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ASYL/784: Verbände fordern Öffnung des Arbeitsmarkts für Flüchtlinge (Flüchtlingsrat Niedersachsen)


Flüchtlingsrat Niedersachsen - Pressemitteilung vom 19. Dezember 2012

Verbände fordern Öffnung des Arbeitsmarkts für Flüchtlinge

Wirklichkeitsfremde Beschränkungen müssen endlich überwunden werden



Seit November 2008 arbeiten der Flüchtlingsrat Niedersachsen, die Handwerkskammer Hannover, der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Bund Türkisch-Europäischer Unternehmer-/innen, die Migrantenselbstorganisation kargah e.V. sowie die Erwachsenenbildungsträger ARBEIT UND LEBEN Nds. Mitte und die Volkshochschule Celle in verschiedenen Projekten und Netzwerken zur Arbeitsmarktintegration von Asylsuchenden und geduldeten Flüchtlingen eng zusammen. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen appellieren wir an Politik und Verwaltung, bestehende Hürden für die Arbeitsaufnahme von Asylsuchenden und geduldeten Menschen abzubauen und eine Liberalisierung des Arbeitsmarktzugangs vorzunehmen: Die bestehenden gesetzlichen Barrieren und Hindernisse erscheinen vielfach kontraproduktiv und wirklichkeitsfremd.

"Flüchtlinge stoßen bei der Arbeitssuche immer wieder auf gesetzliche Hürden wie Wartezeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Um mehr Arbeitskräfte gewinnen zu können und die Arbeitslosigkeit von Flüchtlingen zu überwinden, sollten solche Hürden überwunden werden. Flüchtlinge wollen auch in Deutschland gleichberechtigt behandelt werden", erläutert Ahmet Güler, Vorsitzender des "Bundes Türkisch-Europäischer Unternehmer-/innen (BTEU)". Hartmut Tölle, DGB-Landesvorsitzender, ergänzt: "Alle Menschen, die in Deutschland leben, brauchen gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt. Nur wenn die Erwerbsquote von Flüchtlingen steigt und sie stärker in den Arbeitsmarkt einbezogen werden, haben diese eine Chance auf eine menschenwürdige Perspektive."

Norbert Grehl-Schmitt, Vorsitzender des Flüchtlingsrats Niedersachsen, freut sich, dass alle im Landtag vertretenen Parteien die Unterstützung der Forderung nach einer Liberalisierung des Arbeitsmarktzugangs mittlerweile auch schriftlich zugesagt haben. "Es wird endlich Zeit, dass Flüchtlinge in ihren Integrationsbemühungen unterstützt werden, also ihre Teilnahme an Sprachkursen und die Aufnahme von Arbeit ermöglicht und damit die erzwungene Abhängigkeit von staatlicher Hilfe beendet wird. Deshalb sollte eine gesetzliche Initiative für eine rechtliche Gleichstellung von Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt in der kommenden Legislaturperiode schnell und unbürokratisch auf den Weg gebracht werden."

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Anlage: Stellungnahme der beteiligten Verbände  
Verbände kritisieren Hürden beim Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge

Die bestehenden Regelungen zum Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge sind wirklichkeitsfremd und sollten überwunden werden. Unsere Kritik, die wir aus unserer gemeinsamen Projektarbeit im ESF-Netzwerk "AZF II" gewonnen haben und die wir an Beispielen erläutern, richtet sich gegen folgende Beschränkungen:


I. Einjähriges Arbeitsverbot

Im ersten Jahr ihres Aufenthalts unterliegen asylsuchende Flüchtlinge einem kategorischen Arbeitsverbot. In diesem Jahr dürfen Flüchtlinge weder an einem Integrationskurs teilnehmen noch im Rahmen der von uns durchgeführten Projekte qualifiziert und auf eine spätere Berufstätigkeit vorbereitet werden, da sie ja "dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen". Diese einjährige Sperre ist verlorene Zeit und erschwert eine zukünftige Vermittlung in Arbeit und Ausbildung.

Beispiel: Herr W. floh im Frühjahr 2012 aus Afghanistan nach Deutschland. Er ist Akademiker, spricht fließend englisch und deutsch und möchte gern seinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Eine Beschäftigung oder berufliche Qualifizierung ist jedoch für ihn bis zum Frühjahr 2013 gesetzlich ausgeschlossen.


