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BERICHT/011: Interview - Demokratie bedarf der Selbstaufklärung (Portal - Uni Potsdam)


Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung 1-3/2009

Demokratie bedarf der Selbstaufklärung

Sie zu verstehen, ist eine wichtige Zukunftsinvestition

Prof. Dr. Heinz Kleger, Inhaber der Professur für Politische Theorie an der Universität Potsdams, stand Carina Linne Rede und Antwort über die Rolle von moralischen und ethischen Begriffen bei der Entwicklung des Demokratieverständnisses.


FRAGE: Nehmen wir die Anfange der Demokratie im antiken Griechenland. Welche Charakteristika sind für die spätere Demokratiebewegung hervorzuheben?

HEINZ KLEGER: Im antiken Griechenland finden wir eine stadtstaatenartige Kultur der Freiheit mit wenig Machtübertragung. In einer solchen Kultur konnte das Politische als Handeln-Können erfunden und mit der Idee von Bürgerschaft verknüpft werden. Demos bedeutete aktive Bürgerschaft, und auf diesem Boden wurden sodann erste Verfahren der Demokratie eingeübt - die Volksversammlung, die Ämterrotation, die Rechenschaftsablegung und anderes mehr. Die Griechen prägen damit ein Bild der Demokratie, deren Begriff um 430 v. Chr. entsteht und der zumindest in seiner worterklärenden Bedeutung zeitlos geworden ist. Diese Demokratie bezeichnet eine Herrschaftsform, die auf 'Gleichheit' gründet. Das partizipatorische Bürgerverständnis, welches damals noch auf einen kleinen männlichen Kreis beschränkt war und auf Sklavenwirtschaft beruhte, steht an der Wiege der Demokratie und geht einher mit einer starken Wir-Identifikation der Bürgerschaft.

FRAGE: Inwieweit hat sich das Demokratieverständnis in Hinblick auf die bürgerlichen Revolutionen in Amerika und in der DDR weiterentwickelt?

HEINZ KLEGER: Über die antike Polis-Demokratie hinaus kommen vor allem die Idee der Volkssouveränität und die Naturrechte beziehungsweise Menschenrechte hinzu. In Amerika entsteht zum ersten Mal auf großem Territorium eine föderative Republik, das konnte man sich bisher nur für Stadtstaaten und kleine Länder vorstellen. Die gewaltenteilige und repräsentative Demokratie, die an konstitutionelle Freiheitsrechte gekoppelt ist, ist bis heute der maßgebliche Versuch, Autonomie, Würde und Gleichheit aller Bürger zu realisieren. Hierfür spielte die geschriebene Verfassung eine wichtige Rolle. Die Verfassungsgerichtsbarkeit, die auch in der Bundesrepublik Deutschland stark ist, verkörpert gewissermaßen die Sorge von Minderheiten und Einzelnen, die Mehrheit, die in der Demokratie politisch das Sagen hat, könnte grundlegende Rechte und Konventionen des Gesellschaftsvertrages verletzen. Oberstes Gebot einer solchen Demokratie ist die ungehinderte Beteiligung aller Bürger und Bürgerinnen am politischen Willensbildungsprozess.

FRAGE: Wie würden Sie in diesem Zusammenhang das ethisch-moralische Erbe der Demokratiebewegung von 1989 einschätzen?

HEINZ KLEGER: Das Erbe ist vor allem die Freiheit und die Verfassung der Freiheit. Vorher gab es viel Politik, aber nicht die Freiheit, politisch sein zu können. Die Gedanken- und Meinungsfreiheit sind grundlegend für eine liberale Demokratie. Die Brandenburger Bevölkerung hat 1992 eine neue Verfassung beschlossen, gründend auf den friedlichen Veränderungen im Herbst 1989. Sie markiert den eigentlichen Brandenburger Weg, der die Anstöße der Bürgerbewegungen aufnimmt. Sie ermöglicht nicht nur die konsequente Wahrnehmung von Individualrechten, sondern kann auch neue Formen der Bürgerbeteiligung auf den Weg bringen. Dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen wird ebenfalls ein großer Platz eingeräumt. Diese Verfassung ist ein guter Rahmen für eine verfassungsdemokratische Bürgergesellschaft. Man muss sie nur verstehen.

FRAGE: Wo kann aus Ihrer Sicht die Ethik der Politik in Zukunft helfen, das verloren gegangene Verständnis von Demokratie wieder zu gewinnen?

HEINZ KLEGER: Demokratie bedarf ständig der Selbstaufklärung, sonst wachsen die Probleme und Gefahren aus der Demokratie selbst heraus. Die Selbstaufklärung der Demokratie muss deshalb die Vielen erreichen. Die Bürger müssen die Demokratie verstehen können, um sie zu praktizieren. Und sie müssen sie erfahren können, um sie zu verteidigen. Dafür braucht es Orte, Zeit und Wissen für die Demokratie. Alle drei Hinsichten werden in der heutigen allgegenwärtigen Konsum- und konkurrenzorientierten Leistungsgesellschaft nicht nur unterschätzt, sondern geradezu systematisch zu wenig gepflegt. Das multiple Regelsystem der Demokratie verstehen und praktizieren zu können, ist eine wichtige Zukunftsinvestition.


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Der europäische Verfassungsprozess

Seit 2001 wird um eine Europäische Verfassung gerungen. Noch ist das Ziel, damit auch die Demokratie zu stärken, nicht erreicht, konstatiert Politikwissenschaftler Prof. Dr. Heinz Kleger. Inzwischen ratifizierten 23 der 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union den so genannten Lissabonner Vertrag, welcher neben der Verbesserung der Transparenz und der Effektivität der europäischen Zusammenarbeit vor allem auch die demokratischen Verhältnisse sichern soll. Es gehe um die Steigerung der Legitimität der Europäischen Union, so Kleger. Genau dies könne mit einer Verfassung erreicht werden, wenn sie demokratisch erarbeitet und beschlossen wird.

Für Deutschland bringe der Verfassungsvertrag durch die Einführung der doppelten Mehrheit eine Vergrößerung der Macht im Ministerrat. Aber auch institutionelle Verbesserungen bei der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik seien für die deutsche Außenpolitik von großer Bedeutung. Wichtiger scheint Heinz Kleger jedoch, dass die Europäische Union durch diesen Vertrag im Ganzen gestärkt wird. Das betreffe die effektivere Entscheidungsfindung nach innen und die klarere Kompetenzaufteilung noch außen.

Nach dem zähen Ringen um eine europäische Verfassung zeichne sich derzeit der Trend ab hin zu einer zunehmend von einer europäischen Öffentlichkeit begleiteten und kritischen Bürgerschaft kontrollierten Demokratie zu gelangen. Die Zunahme von nationalen Referenden sei ein Indikator dafür und Katalysator für eine stärkere Einbindung den Bürger in Form von Aufklärung. Red.


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Quelle:
Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung Nr. 1-3/2009, Seite 22-23
Herausgeber:
Referat für Presse-, Öffentlichkeits- und Kulturarbeit (PÖK)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2009