Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FAKTEN

BERICHT/016: Bürgerengagement und Finanzautonomie (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 131/März 2011
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Bürgerengagement und Finanzautonomie
Was kommunales Regieren effizient macht

Von Benny Geys


Kurzgefasst: Von bürgerschaftlichem Engagement wird oft behauptet, es erhöhe die öffentliche Kontrolle. Doch eine schwach ausgeprägte finanzpolitische Autonomie der Gemeinden - bedingt durch die Trennung von Ausgaben- und Einnahmeentscheidungen - kann das Interesse der Bürger an eine und ihre Forderung nach einer effizienten Bereitstellung öffentlicher Leistungen unterminieren. Anhand eines breiten Panels deutscher Kommunen wird gezeigt, dass Bürgerbeteiligung tatsächlich positive Auswirkungen auf die Kosteneffizienz in der kommunalen Verwaltung hat, dass jedoch - und dies ist entscheidend - der effizienzsteigernde Effekt stark von mangelnder Finanzautonomie der Kommunalregierungen beeinträchtigt wird.


Bei den jüngsten Parlamentswahlen in Großbritannien hieß es im Wahlkampfprogramm der Konservativen Partei, jeder Bürger über 18 Jahre solle Mitglied einer ehrenamtlichen Organisation werden. Dieses Ziel bekräftigte David Cameron in seiner ersten Rede als Premierminister, in der er die Wiederherstellung von Gemeinsinn und Bürgerbeteiligung in Großbritannien zur Priorität erklärte. Auch der ehemalige britische Premier Tony Blair hatte seine Landsleute bei seiner ersten Amtsübernahme 1997 in ähnlicher Weise auf bürgerschaftliches Engagement eingeschworen.

Die US-Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama wie auch Altbundeskanzler Gerhard Schröder befürworten ebenfalls eine Stärkung der Zivilgesellschaft. Viele nationale Regierungen denken darüber nach, wie sich das institutionelle Umfeld so verändern lässt, dass sich ehrenamtliche Organisationen ermutigt fühlen, eine aktivere Rolle bei der Bereitstellung öffentlicher Güter auf kommunaler Ebene zu übernehmen. Sogar die Europäische Union hat in den letzten Jahren gesteigertes Interesse daran gezeigt, die klassischen Dichotomien - Staat und Markt, öffentlich und privat - durch eine Partnerschaft zwischen staatlichen Behörden, privaten Partnern und ehrenamtlichen Organisationen zu ersetzen, um gemeinsam an gesellschaftlichen Veränderungen zu arbeiten.

Ein Bereich, in dem die gesellschaftliche und politische Beteiligung der Bürger als besonders fruchtbringend gilt, ist der öffentliche Sektor. Dies war auch eine der zentralen Thesen in Robert Putnams Buch Making Democracy Work (1995). Darin zeigt er, dass Regionalregierungen in den Regionen Nord- und Mittelitaliens, die stärker von sozialem Vertrauen und Bürgersinn geprägt sind, öffentliche Leistungen effektiver erbringen als ihre Pendants im italienischen Süden, wo Vertrauen und Bürgersinn schwächer ausgebildet sind. Spätere Studien über andere Länder, in denen verschiedene Indikatoren zur Bewertung der Regierungsleistung verwendet wurden, stützen Putnams Hypothese.

Offensichtlich müssen jedoch zwei entscheidende Voraussetzungen gegeben sein, um einen solchen Effekt zu erzielen. Erstens muss zivilgesellschaftliches Engagement das politische Interesse und das politische Bewusstsein der Bürger stärken. Zweitens muss deren Interesse und Beteiligung dazu führen, dass sich die Regierungsleistung verbessert. Während sich die erste These auf etliche empirische Belege stützen kann, hat die zweite Annahme bislang weitaus weniger Beachtung gefunden - und soll hier näher betrachtet werden. Gute Regierungsleistung wird hier als höhere Effizienz in der Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen definiert. Ökonomische Effizienz stellt zwar nur eines von vielen öffentlichen Anliegen dar, sie hat aber in den letzten Jahren viel Beachtung gefunden, zum Beispiel in den Diskussionen über New Public Management seit den späten 1980er Jahren. Folgendes ist die Grundannahme: Für die Steuern, die sie zahlen, erwarten Bürger möglichst viele öffentliche Leistungen. Daher stammt der Wunsch nach einer ökonomisch effizienten Politik. XX

Aus theoretischer Perspektive lässt sich der Zusammenhang zwischen Bürgerbeteiligung und Effizienz des öffentlichen Sektors mithilfe des "Prinzipal-Agent-Ansatzes" analysieren. Die Kommunalregierungen treten gegenüber der Bevölkerung als "Agenten" auf, während die Bevölkerung als "Prinzipal" von der Regierung die Erbringung öffentlicher Leistungen erwartet. Dabei entsteht jedoch insofern ein klarer Interessenskonflikt, als die Politiker und Bürokraten, die für die Bereitstellung öffentlicher Güter zuständig sind, von einer geringeren Produktivität eventuell Vorteile haben, zum Beispiel eine üppige Personalausstattung ihrer Dienststelle und damit weniger Arbeit. Politiker wissen genauer, was öffentliche Leistungen kosten, als die Bevölkerung. Das bietet die Möglichkeit, die Mittel für Leistungen auszugeben, die ihnen in irgendeiner Form politisch nützen und weniger dem Gemeinwohl. Dies führt jedoch zu einer nachlässigen Haushaltspolitik oder sogar zu Ineffizienz.

