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BERICHT/021: Wie dem staunenden Volk die Euro-Rettung erklärt wird (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 9/2012

Politischer Metaphernsalat
Wie dem staunenden Volk die Euro-Rettung erklärt wird

Von Herfried Münkler



In der aktuellen Krise ist nicht nur ökonomisch so einiges durcheinandergeraten. Auch bei der Transformation der Szenarien zur Rettung der Gemeinschaftswährung in eine sprachliche Gestalt ist die Desorientierung immens.


Dass Brandmauern gegen Ansteckungsgefahr schützen, dürfte ebenso überraschend sein wie die Behauptung, es gebe Rettungsschirme mit Feuerkraft. Bei dem Versuch, die Eurokrise zu erklären und die erforderlichen Gegenmaßnahmen in wirkmächtige Sprachbilder zu übersetzen, ist sprachlich vieles durcheinandergeraten. Man muss hoffen, dass dieser Un-Sinn auf die Metaphern beschränkt bleibt und nicht die operativen Maßnahmen der Akteure erfasst. Immerhin: Brandmauern schützen gegen das Übergreifen eines Feuers auf die Nachbargebäude. Aber wenn es brennt, ruft man die Feuerwehr und hofft, dass sie möglichst schnell eintrifft. Brandmauern dagegen werden errichtet, wenn die Häuser gebaut werden, und wo das verabsäumt worden ist, hat die Bauplanung versagt. Um es deutlich zu sagen: Wer Brandmauern erst dann errichten will, wenn es bereits brennt, ist ein Versager, der so schnell wie möglich aus dem Verkehr gezogen werden sollte. Das sei alles nicht so gemeint, bekommt man dann aus Politik und Wirtschaft zu hören, und die Insinuation des Versagers verbitte man sich. Man werde dagegen nötigenfalls juristische Schritte unternehmen.

Diese schroffe Reaktion ist erforderlich, legt die zu Ende gedachte Metapher von den Brandmauern doch nahe, dass bei der Konstruktion des Euro bzw. der Einbeziehung besonders brandgefährdeter Gebäude in den Euroraum schwere Fehler gemacht worden sind. Da liegt es nahe zu fragen, wer für das Versäumnis verantwortlich ist. Schließlich ist, um im Sprachbild zu bleiben, der Bau von Brandmauern eine seit langem bewährte Praxis. Die Metapher von den Brandmauern decouvriert am Schluss die, die sie in Umlauf gebracht haben.


Karneval der Begriffe

Ähnliches gilt für die Infektionsmetaphorik: Bekanntlich schützt man sich am besten gegen Ansteckung, indem man zu den Infektiösen Abstand hält, ihnen nicht die Hand gibt, sie schon gar nicht umarmt und sie nicht besucht, bis die Ansteckungsgefahr vorüber ist. In der Regel halten wir uns an diese Maßgaben alltagspraktischer Klugheit; die Fehlzeiten am Arbeitsplatz und die Debatte über die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens beruhen auf der Beachtung dieser Gesundheitsregeln. Eine Gesellschaft, in der man sich mutwillig infiziert, um im Bett bleiben zu dürfen, ist auf Dauer nicht überlebensfähig. Eine Ausnahme von diesen Regeln ist lediglich der Arzt, der die Kranken aufsucht und ihnen, wie man früher sagte, bittere Medizin verordnet oder sie ins Hospital einweist. Ist das Infektionsrisiko sehr hoch und besteht die Gefahr einer epidemischen Ausbreitung der Krankheit, so können von den Behörden auch Quarantänemaßnahmen verhängt werden, das heißt, dass aus der Klugheitsregel der Kontaktvermeidung ein großräumiges Kontaktverbot wird. Was legt die Ansteckungsmetapher also im Umgang mit Griechen, Spaniern und Anderen nahe? Keine Urlaube mehr dort, solange die Sanierung des Staatshaushalts nicht gelungen ist? Sinnvollerweise auch keine Wirtschaftsbeziehungen mehr? Das beileibe nicht, rufen die Sprachartisten. Was aber dann? Bloß, dass man einen Arzt brauche und der inzwischen gefunden sei?

Seitdem die Werbeleute und Stylisten in den Politikbetrieb Einzug gehalten haben, herrscht dort ein Karneval der Begriffe: Alles tanzt durcheinander, und es besteht semantischer Kostümzwang. In der öffentlichen Kommunikation tritt kaum ein Begriff noch zu seinem Nennwert auf; er muss maskiert sein, um Einlass zu erhalten. Sobald es um die Erklärung der Eurokrise geht, dienen die in die Öffentlichkeit lancierten Begriffe kaum noch dazu, die Sache beim Namen zu nennen, sondern es hat sich eine Praxis des Namenstausches ausgebreitet. Man kann bloß vermuten, wer oder was sich hinter einem Wort verbirgt. Wie im Karneval Kostüm- und Maskenzwang, so herrscht, was den Euro betrifft, in Politik und Wirtschaft inzwischen Metaphernzwang. Die sprachliche Verpackung dominiert den politischen Inhalt.

