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BERICHT/024: Demokratie in der Hälfte aller UN-Staaten auf dem Rückzug (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Juni 2015

Politik: Demokratie in der Hälfte aller UN-Staaten auf dem Rückzug

von Thalif Deen


Bild: © Judith Scherr/IPS

US-Polizei verhaftet Mai-Demonstrantin in Oakland, Kalifornien
Bild: © Judith Scherr/IPS

NEW YORK, (IPS) - In fast der Hälfte der 193 UN-Mitgliedstaaten ist die Luft für Demokratie und politisches Engagement dünner geworden. Vor allem in Subsahara-Afrika und der Region Nahost/Nordafrika sind Autokratie und Repression auf dem Vormarsch, warnt CIVICUS, ein globales Netzwerk der Zivilgesellschaft, in einem neuen Bericht.

Dieser Trend macht sich sowohl in demokratischen als auch in repressiven Ländern bemerkbar. "Die verbreiteten und systematischen Attacken auf zentrale bürgerliche Freiheiten haben viele Gesichter wie Übergriffe, Folter, Entführungen und Morde", heißt es in dem 'Civil Society Watch Report' der globalen Allianz.

"Wir wissen seit geraumer Zeit, dass der Spielraum für bürgerliches Engagement ab- und die Verfolgung friedlicher Aktivisten zunimmt. Doch ist das Problem viel weitreichender, als wir bislang gedacht hatten", so Dhananjayan Sriskandarajah, Generalsekretär von CIVICUS mit Sitz in Südafrika. "Unsere 2014 durchgeführten Untersuchungen zeigen, dass die legitimen Aktivitäten der Zivilgesellschaft in einer Vielzahl von Ländern aller Kontinente - in demokratischen wie in autoritären - im globalen Norden und Süden gefährdet sind."

Die Übergriffe richteten sich nach wie vor gegen Aktivisten, die sich für politische Reformen, die Bekämpfung der Korruption und Menschenrechtsverletzungen sowie für Minderheiten- und Umweltrechte einsetzten. Auch diejenigen, die Gemeinschaften im Kampf gegen Vertreibung und Landverlust im Zuge von Landgrabs unterstützten, seien verschiedenen Formen der Verfolgung ausgesetzt.


Gefährlicher Kampf für Gleichheit und Fairness

Das Wechselspiel zwischen unethischem Unternehmertum und schwindendem bürgerlichem Raum sei in einer Zeit, in der die globale Ungleichheit zunehme und eine Handvoll politischer und wirtschaftlicher Eliten Macht und Ressourcen an sich reiße, nicht zu übersehen. Dem Bericht zufolge wird es immer gefährlicher, für eine faire Verteilung der natürlichen Ressourcen und für Arbeitsrechte einzutreten.

Die im neuen Bericht angeführten Beispiele reichen von Morden an brasilianischen Umweltaktivisten über Drohungen gegen Organisationen, die den Wirtschaftskurs der indischen Regierung kritisieren, bis zu willkürlichen Festnahmen von Erdölexplorationsgegnern in der Demokratischen Republik Kongo (DRC).

Wie der CIVICUS-Experte Matthew Reading gegenüber IPS erklärte, ordnet der Bericht die untersuchten Länder bestimmten Kategorien zu. So zählen Eritrea, Nordkorea, Syrien, Turkmenistan und Usbekistan zu der Gruppe der 'geschlossenen Länder'. In ihnen sei jedwedes bürgerliche Engagement aufgrund eines extrem repressiven politischen Umfelds unmöglich.

Weiter gibt es die Gruppe der Staaten, die aktiv gegen die Rechte der Zivilgesellschaft verstoßen. Damit sind Regierungen gemeint, die Aktivisten einsperren, einschüchtern und angreifen lassen sowie Bestimmungen in Kraft setzen, die die Aktivitäten der zivilgesellschaftlichen Organisationen (CSOs), vor allem wenn diese Korruption und Menschenrechtsverletzungen anprangern, einschränken. Dieser Kategorie rechnet CIVICUS die Staaten Aserbaidschan, Bahrain, Weißrussland, China, Kuba, Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und Vietnam zu.

