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ASYL/576: Die Verletzung von Menschenrechtsstandards durch Deutschland (IPPNWforum)


IPPNWforum | 114 | 09
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Die Verletzung von Menschenrechtsstandards durch die Bundesrepublik Deutschland
Stellungnahme der IPPNW zum UPR-Verfahren

Von Dr. Waltraut Wirtgen


Im Rahmen seiner Mitgliedschaft im Forum Menschenrechte (einem Netzwerk von mehr als 50 nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen) hat der AK Flüchtlinge/Asyl einen Beitrag geleistet für die Stellungnahme des Forum Menschenrechte an den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen für die Überprüfung der Bundesrepublik Deutschland im Universal Perriodic Review (UPR)-Verfahren.

Die Verhandlung über den Bericht der Bundesrepublik Deutschland und die entsprechenden Stellungnahmen der Menschenrechtsorganisationen ist für den Februar 2009 in Genf anberaumt.

Wir zitieren im folgenden aus dem Bericht. Die Stellungnahme des Forum Menschenrechte und der ungekürzte Beitrag des AK Flüchtlinge/Asyl der IPPNW ist in der Geschäftsstelle zu erhalten.

Menschenrechtsstandards werden durch die Bundesregierung Deutschlands in folgenden Bereichen (Flüchtlinge, Asyl) verletzt:


I. Asylverfahren

Bei einem hohen Prozentsatz traumatisierter oder anderweitig psychiatrisch kranker Asylbewerber wird der Asylantrag bereits im Rahmen der Erstanhörung abgelehnt da sie nicht, wie von ihnen erwartet, detailliert und widerspruchsfrei die Gründe für ihre Flucht vorbringen konnten. Angst, Scham und Vermeidung als Hauptsymptome der posttraumatischen Belastungsstörung verhindern solche Aussagen. (...)

Die Erstanhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF, findet für Asylbewerber nur wenige Tage nach ihrer Flucht statt. Sie ist überwiegend darauf gerichtet, den Reiseweg und das Herkunftsland zu erfragen. Erst zum Schluss der Anhörung wird die Frage nach den Asylgründen hinsichtlich eines politischen Asyls gestellt. Zu keinem Zeitpunkt wird nach Beschwerden, Krankheiten oder nach dem momentanen Gesundheitszustand gefragt. Ohne Abklärung wird jedoch regelhaft im Anhörungsbescheid des BAMF ein krankheitsbedingtes zielstaatsbezogenes Abschiebehindernis verneint. Auf diese Entscheidung wird im gesamten Verfahren immer wieder Bezug genommen. Auf diese Weise werden sie sehr häufig ohne Hilfe nach Bestätigung ihrer Reisefähigkeit in ihr Herkunftsland abgeschoben.

Das BAMF verhindert mit seiner Praxis, dass der Situation besonders schutzbedürftiger Personen im Verfahren Rechnung getragen wird. Geist und Wortlaut der EU-Richtlinie 2003/9EG werden durch die mangelhafte Ausgestaltung des Verfahrens unterlaufen. (...)

Die frühzeitige Ablehnung des Asylgesuchs und danach drohende Abschiebung führt im Laufe des weiteren Asylverfahrens zu einer Chronifizierung der Krankheitsbilder, Sekundärkrankheiten, Suizidalität; es fehlt die Sicherheit des sozialen Umfeldes und eine adäquate Behandlung.


II. Lebensbedingungen und psychosoziale Versorgung der Asylbewerber-Flüchtlingskinder in Familien

Flüchtlinge müssen im Asylverfahren vielfach in staatlichen Unterkünften leben und können von heute auf morgen verlegt oder abgeschoben werden. Flüchtlingskinder und ihre Eltern leben meist über viele Jahre unter den schwierigsten Bedingungen: ohne gesichertes Bleiberecht, auf engstem Raum (12 bis 14 Quadratmeter für vier Personen in den Flüchtlingsunterkünften), mit primitiven Sanitäreinrichtungen, mit Sachleistungen und Essenspaketen, meist in großer Armut, Tür an Tür mit fremden Menschen anderer Kulturen, in einer Ghettosituation, ohne jede Zukunftsorientierung. Jahreslanges Arbeitsverbot, eingeschränkte Arbeitsmöglichkeit mit Vorrangprüfung oder mit Duldung zwingen die Menschen zur Untätigkeit und machen sie zusätzlich krank. In der sozialen Isolation, Armut und drangvollen Enge entwickeln sich zwangsläufig Gewaltstrukturen. Kinder lernen Gewalt als Überlebensmechanismus. Insbesondere Kinder sind einer solchen Lebenssituation hilflos ausgeliefert. Ein Leben unter solchen Umständen ist nicht am Wohl des Kindes ausgerichtet. Folge von zwangsweisem Wohnen in den Gemeinschaftsunterkünften und von Unsicherheit, Aussichtslosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Ausgrenzung sind Depression oder Aggression und psychische Belastungen der Eltern bis hin zur Psychiatrisierung. (...)

Die medizinische Versorgung ist auf akute Notfälle beschränkt, chronische organische und psychische Krankheiten (u.a. Traumafolgestörungen) dürfen nicht behandelt werden. (...)


III. Unbegleitete minderjährige Jugendliche (UMF)

UMF's sind in hohem Maße gefährdet, sie haben im Asylverfahren fast keine Chance auf ein Bleiberecht, Fluchtberichte der Kinder/Jugendlichen werden von vornherein für unglaubwürdig gehalten, kindertypische Fluchtgründe und Altersangaben werden nicht akzeptiert. Ihr Alter wird mit unwürdigen Mitteln geschätzt, Interpretationen werden gegen sie verwendet. Ihnen zugeordnete Beistände sind überlastet. Mit 16 Jahren sind sie "asylmündig", müssen ihr Asylverfahren selbst betreiben und müssen in einer Gemeinschaftsunterkunft leben. Ihnen fehlt meist die adäquate Behandlung. (...)


IV. Abschiebung - Untersuchung auf Reisefähigkeit - Abschiebehaft

Durch die Bundesrepublik Deutschland werden zunehmend Menschen abgeschoben, die wegen Traumafolgestörungen oder psychiatrischen Krankheiten in Behandlung stehen und eines gesicherten Aufenthaltes bedürfen. Die nicht qualifizierte Untersuchung und Reduzierung der Untersuchung auf reine (Flug-)Reisetauglichkeit verstößt gegen elementare Grundrechte wie z.B. das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, da es durch die Abschiebung zu einer schwerwiegenden Gefahr für Leib und Leben der betroffenen Person kommen kann. Trotz zuvor festgestellter Suizidalität wird die Abschiebung unter Begleitung eines Arztes oder von Sicherheitskräften durchgesetzt. (...) Abschiebehaft erfolgt oft zusammen mit Kriminellen und Straftätern unter erniedrigenden Haftbedingungen bis zu 18 Monaten, was zu schwerwiegenden Erkrankungen und insbesondere bei Jugendlichen zu dauerhaften Schäden und psychischen Fehlentwicklungen führen kann.


Literatur:

Die Stellungnahme des Forum Menschenrechte und der ungekürzte Beitrag des AK Flüchtlinge/Asyl der IPPNW kann in der IPPNW-Geschäftsstelle angefordert werden.


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Quelle:
IPPNWforum | 114 | 09, S. 16
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Anschrift der Redaktion:
IPPNWforum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2009