Die Ersetzung von Begriffen durch Metaphern soll dafür sorgen, dass nicht weiter nachgefragt und nachgebohrt wird. Und obendrein sollen mit Sprachbildern die gewünschten Empfindungen und damit letzten Endes auch die Reaktionen des staunenden Publikums erzeugt und gesteuert werden. Dazu bedient man sich unmittelbar einsichtiger Metaphern, die nicht bloß eine Entwicklung beschreiben, sondern zugleich auch versichern, dass die Lage wohl ernst sei, die Politik sie aber im Griff habe: Rettungsschirm mit Feuerkraft, Ansteckungsgefahr, aber Brandmauern. Problemanzeige und Lösungsversprechen werden auf engstem Raum konzentriert, am besten in einem Satz, denn mehr wird im Fernsehen ohnehin nicht gebracht. Das Resultat ist dann ein Kreuz und Quer der Metaphern, das zwar keinen Sinn ergibt, aber sich gut anhört. Selbstverständlich kommt es bei der Anrichtung eines solchen Metaphernsalats auf das richtige Dressing an. Es soll dafür sorgen, dass zusammenschmeckt, was nicht zusammenpasst.


Hebel, Bazooka, Dicke Berta

So wurde für den Euro-Rettungsfonds nach Begriffen gesucht, die dessen Verstärkung durch privates Kapital als effektiv und sinnvoll beschreiben. Dabei war zunächst vom Hebel die Rede. Dieser macht sinnfällig, wie begrenzte Kräfte mit Hilfe mechanischer Gesetzmäßigkeiten vergrößert werden: Man sieht die Schwere des zu bewegenden Gegenstands, die angesetzten Hebel, den Schweiß der Arbeitenden - und man beobachtet, ob sie es schaffen oder nicht. Der unvermeidliche Schweiß und das mögliche Scheitern im Assoziationsfeld der Metapher ließen den Hebel bald wieder verschwinden, und an seine Stelle traten Kriegswaffen: Bazooka und Haubitze. Die Bazooka ist eine Panzerabwehrwaffe, die auf kürzere Entfernungen im Direktbeschuss eingesetzt wird; die Haubitze hingegen ist eine Kanone, die Steilfeuer schießt und bei der man Abschusswinkel und Flugbahn genau berechnen muss, um zu treffen. Dass sich die Haubitze gegen die Bazooka durchgesetzt hat, lag wohl auch daran, dass bei ihr gemäß der Metaphernlogik die Kalibrierung verändert und die Durchschlagskraft der Geschosse erhöht werden kann. So wurden die Haubitzen immer größer und zuletzt sprach EZB-Präsident Mario Draghi gar von der "Dicken Berta", die er brauche, um die Schlacht gegen die Währungsspekulanten zu gewinnen.

Das war eine Reverenz an die Deutschen, denn die hatten das Riesengeschütz im Ersten Weltkrieg eingesetzt und ihre Gegner damit in Angst und Schrecken versetzt. Wo die 42 cm-Granaten der "Dicken Berta" einschlugen, blieben nur noch rauchende Trümmer. Ein solches überschweres Geschütz, so Draghi, brauche man jetzt, und, was die Deutschen vor 100 Jahren zu finanzieren vermochten, so der Hintersinn des Sprachbildes, werde ihnen heute doch wohl ein Leichtes sein. Das Problem mit der "Dicken Berta" war freilich, dass sie im August 1914 noch nicht einsatzbereit war und man österreichische Mörser heranführen musste, um die Forts der belgischen Festung Lüttich sturmreif zu schießen. Und vor allem: Am Schluss haben die Deutschen trotz der "Dicken Berta" den Krieg verloren. Schlimmer noch: Nicht nur der Krieg, sondern auch die Kriegsanleihen waren verloren. Der deutsche Staat hatte bei seinen Bürgern Schulden, die er nie würde begleichen können. Er entledigte sich ihrer durch die Inflation. Ob Draghi das gemeint hat?

Politische Metaphern haben ihren Preis, und der besteht nicht bloß darin, dass sie keineswegs so evident und elegant sind, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat. Und oft haben sie, wenn man sie zu Ende erzählt, etwas Subversives, zumindest Aufklärendes. Von der "Dicken Berta" bis zur Infektionsgefahr legen sie etwas ganz anderes nahe, als dies von denen, die sie lanciert haben, beabsichtigt worden ist. Und im Falle der Brandmauern verweisen sie auf die Versäumnisse derer, die den Euro eingeführt haben. Man sollte sich von der Politik nicht mit ein paar hingeworfenen Metaphern abspeisen lassen, sondern diese gründlich zerkauen und auf der Zunge zergehen lassen. Talkshows wären dafür eigentlich ein guter Ort. Man muss sie bloß dafür nutzen.


Herfried Münkler (* 1951) ist Professor am Institut für Politikwissenschaft der Humboldt-Universität in Berlin. Zuletzt bei Rowohlt Berlin erschienen: Die Deutschen und ihre Mythen.
(Herfried.muenkler@rz.hu-berlin.de)

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 9/2012, S. 56-58
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2012