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AUSSEN/569: Ein wesentlicher Teil des Westens (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 9. November 2016
(german-foreign-policy.com)

Ein wesentlicher Teil des Westens


WASHINGTON/BERLIN - Nach dem Sieg von Donald Trump bei der US-Präsidentenwahl kündigt die Bundesregierung eine Fortsetzung der engen Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten an und fordert eine stärkere deutsche Stellung im transatlantischen Verhältnis. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärt, sie "biete" dem zukünftigen Präsidenten Trump "eine enge Zusammenarbeit an", und knüpft ihr "Angebot" an "Bedingungen". Der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Jürgen Hardt, äußert, es gebe eine "Notwendigkeit für uns Europäer und speziell für uns Deutsche, mehr Verantwortung zu übernehmen"; diese "Verantwortung" werde bei einem US-Präsidenten Trump "weiter zunehmen" und betreffe das "gesamte[...] Instrumentarium der Außen- und Sicherheitspolitik". Die Forderung nach stärkerem Einfluss für Deutschland knüpft an Stellungnahmen aus dem Berliner Außenpolitik-Establishment an, in denen in den vergangenen Tagen zunehmend gefordert wurde, "das Feld ordnungspolitischer Entwürfe nicht den USA [zu] überlassen", sondern eigenständig zu überlegen, wie "die künftige Weltordnung zu gestalten" sei. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, verbinden dies mit der Forderung nach einer deutlichen Aufstockung des deutschen Militäretats.


Kontrolle verloren

Nach dem Sieg von Donald Trump bei der US-Präsidentenwahl kündigt die Bundesregierung eine Fortsetzung ihrer engen Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten an und verlangt eine stärkere deutsche Stellung innerhalb des westlichen Bündnisses. In den Berliner Reaktionen auf Trumps Sieg hatte zunächst erhebliche Überraschung überwogen, da nicht nur meinungsbildende Medien, sondern auch Umfrageinstitute in den Vereinigten Staaten bis zum Schluss einen Sieg von Hillary Clinton vorausgesagt hatten - eine grobe Fehleinschätzung, die Parallelen auf dem europäischen Kontinent hat (unter anderem beim Brexit-Referendum oder beim FPÖ-Erfolg bei der österreichischen Präsidentenwahl) und die zeigt, dass das herrschende Establishment nicht nur die Kontrolle über weite Teile der Bevölkerung verloren hat, sondern deren Befindlichkeit nicht einmal mehr zutreffend wahrnimmt. Entsprechend bezeichneten etwa Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen sowie führende Berliner Außenpolitiker das US-Wahlergebnis in einer ersten Stellungnahme als "schweren Schock".[1]


Auf Augenhöhe

Die Forderung nach einer deutlichen Aufwertung der deutschen Position im Rahmen des transatlantischen Bündnisses hat bereits am heutigen Morgen der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Jürgen Hardt (CDU), erhoben. "Die transatlantische Partnerschaft ist und bleibt ein unverrückbarer Pfeiler der deutschen Außenpolitik", erklärte Hardt: "Wir werden der neuen US-Administration die Hand ausstrecken und hoffen, an die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit der letzten Jahre anknüpfen zu können." Dazu zähle ausdrücklich auch "die enge Zusammenarbeit im gemeinsamen NATO-Bündnis".[2] Allerdings gebe es eine "Notwendigkeit für uns Europäer und speziell für uns Deutsche, mehr Verantwortung zu übernehmen und mehr in die Waagschale zu werfen", äußerte Hardt; diese "Verantwortung" werde "unter Präsident Trump weiter zunehmen" und betreffe das "gesamte[...] Instrumentarium der Außen- und Sicherheitspolitik". Formal hat die Absicht, die deutsche Stellung aufzuwerten und nach Möglichkeit "auf Augenhöhe" mit den USA zu gelangen, sich bereits im Duktus der Stellungnahmen der Kanzlerin und des Außenministers niedergeschlagen. Merkel hob ausdrücklich hervor, sie "biete" ihrerseits dem künftigen US-Präsidenten Trump unter bestimmten Bedingungen ("gemeinsame Werte") "eine enge Zusammenarbeit an". Steinmeier ließ sich mit der Äußerung zitieren, "so, wie wir Deutschen in der Vergangenheit viel von unseren amerikanischen Freunden gelernt haben, so dürfen wir jetzt unseren amerikanischen Freunden Mut zusprechen".[3]


"Die Weltordnung gestalten"