II. Vorrangprüfung bei Asylsuchenden

Solange das Asylverfahren andauert, unterliegen Flüchtlinge nach Ablauf des einjährigen Arbeitsverbots einer sog. "Vorrangprüfung": Sie dürfen eine konkrete freie Stelle also nur ausfüllen, wenn keine deutschen oder Deutschen gleichgestellte Arbeitnehmer/innen gefunden werden können. Im Ergebnis werden vielfach Beschäftigungserlaubnisse verweigert, selbst wenn in der Konsequenz die freie Stelle über längere Zeiträume unbesetzt bleibt. Die unbefristete Benachteiligung von Asylsuchenden beim Zugang zum Arbeitsmarkt ist nicht nur diskriminierend, sie stellt auch eine anachronistische und bürokratische Hürde dar, die oftmals das Zustandekommen von Arbeitsverhältnissen verhindert.

Beispiel 1:
Herr A. aus Afghanistan befindet sich seit Mitte 2009 im Asylverfahren. 2010 bekam er ein Jobangebot von einer Exportfirma, die ihn wegen seiner Sprachkenntnisse gern eingestellt hätte. Die Arbeitserlaubnis für diese Stelle wurde Herrn A. jedoch dreimal mit der Begründung abgelehnt, dass es bevorrechtigte Personen gäbe. Eine konkrete Vermittlung anderer Bewerber/innen war der Arbeitsagentur jedoch lange nicht möglich. Erst mit großer zeitlicher Verzögerung und unter Inkaufnahme erheblicher finanzieller Verluste konnte die Stelle später besetzt werden.

Beispiel 2:
Herr M. aus Ruanda floh im November 2009 nach Deutschland und beantragte Asyl. Sein Asylantrag wurde bislang nicht beschieden. Im Januar 2012 beantragte Herr M. eine Beschäftigungserlaubnis für eine Stelle bei einer Personaldienstleistungsgesellschaft. Der Antrag wurde erst nach gut zwei Monaten mit der Begründung abgelehnt, eine Stelle bei einer Leiharbeitsfirma sei grundsätzlich nicht bewilligbar. Herr M. ließ sich nicht entmutigen und bewarb sich weiterhin bei verschiedenen anderen Arbeitgebern. Doch immer wieder wurde die Arbeitserlaubnis verweigert. Mal hieß es, es stünden ausreichend bevorrechtigte Arbeitnehmer/innen zur Verfügung, ein andermal, die Arbeits- und Lohnbedingungen entsprächen nicht den tariflichen oder ortsüblichen Bedingungen, ein drittes Mal, für Saisonarbeit könne keine Arbeitserlaubnis erteilt werden. M. Ist bis heute erwerbslos.


Vorrangprüfung für Geduldete und Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz

Für Flüchtlinge mit sog. "subsidiären Schutz" wegen der ihnen im Heimatland drohenden Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung besteht nach gegenwärtiger Rechtslage keine uneingeschränkte Berechtigung zur Ausübung einer Beschäftigung. Trotz des bestehenden Aufenthaltsrechts und einer dauerhaften Aufenthaltsperspektive wird für sie in den ersten drei Jahren ihres Aufenthalts die sog. Vorrangprüfung durchgeführt. Warum Flüchtlinge, die auf der Grundlage völkerrechtlicher Verpflichtungen (Europäische Menschenrechtskonvention) nicht abgeschoben werden dürfen und ein Aufenthaltsrecht besitzen, dennoch keine Arbeit oder Ausbildung antreten dürfen, wenn "bevorrechtigte Arbeitnehmer/innen" zur Verfügung stehen, ist nicht nachvollziehbar und integrationspolitisch unsinnig. Geduldete Flüchtlinge, die nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können, müssen sogar vier Jahre warten, bevor sie einen uneingeschränkten Arbeitsmarktzugang erhalten. Auch für sie heißt das im Ergebnis, dass eine Beschäftigung über Jahre erschwert oder verunmöglicht wird. Menschen, die sich faktisch auf unabsehbare Zeit im Bundesgebiet befinden, müssen auch einen uneingeschränkten Arbeitsmarktzugang erhalten!

Beispiel:
Herr R. floh Mitte Dezember 2010 aus Syrien nach Deutschland. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erkannte R. zwar nicht als Flüchtling gemäß Genfer Flüchtlingskonvention an, billigte ihm aufgrund drohender menschenrechtswidriger Behandlung am 30.03.2011 jedoch subsidiären Schutz zu. Daraufhin erhielt R. von der Ausländerbehörde am 26.05.2011 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG. Am 01.10.2012 und am 30.11.2012 wurde R. die Erlaubnis verweigert, eine Ausbildungsstelle als Karosserie- und Fahrzeugbaumechaniker anzutreten: Es stünden "bevorrechtigte" Bewerber/innen zur Verfügung, so die Begründung. Der Verlust von R. ist für den Betrieb folgenreich. Die Stelle kann nicht besetzt werden. Den bevorrechtigten Bewerbern, die sich vorgestellt haben, fehlt aus Sicht des Betriebs die Eignung.


