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DEMOSKOPIE/774: Make Europe great again? Europäer sehen Vergangenheit positiver als Gegenwart (idw)


Bertelsmann Stiftung - 05.11.2018

Make Europe great again? Europäer sehen Vergangenheit positiver als Gegenwart


Die Sehnsucht nach einer vermeintlich besseren Vergangenheit hat Konjunktur: Donald Trump hat es mit seinem Versprechen, die USA zurück in die Zukunft zu führen, bis ins Weiße Haus gebracht. Die Brexit-Befürworter mobilisieren mit Erinnerungen an eine Zeit, in der Großbritannien die Weltmeere beherrschte. Wie empfänglich die Europäer insgesamt für das Hohelied auf die "gute alte Zeit" sind, hat die aktuelle Ausgabe der eupinions untersucht.

Gütersloh, 5. November 2018. Zwei Drittel der Europäer (67 Prozent) sind der Meinung, die Welt sei früher ein besserer Ort gewesen. Die Italiener sind besonders nostalgisch (77 Prozent). In Polen stimmen dieser Meinung mit 59 Prozent die Wenigsten zu. In Deutschland geben 61 Prozent der Bevölkerung an, die Welt sei früher eine bessere gewesen. Auffallend ist: Jene Europäer die nostalgisch eingestellt sind, verorten sich selbst häufiger rechts der politischen Mitte als die Nicht-Nostalgiker. Sie sind außerdem in der Regel deutlich kritischer gegenüber Einwanderung. Das sind die Ergebnisse der aktuellen Ausgabe der Umfragereihe "eupinions", mit der die Bertelsmann Stiftung regelmäßig, europaweit Bürger zu politischen und gesellschaftlichen Themen befragt. Die Umfrage ist mit einer Stichprobe von 10.855 Befragten repräsentativ für die EU und ihre fünf größten Mitgliedsstaaten.

Die Umfrage zeigt: Je älter die Befragten, desto eher sind sie nostalgisch eingestellt. Jugendliche unter 25 sind am wenigsten empfänglich für nostalgische Gefühle (52 Prozent), während es bei den 56-65-Jährigen über zwei Drittel der Befragten sind (70 Prozent). Unter den Jugendlichen sind die Italiener ebenfalls Nostalgiespitzenreiter: 64 Prozent von ihnen sehen die Vergangenheit in besserem Licht als die Gegenwart. Am positivsten blicken die polnischen Jugendlichen auf die Gegenwart: Nur ein Drittel (35 Prozent) von ihnen ist nostalgisch eingestellt. Über alle Altersgruppen hinweg sehen Frauen (47 Prozent) die Vergangenheit positiver als Männer (53 Prozent). "Wenn wir unsere Vergangenheit im Laufe der Zeit altersmilde betrachten, ist das vor allem menschlich. Doch wenn Parteien Ängste und Unsicherheiten für ihre Wahlerfolge ausnutzen, um eine nie dagewesene goldene Vergangenheit zu beschwören, ist das fahrlässig", so Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung.

Nostalgie stabilisiert in Momenten der Verunsicherung

Die Bewertung der Vergangenheit fällt mit bestimmten politischen Einstellungen zusammen. Nostalgiker verorten sich selbst eher rechts der politischen Mitte. 53 Prozent der Europäer, die nostalgisch eingestellt sind, sehen sich selbst eher rechts der Mitte, während 58 Prozent der Nicht-Nostalgiker sich eher links verorten. Diese Unterschiede zwischen den Lagern bei der politischen Selbstverortung sind in Deutschland am stärksten ausgeprägt: Hier ist der Anteil der Nostalgiker die sich rechts verorten (51 Prozent) um 20 Prozentpunkte höher als bei den Nicht-Nostalgikern (31 Prozent).

"Nostalgie ist auch ein Indiz für ein hohes Maß an Verunsicherung in der Gesellschaft", so Isabell Hoffmann, Europaexpertin der Bertelsmann Stiftung und Mitautorin der Studie. Doch der wohlwollende Blick in die Vergangenheit, in der Öffentlichkeit oft negativ besetzt, habe durchaus eine wichtige Funktion, denn er könne Stabilität und Halt bieten, so die Autoren. Dies machen sich auch einzelne Parteien zunutze, die mit Referenzen an die Vergangenheit Sicherheit und Ordnung versprechen, um aktuelle Verunsicherungen in Wählerstimmen zu übersetzen: "Der Blick in die USA und Großbritannien zeigt, dass interessanterweise gerade jene, die eine Rückkehr zu alter Größe und Stabilität versprechen, bisher vor allem Unruhe und Auseinandersetzungen ausgelöst haben", so Hoffmann.

Nostalgiker: Skepsis gegenüber Einwanderung, aber europafreundlich

Befragt zu ihren Einstellungen gegenüber einzelnen Sachthemen zeigen die Ergebnisse, das Nostalgiker in der Regel etwas kritischer gegenüber der EU und deutlich ablehnend gegenüber Einwanderung eingestellt sind. Eine Mehrheit der Nostalgiker (53 Prozent) ist überzeugt, dass Einwanderer den Einheimischen "Jobs wegnehmen" und nur 45 Prozent von Ihnen sind überzeugt, dass "Einwanderung gut für die Wirtschaft ist. Über drei Viertel der europäischen Nostalgiker (78 Prozent) stimmen sogar der Aussage zu, dass "Einwanderer sich nicht in die Gesellschaft integrieren möchten". Bei Nicht-Nostalgikern sind die Zahlenwerte genau umgekehrt: Nur eine Minderheit (30 Prozent) geht davon aus, dass durch Einwanderung Jobs für Einheimische verloren gehen und eine Mehrheit (63 Prozent) ist der Meinung, dass Einwanderung grundsätzlich gut für die Wirtschaft ist.

Bezüglich der Europäischen Union sind die Einstellungen der beiden Lager nicht weit voneinander entfernt. Eine deutliche Mehrheit, unabhängig von Nostalgieneigungen, wünscht sich sowohl mehr politische und ökonomische Integration, als auch eine aktivere Rolle der EU auf der Weltbühne. Am stärksten unterscheiden sich die Werte für einen Verbleib des eignen Landes in der EU: 82 Prozent der Nicht-Nostalgiker unterstützen die EU-Mitgliedschaft ihres Landes. Bei den Nostalgikern sind es noch 67 Prozent.


Zusatzinformationen
"eupinions" ist das europäische Meinungsforschungs-Instrument der Bertelsmann Stiftung, das zusammen mit Dalia Research entwickelt wurde. Damit werden regelmäßig die Bürger aller 28 EU-Mitgliedstaaten zu europäischen Themen befragt. Die aktuelle Befragung fand im Juni 2018 statt und ist mit 10.885 Befragten repräsentativ für die EU und die fünf größten Mitgliedstaaten: Deutschland, Frankreich, Italien, Polen und Spanien. Ausführliche Informationen zur Methodik der Umfrage finden Sie im Methodenanhang auf Seite 19 der deutschen Ausgabe der Studie.

Die Studie und weitere europaweite Umfragedaten finden Sie unter
www.eupinions.eu

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution605

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Bertelsmann Stiftung, 05.11.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2018

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