Die Forderung nach einer Aufwertung der deutschen Position im Rahmen des transatlantischen Bündnisses ist in den letzten Tagen und Wochen im Berliner Außenpolitik-Establishment verstärkt gestellt worden. So hieß es etwa in einer kürzlich publizierten Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), zwar hätten weltpolitische Vorhaben zur Zeit "ohne die Mitwirkung des Hegemons USA nur wenig Aussicht auf Erfolg". Dennoch sei es unumgänglich, "darüber nachzudenken, wie man reagiert, sollte das Verhalten der USA aus deutscher Sicht kontraproduktiv sein"; "ohne die Bereitschaft, sich mit der US-Regierung zu streiten", schieden "viele Optionen der Einflussnahme von vornherein aus".[4] Weiter hieß es, "Deutschland und Europa" dürften künftig "das Feld ordnungspolitischer Entwürfe nicht den USA überlassen"; man müsse sich vielmehr eigenständig Gedanken machen, wie nicht nur "das transatlantische Verhältnis", sondern auch "die künftige Weltordnung zu gestalten sind".


Mehr Geld fürs Militär

Ähnlich hat sich der einflussreiche Diplomat und Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift "Internationale Politik" geäußert. Deutschland sei "heute ... ganz fraglos ein wesentlicher Teil des Westens", schreibt Ischinger in einem ausführlichen Beitrag; "Deutschlands wichtige Rolle für den Westen offen zu benennen" sei "kein Ausdruck von Größenwahn". "Europa" müsse allerdings, um seiner bedeutenden Stellung gerecht zu werden, stärker in sein Militär investieren: "Wir brauchen ... mehr Tempo beim Auf- und Ausbau effektiver europäischer Verteidigungsstrukturen".[5] Ende der 1980er Jahre etwa habe die Bundesrepublik noch "fast die Hälfte" ihrer Haushaltsmittel "für Außen- und Sicherheitspolitik im weiteren Sinne" ausgegeben; "heute bewegen wir uns in der Größenordnung von etwa einem Zehntel". Das könne man sich "angesichts voller Kassen und einer sich immer weiter verbreitenden Krisenlage innerhalb und außerhalb von Europa" nicht mehr leisten. Am heutigen Morgen hat Verteidigungsministerin von der Leyen dies bekräftigt und eine massive Aufstockung des deutschen Militäretats in Aussicht gestellt. Letztere hat Kanzlerin Merkel bereits mehrmals ausdrücklich angekündigt (german-foreign-policy.com berichtete [6]).


Mit Trump gegen Muslime

Um die Forderung nach größerem weltpolitischen Einfluss für Deutschland zu konkretisieren, verlangt Ischinger seit einiger Zeit unter anderem eine deutliche Verstärkung der Operationen der westlichen Mächte in Syrien. Man dürfe "die Anwendung militärischer Gewalt nie von vornherein kategorisch ausschließen", erklärte Ischinger am Wochenende.[7] Künftige Operationen Berlins in Syrien und in anderen Ländern des islamischen Welt werden an der Seite eines Landes vollzogen, dessen ab nächstem Januar regierender Präsident sich in exzessiv-chauvinistischer Weise nicht nur über Frauen, sondern auch über Muslime geäußert hat. Der künftige Oberbefehlshaber über den Krieg gegen den IS, an dem sich Deutschland beteiligt, hat etwa die Registrierung der Muslime in den USA und ein Einreiseverbot für ausländische Muslime gefordert und sich auch sonst überaus diskriminierend über den Islam geäußert. Aus Berliner Sicht hat freilich die Chance, innerhalb des transatlantischen Bündnisses neue globale Macht zu erlangen, größere Bedeutung als die Wirkung seines Hauptverbündeten in den mit Krieg überzogenen Ländern der islamischen Welt.


Mehr zum Thema:
Weltpolitik nach Obama (I)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59468
und Weltpolitik nach Obama (II)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59469


Anmerkungen:

[1] Von der Leyen ist "schwer schockiert". www.spiegel.de 09.11.2016. Deutsche Politiker schockiert von voraussichtlichem Trump-Sieg.
www.focus.de 09.11.2016.

[2] Transatlantik-Koordinator zum Ausgang der US-Wahlen.
www.auswaertiges-amt.de 09.11.2016.

[3] Außenminister Steinmeier zum Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA.
www.auswaertiges-amt.de 09.11.2016.

[4] Johannes Thimm: Auch ohne Trump wird vieles anders. SWP-Aktuell 64, Oktober 2016.
S. dazu Weltpolitik nach Obama (II).
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59469

[5] Wolfgang Ischinger: Achse der Zuversicht. Internationale Politik November/Dezember 2016, S. 74-79.

[6] S. dazu Auf Weltmachtniveau.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59395

[7] "Eine Schande für den Westen". Bild am Sonntag 06.11.2016.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
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c/o Horst Teubert
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Fax: 01212 52 57 08 537
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2016

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