Der Bericht nennt zudem einige gängige Taktiken, mit denen Regierungen den Raum für zivilgesellschaftliches Engagement einschränken. Dazu gehören eine repressive Gesetzgebung, Razzien in den Büros von CSOs, das Einfrieren von deren Bankkonten oder das Löschen der Organisationen aus dem Vereinsregister.

In etlichen Demokratien ist es zudem Usus, zivilgesellschaftliche Akteure illegal abzuhören, wodurch die Menschenrechte weiter geschwächt werden. Die Stigmatisierung und Verteufelung von Aktivisten durch einflussreiche politische Persönlichkeiten und rechtsextreme Kreise sind ebenfalls Übergriffe, die CIVICUS beunruhigt.


Anlass zu Sorge

"Wenn gegen elementare demokratische Rechte in der Hälfte der Länder der Welt verstoßen wird, müssen bei der internationalen Gemeinschaft und den politischen Entscheidungsträgern in aller Welt sämtliche Alarmglocken schrillen", betont Sriskandarajah.

Reading zufolge haben Bahrain, Ägypten, Jordanien, Oman, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate ihre Bemühungen, öffentliche Demonstrationen und Aktivitäten von Menschenrechtlern zu unterbinden, verstärkt. Es sei nicht zu erkennen, dass die amtlichen Zensur- und Repressionsmaßnahmen in Staaten wie China, Kuba, dem Iran, Nordkorea und Vietnam abnähmen.


Bild: © Misheck Rusere/IPS

Jenni Williams vor Mitgliedern der 'Women of Zimbabwe Arise' vor dem Parlamentsgebäude in der simbabwischen Hauptstadt Harare
Bild: © Misheck Rusere/IPS

Innerhalb von Subsahara-Afrika sind es nach Erkenntnissen von CIVICUS vor allem Angola, Burundi, Äthiopien, Gambia, Ruanda, Sudan, Swasiland und Simbabwe, in denen bürgerliche Freiheiten unterdrückt werden. Doch auch in zentralasiatischen und osteuropäischen Ländern mit fragilen Demokratien wie Aserbaidschan, Weißrussland, Ungarn, Kirgisistan, Russland, der Türkei, Usbekistan und Turkmenistan werden Aktivisten und Organisationen, die politische Reformen einfordern, von staatlicher Seite angegangen.

In Südostasien sind Reading zufolge Länder wie Kambodscha und Malaysia für ihre repressive Regierungsführung bekannt, während in Thailand, wo sich im letzten Jahr das Militär an die Macht geputscht hat, neue 'Sicherheitsbestimmungen' zur Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten eingeführt wurden.

Reading zufolge kommt dem UN-Menschenrechtsrat als internationales Forum zum Schutz der Bürgerrechte eine Schlüsselrolle zu. Als ein besonders wirksames Instrument nannte er das Allgemeine Periodische Überprüfungsverfahren (UPR), dem alle Staaten gleichermaßen unterzogen werden. Die alle vier Jahre stattfindende Überprüfung erfolgt durch andere Staaten, die Empfehlungen zur Verbesserung der Menschenrechtssituation unterbreiten. Nehmen die überprüften Länder die Empfehlungen an, verpflichten sie sich zu deren Umsetzung bis zur nächsten UPR.

Derzeit trägt das Menschenrechtshochkommissariat der Vereinten Nationen (OHCHR) gute Beispiele für die Gewährung bürgerlicher Rechte zusammen. Der UN-Menschenrechtshochkommissar Zeid Raad Al-Hussein gilt wie dessen Amtsvorgängerin Navi Pillay als ein engagierter Verfechter für die bürgerlichen Freiheiten weltweit. (Ende/IPS/kb/23.06.20155)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/06/democracy-on-the-retreat-in-over-96-of-the-193-u-n-member-states-says-new-study/

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IPS-Tagesdienst vom 23. Juni 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2015

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