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AKTUELL/042: Prognoseforschung - Vorsprung für Obama (idw)


Ludwig-Maximilians-Universität München - 30.10.2012

Prognoseforschung: Vorsprung für Obama



Diesmal ist es ein klarer Punktsieg für Barack Obama: Im dritten Fernsehduell drückt der Amtsinhaber seinen Herausforderer Mitt Romney rhetorisch an die Wand, lässt ihm wenig Raum, sich zu profilieren. Das erste der Duelle war da überraschender. Kommentatoren ätzten im Anschluss, der US-Präsident habe eher auf seine Schuhe geschaut als zukunftsgewiss in die Kameras. Und schon gab es etliche Umfragen, die Romney vorne sahen, einen Monat vor der US-Wahl. Immerhin scheint es seitdem etwas enger geworden zu sein für Obama. Und jetzt fegt auch noch Hurrikan "Sandy" durch das Wahlkampffinale und fordert dem Präsidenten ab, sich im Krisenmanagement zu bewähren und als Macher zu präsentieren.

Etappensiege im Wahlkampf wie "gewonnene" Fernsehduelle jedenfalls haben "meist nur einen geringen Effekt" auf das tatsächliche Ergebnis", sagt Andreas Graefe. "Da wird in den Medien viel hochgespielt", meint der Prognoseforscher vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU. Ohnehin gibt es erfahrungsgemäß wenige Ereignisse, die die Partie kurz vor dem Abschluss noch drehen können. Selbst die Lehman-Pleite 2008 und damit der Beginn der globalen Finanzkrise, so hat Graefe beobachtet, spielte zwar fast zwangsläufig dem damaligen Herausforderer Obama zu, die Wahl entschieden hat sie nicht.


Nur 0,7 Prozentpunkte daneben

Was aber besiegelt dann den Ausgang einer Wahl? Und mehr noch: Wie kann man ihn verlässlich vorhersagen? Zu diesen Fragen leitet Graefe jetzt auch einen neuen Schwerpunkt am Center for Advanced Studies (CAS) der LMU. Mit der US-Wahl hat Graefe mittlerweile reichlich Erfahrung gesammelt. Seit vier Jahren arbeitet er bei dem US-Prognose-Portal PollyVote.com mit, mittlerweile gehört er zu den vier Projektverantwortlichen. 2008 hat PollyVote Obamas Wahlsieg ziemlich präzise vorhergesagt, die Prognose lag nur um 0,7 Prozentpunkte daneben, bei der US-Wahl 2004 sogar nur um 0,3 Prozentpunkte. Derzeit steht der Demokrat bei 50,9, Republikaner Romney bei 49,1 Prozent, wenn man - Achtung! - die prognostizierten Stimmanteile so umrechnet, als teilten sich nur die beiden Favoriten die 100 Prozent. In den vergangenen Wochen ist der Abstand zwischen den beiden Kontrahenten auf PollyVote immer weiter um Zehntelprozente geschrumpft.

Doch in der Arbeit am CAS-Schwerpunkt ist die US-Wahl nur ein besonders prominenter und aktueller Anwendungsfall, um Fortschritte in der Vorhersageforschung zu demonstrieren. Erklärtes Ziel ist, die Methodik von PollyVote so zu erweitern, dass sie sich auch für die kommende Bundestagswahl und deren kompliziertere Parteienkonstellationen eignet.


Selbst Bart und Brille beeinflussen den Wählerwillen

Wie also funktioniert PollyVote? Zunächst: Es handelt sich dabei nicht um eine besonders ausgetrickste Prognosemethode, sondern um die Kombination von rund zwei Dutzend Vorhersagemodellen. Darunter sind beispielsweise fünf Online-Dienste, die ihrerseits jeweils schon eine Reihe von Umfragen auswerten und aggregieren, und ein Prognosemarkt, auf dem Teilnehmer Wetten auf den Wahlausgang platzieren. Dazu kommt fast ein Dutzend der gängigen ökonometrischen Modelle, die den Einfluss verschiedener Faktoren auf den Wahlausgang abschätzen, wie etwa des Zustands der Volkswirtschaft oder der Popularität des Amtsinhabers. Außerdem macht PollyVote regelmäßig eine eigene Expertenbefragung.

Die Macher von PollyVote haben zudem eigene Modelle entwickelt; eines bewertet die Wirkung von biografischen Details, etwa traumatischen Kindheitserfahrungen oder Bildungsgrad; selbst der Klang der Stimme, Bart oder Brille scheinen den Wählerwillen zu beeinflussen. Graefe machte damit die Probe aufs Exempel: Bei 27 von 29 der vergangenen US-Wahlen hätte sich mit dieser Methode der Wahlsieger korrekt voraussagen lassen.

Ein anderes Modell fragt danach, welchem Kandidaten der Wähler die größere Kompetenz zuspricht, drängende politische und wirtschaftliche Probleme in den Griff zu bekommen. Und schließlich experimentiert PollyVote noch mit Erhebungen, die Wähler nicht nach deren eigenen Wahlabsichten, sondern nach deren Erwartungen zum Wahlausgang befragen.

Der eigentliche Clou von PollyVote allerdings ist die Kombination der einzelnen Prognosen. Und die ist denkbar einfach: Die PollyVote-Macher bilden schlicht die Mittelwerte - und verzichten auf eine komplexe Gewichtung. Erst poolen sie auf diese Weise methodisch ähnliche Prognosen, im zweiten Schritt führen sie wiederum die daraus entstandenen Werte zusammen. "Das klingt erst einmal wahnsinnig naiv. Ist es auch", räumt Graefe ein. Doch die Methode hat entscheidende Vorteile - nicht nur ihre Einfachheit. Die Forscher vermeiden so beispielsweise eine Reihe möglicher Verzerrungen. Und je unterschiedlicher die Methoden und die zugrunde liegende Information, desto besser. Eine solche Spreizung liefert gute Ergebnisse, sagt Graefe, weil sich dadurch systematische Fehler einzelner Prognosen ausgleichen. In dem Schwerpunkt am CAS will er denn auch nachweisen, wie ebenbürtig simple Methoden den komplexen sind. Überhaupt ist Graefe ein Verfechter von einfachen Verfahren: "Die Vorhersageforschung zeigt", sagt der LMU-Forscher, "dass oft die simplen Methoden bessere Prognosen liefern. Nicht zuletzt urteilt ja auch der Wähler nach einfachen Heuristiken." (math)

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution114

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ludwig-Maximilians-Universität München, Luise Dirscherl, 30.10.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. November 2012