Zu beachten ist dabei, dass das Ausmaß der Nachlässigkeit davon beeinflusst wird, ob der Prinzipal bei der Kontrolle der Aktivitäten seines Agenten eine aktive Rolle einnimmt oder nicht. Neuere experimentelle Belege zeigen, dass eine strengere Überwachung die Informations-Asymmetrie zwischen Prinzipal und Agent reduziert. Dadurch wird der Spielraum, den Politik und Bürokratie für Mittelverschwendung nutzen können, begrenzt. Eine stärkere Bürgerbeteiligung erhöht also den Druck auf die öffentliche Verwaltung, führt zu einer stärkeren Kontrolle und könnte größere Anstrengungen und verbesserte Leistungen erzeugen.

Damit ist das Thema jedoch noch längst nicht erledigt. Eine wichtige Schwachstelle dieser Argumentation besteht nämlich darin, dass die Bürger die wahren Kosten der öffentlich erbrachten Dienstleistungen eventuell nicht richtig einschätzen, das heißt einer "Fiskal-Illusion" erliegen. Ein Beispiel: Kommunalregierungen erhalten zur Finanzierung bestimmter Projekte Zuschüsse von Bund, Ländern oder der EU. Da die öffentlichen Leistungen in diesem Fall zum Teil durch Einnahmen aus höheren Regierungsebenen finanziert werden, gibt es keinen direkten Bezug mehr zwischen den Bürgern, die diese Leistungen in Anspruch nehmen und denjenigen, die sie bezahlen. In diesem Fall wird die Wächterfunktion der Bürger eventuell geschmälert, weil in ihren Augen ja nur das Geld anderer Leute verschwendet wird. Das heißt, sie fangen an, weniger Wert auf die sorgfältige Verwendung öffentlicher Mittel zu legen, weil diese - zumindest teilweise - aus externen Transfers stammen und nicht aus ihrer eigenen Tasche. Dies legt den Schluss nahe, dass der Einfluss von Bürgerbeteiligung auf effiziente Verwaltung in Kommunen, die stark von innerstaatlichen Transfers abhängig sind, erheblich geschwächt wird.

Zur Überprüfung dieser These und der oben dargestellten Zusammenhänge werden Daten von 987 Kommunen in Baden-Württemberg aus drei Jahren (1998, 2002 und 2004) verwendet, um Messwerte wie Verwaltungseffizienz, Bürgerbeteiligung und kommunale Finanzautonomie zu testen. In Anlehnung an eine große Anzahl wissenschaftlicher Studien wird die Effizienz von Regierung und Verwaltung anhand des Verhältnisses zwischen den Gesamtausgaben und der Bereitstellung von fünf Arten öffentlicher Güter bewertet: (a) "Bildung", gemessen an der Anzahl der Schüler in Grund- und Hauptschulen, (b) "soziale Sicherung", gemessen an der Anzahl der Kindergartenplätze und der Bevölkerung über 65 Jahre, (c) "öffentliche Einrichtungen, Sport und Erholung", gemessen an der Gesamtfläche öffentlicher Freizeiteinrichtungen, (d) "allgemeine Verwaltung", angenähert durch die Zahl der Gesamtbevölkerung und (e) "wirtschaftliche Entwicklung", gemessen an der Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Mehr öffentliche Dienstleistungen für einen bestimmten Ausgabenbetrag deuten demnach auf eine höhere ökonomische Effizienz hin. Die Maßzahl für dieses Verhältnis stellt trotz ihrer Unvollkommenheit eine weithin akzeptierte Annäherungsgröße für die Messung der ökonomischen Effizienz des öffentlichen Sektors dar.

Das politische Engagement der Bürger wird dabei anhand von drei Variablen erfasst. Der erste Messwert ist die Wahlbeteiligung, definiert als die Anzahl der abgegebenen Stimmen im Verhältnis zur Anzahl der Wahlberechtigten. Dass die Höhe der Wahlbeteiligung in einer starken positiven Relation zum politischen Interesse und zur politischen Bildung der Bürger steht, ist bereits oft nachgewiesen worden. Als solche ist sie ein Indikator für eine politisch interessierte Wählerschaft, die sowohl die Fähigkeit (im Sinne von Wissen und Interesse) als auch den Wunsch (vorausgesetzt, sie beteiligt sich aktiv an der Wahl) besitzt, ihre Politiker zu kontrollieren und zur Rechenschaft zu ziehen. Der zweite Messwert misst die Bürgerbeteiligung anhand der Existenz von freien Wählervereinen, also basisdemokratischen Organisationen, die oft aus Bürgerinitiativen hervorgehen und nicht mit den traditionellen parteipolitischen Ideologien in Verbindung stehen. Diese Gruppierungen deuten darauf hin, dass einige Bürger bereit sind, organisatorische Kosten auf sich zu nehmen, um zur Lösung kommunalpolitischer Probleme beizutragen. Der dritte Messwert zum Bürgerengagement ist der Anteil der Menschen an der Gesamtbevölkerung, die Wahlrecht besitzen. Nur Wahlberechtigte können die Politiker über Wahlen kontrollieren, während Menschen ohne Wahlberechtigung genauso direkt von politischen Entscheidungen betroffen sind.