III. Ausländerbehördliches Arbeitsverbot

Geduldeten Flüchtlingen, die nach Auffassung der Ausländerbehörde bei ihrer eigenen Abschiebung nicht hinreichend mitwirken, etwa indem sie die für eine Abschiebung notwendigen Pässe und Unterlagen nicht beschaffen, können gemäß § 11 Beschäftigungsverfahrensverordnung mit einem Arbeitsverbot sanktioniert werden. Mit der Vermutung, dass die Flüchtlinge Abschiebungspapiere besorgen können, wenn sie sich nur mehr Mühe gäben, sind manche Ausländerbehörden schnell bei der Hand. Im Ergebnis erhalten viele Flüchtlinge von der Ausländerbehörde ein unbefristetes Arbeitsverbot. Zu fordern ist eine Beweislastumkehr: Es ist nicht akzeptabel, dass Flüchtlinge immer wieder aufgrund vager Vermutungen ein Arbeitsverbot erhalten.

Beispiel:
Herr M. floh mit seinen Eltern und Geschwistern 1991 von Bhutan nach Nepal und wurde dort vom UNHCR betreut. 2006 floh er, da er in Nepal nicht bleiben konnte, weiter nach Deutschland. Sein Asylantrag wurde in Deutschland abgelehnt. Da die Ausländerbehörde ihm seine Angaben zur Herkunft nicht glaubten, wurde er zur Ausreise aufgefordert und erhielt von der Ausländerbehörde ein unbefristetes Arbeitsverbot. Erst durch eine Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen gelang schließlich der Nachweis, dass Herr M. und seine Familie tatsächlich bhutanesischer Herkunft sind und in ihr Herkunftsland nicht zurückkehren können, da die Familie von Bhutan zwangsweise ausgebürgert wurde.


IV. Rigide Wohnsitzauflagen verhindern Arbeitsaufnahme

Seit dem 1. März 2012 dürfen sich Asylsuchende, die nicht oder nicht mehr verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, ohne Erlaubnis vorübergehend im Gebiet des Landes Niedersachsen aufhalten. Die Verpflichtung der Flüchtlinge, in einer bestimmten Gemeinde zu wohnen, bleibt von diesen Regelungen jedoch unberührt. Diese so genannten "Wohnsitzauflagen" beschränken die Möglichkeiten für Asylsuchende, eine Arbeit aufzunehmen, weiterhin in erheblicher Weise. Von diesen Auflagen sind nicht nur Asylsuchende, sondern auch Geduldete und Flüchtlinge mit einer Aufenthaltserlaubnis betroffen.

Beispiel:
Frau I. floh im August 2002 im Alter von 12 Jahren mit ihrer Großmutter nach Deutschland. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, im Anschluss erhielt I. eine Duldung. Nach dem Realschulabschluss absolvierte I. zunächst ein einjähriges Praktikum und unterzeichnete anschließend einen Ausbildungsplatz zur Fachfrau für Systemgastronomie. Diese Ausbildungsstelle musste sie später jedoch wieder aufgeben, da ihr seitens der Ausländerbehörde ein Umzug in das Stadtgebiet, um die im Betrieb erforderlichen Spätschichten übernehmen zu können, verwehrt wurde. Auch ein anschließend gefundener Ausbildungsplatz konnte aufgrund der von der Ausländerbehörde verhängten, rigiden Wohnsitzauflage von I. nicht angetreten werden, da der Busfahrplan ein rechtzeitiges Erreichen der Ausbildungsstelle nicht möglich machte und eine Genehmigung zum Umzug in die Nähe der Ausbildungsstelle nicht erteilt wurde.


Anmerkung:
[1] AZF II ist ein durch das BMAS und den ESF gefördertes Netzwerk zur Integration von Asylsuchenden und Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt.
Näheres siehe unter: http://azf2.de/

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Quelle:
Pressemitteilung vom 19. Dezember 2012
Flüchtlingsrat Niedersachsen
Langer Garten 23 B, 31137 Hildesheim
Telefon: 05121 - 15605, Fax 05121 - 31609
E-Mail: nds@nds-fluerat.org
Internet: www.nds-fluerat.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2012