der Eigenmarken kennzeichnen soll. Aus vier geplanten Stufen einer Haltungskennzeichnung werden nun kurzerhand indirekt sechs, die Bezeichnungen verändert und gemischt. Übersichtlichkeit ist etwas anders: Die für "Bio" vorgesehene Stufe 4 entspricht den Vorgaben der EU-Öko-Verordnung - alternativ und als "Premium" bezeichnet soll darunter jedoch auch alles mit höheren Tierwohlstandards als Stufe 3 fallen, was nicht Bio-zertifiziert ist. Die angekündigte Stufe 3 "Auslauf" wurde umbenannt in "Außenklima' und soll mehr Platz, gentechnikfreie Fütterung und Zugang zu Außenklimabereichen umfassen - alternativ werde die Stufe 3 jedoch auch als "Tierwohl Plus" benannt bei "beispielsweise einem signifikant höheren Platzanteil jedoch ohne Außenklimazugang". Stufe 2 "Stallhaltung Plus" ist weiterhin als Lidl-Mindeststandard priorisiert und soll mit mehr Platz sowie Beschäftigungsmaterial für die Tiere nachweislich von teilnehmenden Betrieben der Brancheninitiative Tierwohl stammen. Stufe 1 "Stallhaltung" bleibt für den gesetzlichen Standard vorgesehen. Gleichzeitig veröffentlichte greenpeace Umfrageergebnisse, die eine deutliche Forderung nach Orientierung für den Markt mit Tierwohlprodukten aufzeigen: Eine große Bandbreite an Handelsketten - darunter auch Lidl -, Gastronomieunternehmen ebenso wie die Erzeugerverbände für Schwein (ISN) und Geflügel (ZDG) in Deutschland wünschen sich demnach eine klare gesetzlich verpflichtende Kennzeichnung, aus welcher Tierhaltung Fleischprodukte stammen.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 420 - April 2018, S. 3
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/905 31 71, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de
 
Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,80 Euro
Abonnementpreis: 46,00 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 32,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2018

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