Die Finanzautonomie der Kommunen wird anhand deren Bedarfs an "Schlüsselzuweisungen" im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs gemessen. Ist der Finanzbedarf einer Kommune größer als ihre Finanzkraft, erhält sie eine Schlüsselzuweisung, im umgekehrten Fall nicht. Da der Erhalt solcher Zuweisungen die Transferabhängigkeit einer Kommune erhöht und ihre finanzpolitische Autonomie verringert, werden die Kommunen, die keine Zuweisungen erhalten, als "unabhängige" Kommunen definiert und die anderen als "abhängige" Kommunen. Im Jahr 2004 machten "unabhängige" Kommunen ungefähr 9,4 Prozent aller Kommunen aus.

Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung deuten darauf hin, dass der effizienzsteigernde Effekt der Bürgerbeteiligung in Kommunen mit höherer Finanzautonomie stärker ausgeprägt ist. Außerdem wird deutlich, dass dieser Effekt für die freien Wählervereine am größten ist. Dies leuchtet intuitiv ein, denn einen freien Wählerverein aufzubauen ist eine aktivere und kostspieligere Art der Beteiligung als der einfache Akt der Stimmabgabe bei den Wahlen. Politikerleistungen werden hingegen weniger über die Wahlurne kontrolliert.

Aus diesen Zahlen lassen sich jedoch nicht einfach Rückschlüsse für die Politik ziehen, da sich die Analyse auf Näherungswerte für die Bürgerbeteiligung und die Regierungseffizienz stützt. Und doch liefern die Ergebnisse einige Denkanstöße. Auf den ersten Blick legen sie den Schluss nahe, dass Bürger ermutigt werden sollten, sich aktiver in den politischen Prozess einzubringen. Dieser Weg ist jedoch alles andere als einfach. Im hier untersuchten Zeitraum zum Beispiel fiel die Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen von circa 67 Prozent (1994) auf 52 Prozent (2004). Die Ergebnisse zeigen zudem, dass gesteigertes Engagement nicht der einzige Weg sein könnte, um die Leistungsfähigkeit kommunaler Verwaltungen zu verbessern. Eine Alternative besteht darin, die kommunale Finanz- oder Einnahmenautonomie zu erhöhen. Eine höhere Nachlässigkeit in der Haushaltspolitik kann trotz sinkender Bürgerbeteiligung vermieden werden, indem dafür gesorgt wird, dass die Gemeinden in höherem Maße auf ihre eigenen Mittel angewiesen sind. In solch einem Kontext wird eine aktive Bürgerschaft mehr Wert auf die sorgfältige Verwendung öffentlicher Gelder legen.


Benny Geys studierte Wirtschaftswissenschaften in Leuven, Leicester and an der Vrije Universiteit Brüssel, wo er promoviert wurde. Er war fünf Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Marktprozesse und Steuerung und im Projekt The Future of Fiscal Federalism am WZB. Seit November 2010 ist er Associate Professor für Mikroökonomie an der Norwegian School of Management in Oslo.
Benny.Geys@bi.no


Literatur

Borge, Lars-Erik/Falch, Torberg/Tovmo, Per: "Public Sector Efficiency: The Roles of Political and Budgetary Institutions, Fiscal Capacity and Democratic Participation". In: Public Choice, Vol. 136, Nos. 3-4, 2008, S. 475-495.

Bruns, Christian/Himmler, Oliver: "Newspaper Circulation and Local Government Efficiency". In: Scandinavian Journal of Economics, 2010 (im Erscheinen).

Geys, Benny/Heinemann, Friedrich/Kalb, Alexander: "Voter Involvement, Fiscal Autonomy and Public Sector Efficiency: Evidence from German Municipalities". In: European Journal of Political Economy, Vol. 26, No. 2, 2010, S. 265-278.

Geys, Benny/Murdoch, Zusana: "Measuring the 'Bridging' versus 'Bonding' Nature of Social Networks: A Proposal for Integrating Existing Measures". In: Sociology, Vol. 44, No. 3, 2010, S. 523-540.


*


Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 131, März 2011, Seite 24 - 26
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
10785 Berlin, Reichpietschufer 50
Tel.: 030/25 49 10, Fax: 030/25 49 16 84
Internet: http://www.wzb.eu

Die WZB-Mitteilungen erscheinen viermal im Jahr
(März, Juni, September, Dezember)
Bezug gemäß § 63, Abs. 3, Satz 2 BHO kostenlos


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2011